OCR  Dotan    http://ldn-knigi.lib.ru/JUDAICA/SDubnow.htm    (01.2004)

 

Simon Dubnow  'Geschichte des Chassidismus'

In zwei Bänden

Aus dem Hebräischen übersetzt von Dr. A. Steinberg

Jüdischer Verlag / Berlin  1931

 

 

Band I - Vorwort:

 

....'Aber auch noch einem anderen, in den meisten meiner literari-schen Schöpfungen, so auch in der ersten Fassung dieses Buches, unerfüllt geblichenen Gebot durfte ich nunmehr Genüge tun.

 

Bis in die letzte Zeit hinein schrieb ich nämlich alle meine Bücher und die meisten meiner Abhandlungen in russischer Sprache, der Sprache, durch deren Vermittlung die Generation, der ich angehöre, in dem großen östlichen Zentrum der Judenheit der neuzeitlichen Kultur teilhaftig geworden war. (Nur vereinzelte Aufsätze habe ich hebräisch bzw. jiddisch geschrieben.)

 

Nicht darum habe ich es aber unterlas-sen, von unserer alten Nationalsprache Gebrauch zu machen, weil ich sie etwa nicht hoch genug geschätzt hätte (war sie doch meine Schriftsprache, noch bevor ich selbst Schriftsteller geworden bin), sondern darum, weil ich die literarische Laufbahn gerade zu der Zeit betrat, als der hebräische Nationaldichter Jehuda Löb Gordon sie mit dem Verzweiflungsschrei verließ: 'Für wen schaffe ich?"

Mein Blick war nach vorn gerichtet, und es galt, zu meinen fortschritt-lich gesinnten Zeitgenossen in der diesen verständlichen Sprache zu reden. Davon abgesehen, war die hebräische wissenschaftliche Sprache damals noch nicht so weit entwickelt, um der großen Menge der neu aufgekommenen Begriffe und Gedankennuancen als Ausdrucksform dienen zu können.

 

Auch dem hebräischen Schriftsteller jener Zeit, so-weit er nicht willens war, den Inhalt um der Form willen zu ver-zerren, lastete daher die doppelte Verpflichtung, sowohl Inhalt wie Form, die neue Wissenschaft selbst ebenso wie ihre Ausdrucksmittel, neu zu schaffen; da ich jedoch bei der Errichtung meines historischen Baues meine ganze Kraft an die Bearbeitung des Inhalts wen-den mußte, war es mir unmöglich, nebenbei auch noch die Sprache neu zu formen.

 

Nun aber, da ich mich vor die Aufgabe gestellt sah, das in seiner ersten Fassung bereits abgeschlossene Werk lediglich zu vervollständigen und zu vervollkommnen, beschloß ich, das ganze Buch hebräisch zu schreiben(Die 'Einleitung in die Geschichte des Chassidismus" ist in einer von meinem Kollegen Baruch Krupnik unter meiner Mitwirkung besorgten hebräischen Über-setzung bereits früher im Druck erschienen ('He'atid", Band III, 1911)); dem vor-liegenden Werk wird diese Einleitung in einer neuen Bearbeitung vorausgeschickt., und zwar aus den folgenden zwei Gründen: erstens, weil fast das gesamte von mir verwertete Material aus hebräischen Quellen besteht, und es angezeigt erscheint, daß den Übersetzungen in andere Sprachen der Originaltext der Quellen zu-grunde gelegt werde; zweitens aber darum, weil ich schon seit lan-ger Zeit das Bedürfnis hatte, wenigstens ein Buch in unserer Na-tionalsprache zu schreiben, der ich die ersten literarischen Eindrücke meiner Kindheit verdanke.

 

Zu diesen zwei Gründen kommt noch ein dritter hinzu: ich habe meinem Freunde Achad Haam, der mir stets Vorwürfe darüber machte, daß ich in einer fremden Sprache schreibe, kurz vor seinem Ableben versprochen, das Werk über den Chassi-dismus in seiner neuen Fassung von Anfang bis zu Ende hebräisch zu schreiben, ein Gelöbnis, das ich hiermit einlöse.

 

Ich erinnere mich, daß bei meiner ersten Begegnung mit Achad Haam, die in Odessa im Jahre 1891 stattfand, im Mittelpunkt unseres Gespräches das System des Verfassers des Buches 'Tania" stand, das ich gerade damals in einem der im 'Woss'chod" veröffentlichten Kapitel des 'Chassidismus" dargestellt hatte. Indem ich dieses Buch dem Na-men und Andenken meines heimgegangenen Freundes widme, emp-finde ich tiefen Schmerz darüber, daß es mir nicht beschieden ge-wesen ist, seinen innigen Wunsch noch zu seinen Lebzeiten zu er-füllen . . .

 

Die Welt steht im Zeichen des Kreislaufs, sowohl der mich um-schließende Makrokosmos als auch mein eigener Mikrokosmos. In jungen Jahren wandte ich mich von dem brausenden Getriebe des russischen Rom ab und zog mich in eine stille, inmitten der weiß-russischen Wälder gelegene Stadt zurück, wo ich mein Werk über den Chassidismus in der Staatssprache niederschrieb. Jetzt, in hohem Alter, als Exulant in Deutschland lebend, habe ich dasselbe Werk in einem Vorort des lärmerfüllten Berlin, am Rande des Grunewaldes, in der Nationalsprache neu gestaltet.

 

Der Abschluß meiner wis-senschaftlichen Tätigkeit lag bereits in ihrem Anfang beschlossen. Mein Erstlingswerk auf dem Gebiete selbständiger historischer Forschung ward zur Frucht meines Alters. So schließt sich der Kreis in meinem Mikrokosmos. - Und im Makrokosmos? - Hier bewirkte der Kreislauf eine Umwälzung, die namentlich in dem Lande, das von jeher ein Zentrum des Chassidismus war, verheerende Folgen nach sich zog.

 

 Wie sich in einem Wassertropfen das Him-melsgewölbe widerspiegelt, so spiegelt sich diese Umwälzung in ihrer ganzen Tiefe in einem Geschehnis wider, das nur wenige Tage zurück-liegt: während ich diese Zeilen niederschreibe, erhalte ich die Nach-richt, daß die Machthaber der bolschewistischen Ukraine den Befehl gegeben haben, das Grab des Bescht in Miedžybož und das seines Enkels R. Nachman von Brazlaw in Uman zu zerstören. Die Anregung hierzu ging von jüdischen 'Gottlosen" aus, unter denen vielleicht auch Abkömmlinge der beiden Zaddikim nicht fehlen.

 

Die Erwäh-nung dieser einen Tatsache genügt, um begreiflich zu machen, wel-cher Art die Umwälzung ist, die sich in der Urheimat des Chassi-dismus zwei Jahrhunderte nach der Offenbarung des Bescht voll-zogen hat...'

 

Der Verfasser

Berlin, im Januar 1931

 

 

 

Simon Dubnow  'Weltgeschichte des Jüdischen Volkes'

In zehn Bänden

Jüdischer Verlag / Berlin, 1925-29

Autorisierte Übersetzung aus dem Russischen von Dr. A. Steinberg

 

 

Band 1,  Vorwort zur deutschen Ausgabe:

 

Dieses Werk ist das Ergebnis langjähriger Arbeit. Vor dreißig Jahren, als der Verfasser an die Ausarbeitung eines speziellen Werkes in russischer Sprache herantrat, das die Geschichte der osteuropäischen Juden zum Gegenstande haben sollte1, faßte er den Plan, ihm als Einleitung einen allgemeinen Abriß der jüdischen Geschichte auf Grund der einschlägigen Literatur vorauszuschicken. (1 Einzelne Teile des Werkes sind in Form von Monographien und 'historischen Mitteilungen" in den jüdisch-russischen Zeitschriften der Achtziger und Neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts erschienen ('Geschichte des Chassidismus" u. a.).

Indessen, je mehr sich der Verfasser in diese einführende Arbeit vertiefte, desto klarer wurde es ihm, daß seine Auffassung der Hauptprozesse der jüdischen Geschichte von der Grundauffassung, wie sie sich im Laufe des XIX. Jahrhunderts in der westlichen 'Wissenschaft des Judentums" eingebürgert hatte, wesentlich abweicht (vgl. die folgende Einleitung).

 

Dies eben veranlaßte ihn, den Schwerpunkt seiner Arbeit allmählich von den speziellen Fragen der jüdischen Geschichte in das Gebiet der allgemeinen jüdischen Historiographie zu verlegen. So kam im Laufe vieler Jahre diese 'Geschichte" zur Entstehung: zunächst in gedrängter Form (dreibändige russische Ausgabe der 'Allgemeinen Geschichte der Juden", 1901-1905) und dann in einer ausführlicheren und bis zu unserer Epoche reichenden Darstellung (die ergänzte Ausgabe der älteren Geschichte, 1910, und die neueste Geschichte, 1914).

 

Zu Beginn des Jahres 1914 wurde eine neue vollständige Umarbeitung der bereits früher erschienenen Bände der 'Geschichte" in viel weiterem Umfange und auf Grund eines streng durchgeführten allgemeinen Planes in Angriff genommen.

Diese Arbeit hat sieben Jahre, die schicksalsschweren Jahre des Weltkrieges und der russischen Revolution (1914-1921), in Anspruch genommen.

 

In diesen Jahren, als das Experiment der Vivisektion, dem die Kulturmenschheit unterzogen wurde, aller Welt das entblößte Knochengerüst des Geschichtsprozesses selbst sichtbar machte und die inneren Triebkräfte längst vergangener geschichtlicher Umwälzungen offenbarte, wurde es namentlich dem jüdischen Geschichtsschreiber möglich, an der eigenen Person zu erfahren, was seine Ahnen im Altertum und im Mittelalter erleben mußten...

 

In der letzten Redaktion schwoll die 'Weltgeschichte des jüdischen Volkes" bis zu zehn Bänden an, die den gesamten geschichtlichen Umkreis von der Entstehung des Volkes Israel bis zum letzten Weltkriege umspannen. Die ungünstigen Zeitläufe verhinderten vorerst die Veröffentlichung der druckfertigen Bände, und erst jetzt ist es möglich geworden, sie gleichzeitig in russischer, deutscher und hebräischer Sprache erscheinen zu lassen.

(Die deutsche dreibändige Ausgabe der 'Neuesten Geschichte des jüdischen Volke'", die den abschließenden Zyklus des gesamten Werkes darstellt, ist 1920-1923 im Jüdischen Verlag, Berlin, erschienen.)

 

Zwei Gründe waren es, die den Verfasser zur Erweiterung des Umfangs dieser Geschichte in ihrer letzten Redaktion veranlaßten:

Erstens das Bestreben, in den Text selbst die wichtigsten Forschungsergebnisse und die bedeutsamsten Quellenfunde mitaufzunehmen, die in den letzten Jahrzehnten bekanntgeworden und in den älteren Werken über jüdische Geschichte unberücksichtigt geblieben sind (in der erweiterten, posthumen Ausgabe einiger Bände der 'Geschichte" von Graetz ist von diesen Quellen nur einiges, auf das Mittelalter sich Beziehendes, berücksichtigt worden); zweitens die Notwendigkeit, das wissenschaftliche Rüstzeug des Buches noch weiter auszubauen, um die historischen Schlußfolgerungen, in denen sich der Verfasser mit seinen Vorgängern oder Zeitgenossen, sei es infolge Verschiedenheit der allgemeinen Auffassung oder aber infolge abweichender Verwertung der Quellen, in Widerspruch setzt, näher zu begründen.

 

Jedoch sind auch dieser Erweiterung des Textes und der Vermehrung der Fußnoten gewisse Schranken gesetzt, denen ein synthetisches, die allgemeine Geschichte behandelndes Werk unbedingt Rechnung tragen muß.

 

Berlin, im März 1925.

Der Verfasser