Für die Webseite http://ldn-knigi.lib.ru (http://ldn-knigi.narod.ru) Nina & Leon Dotan 05.2005
Aus 'Süddeutsche Zeitung' Nr. 304 vom 02.2005, Seite 12
Hitlers Geschenk
Mit Verwunderung las ich Christine Brincks Verklärung des amerikanischen Hochschulsystems, hatte ich doch selbst in zahlreichen Gesprächen mit MIT- und Harvard-Professoren etwas ganz ande-res erfahren. Sie beklagten alle die sprachlichen Defizite ihrer Studenten. Gunna Wendt, München
Ein wichtiger Grund, warum die deut-schen Universitäten nicht konkurrieren können mit Stanford, Berkeley, Oxford, Cambridge und anderen, wurde in dem Artikel nicht genannt.
Ein hochinteressantes Buch, 'Hitler's Gift to Scientists who fled Nazi-Germany", 2002 in England erschienen, gibt Auskunft. Seit der Wilhelminischen Zeit mit der Förderung der Wissenschaften, unter anderem durch die Gründung der Kaiser-Wilhelm-Institute, waren deut-sche Universitäten, vor allem in den Na-turwissenschaften, führend in der Welt. Ausländer pilgerten nach Berlin, Göttin-gen, München, um Koryphäen wie Ein-stein, Max Planck, Nils Bohr, Max von Laue, Otto Hahn und viele andere zu hö-ren, um ihre Schüler zu werden.
Von allen 100 Nobel-Preisen, die von 1901 bis 1932 vergeben wurden, ging etwa ein Viertel an deutsche Preisträger. Ungefähr ein Viertel war jüdischer Her-kunft. Kurz nach Hitlers Machtergrei-fung verloren fast alle ihre Posten; sie mussten emigrieren, um weiter forschen zu können. Ein Großteil ging zuerst nach Großbritannien, zahlreiche später nach USA. Viele ihrer hoffnungsvollen Schü-ler ebenso. Heute hat sich das Verhältnis der Nobelpreis-Träger umgekehrt.
Erfindungen, die zum Teil die Welt ver-änderten, sei es im nuklearen Bereich, in der Medizin oder auf anderen wissen-schaftlichen Gebieten, wurden nicht mehr in Deutschland gemacht und ange-wandt, dafür aber oft von ehemaligen Deutschen und deren Schülern in USA.
Dieser 'brain-drain" durch Hitler- 'Hit-lers Geschenk" - konnte in den folgen-den Jahrzehnten nicht mehr ausgegli-chen werden. Daran kranken nicht nur die naturwissenschaftlich-technischen Fächer, sondern auch die Geisteswissen-schaften.
Die Unterbrechung dieser wis-senschaftlichen Tradition ist mit Geld nicht aufzuholen. Leider scheitern Refor-men an unseren politischen Strukturen, wie gerade der Mißerfolg der 'Föderalis-mus-Reform" beweist.