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Dr. Joseph Samuel Bloch  'Erinnerungen aus meinem Leben' 

Band II  (Auszug)

R. Löwit Verlag, Wien und Leipzig, 1922

 

Stimmen der Presse.

 

Die 'Neue Freie Presse"

schreibt am Schlüsse eines Leitartikels vom 17. September 1893:

 


{227} 'Das war wieder ein anmutiges Zeit- und Sittenbild, welches sich vor den Schranken des Wiener Schwurgerichtes entrollt hat: Da hat die Justiz wieder einmal hineingeleuchtet in die Küche, wo das soziale Betäubungsmittel unseres Jahrhunderte, das moralische Morphium, welches ganze Schichten des lebenden Geschlechtes vergiftet, der Antisemitismus, gebraut wird."

 

          'Es darf als ein Glück gepriesen werden, daß die furchtbare Beschuldigung und die Männer, von denen sie ausgestreut wurde, so rasch ans Licht des Gerichtesaales gebracht werden konnten, denn es hätte sonst namenloses Unheil entstehen können.. Daß es in dem einen Falle so rasch und so gründlich gelungen ist, die Lüge als Lüge zu brandmarken, das mahnt nur daran, daß es tausend andere gibt, die nicht so einfach liegen. Nur das gewährt einige Hoffnung, daß das Charakterbild derer, die den Antisemitismus machen, so wie es auf dem Hintergründe dieses Prozesses sich abzeichnete, nicht so bald aus dem Gedächtnisse der Zeitgenossen verschwinden wird. So viel wird vielleicht auch mancher aus der minder scharfsichtigen Menge aus dem Prozesse mitnehmen, daß Leute, welche solche Auffassungen von Moral, Pflicht, Wahrheit und Überzeugung bekunden, wie sie in diesem Straffalle zutage traten, keinen Beruf haben, Lehrmeister der Massen zu sein.

 

Im übrigem ist nur zu wünschen, daß sich jedesmal, wie in diesem, alle rechtschaffenen Männer finden mögen, welche es sich nicht verdrießen lassen, der Verleumdung und absichtlichen Irreführung auf allen krummen Wegen, die sie einschlägt, nachzugehen, sie in alle Schlupfwinkel zu verfolgen und sie womöglich dorthin zu bringen, wo sie sich nicht mehr verkriechen kann: in den Gerichtssaal."


'Wiener Abendblatt",

16. September 1893:


 

          'Ein Prozeß, welcher mit der schmachvollstem Erscheinung unserer Zeit in unlösbarer Verbindung steht, hat gestern mit der Verurteilung der drei Angeklagten geendet. Nicht der Schuft Paulus Meyer war die Hauptperson in diesem Prozesse; die beiden Streitgenossen, die er hatte, der Mann im Priesterkleide und der Vertreter der christlichen Presse, spielten die wichtigste Rolle. Pfarrer Deckert hat sich gehütet nur ein Wort zu sagen, um die Wahrheit der niederträchtigen Behauptungen Meyers, die er zu den seinigen gemacht, aufrecht zu halten.

Und der 'Vaterland'- Mann gab eine Erklärung ab, die man gar oft in den Spalten dieses perfidesten aller Blätter, das sich nicht geniert, wenn es ihm paßt, Bücherstellen falsch zu zitieren, als einen Vorwurf für die gegnerischen Organe lesen konnte, nämlich die Erklärung, daß es einem Blatte nicht möglich sei, jeden Bericht auf die Wahrheit zu prüfen. Als ob ein Blutmärchen ein Bericht wäre, dessen Wahrheit oder Unwahrheit für ein Blatt irrelevant ist!"


'Wiener Tagblatt",

Herausgeber: Moriz Szeps, 16. September 1893 (Leitartikel):


         

          'Da verschreibt sich ein bekannter antisemitischer Agitator, welcher das ehrfurchtgebietende Priesterkleid stündlich schändet, ein den Abhub {228} der Menschheit darstellendes Individuum als ein Werkzeug für die Verdächtigung gegen Millionen unschuldiger Menschen. Die beiden setzen sich zusammen, der eine unter dem Schein der Forschung und unter dem Vorwand, die Wahrheit feststellen zu wollen, der andere, um Geld zu verdienen und sein elendes Leben fristen zu können.

 

Der Pfarrer hört das Märchen, welches ihm der getaufte russische Jude auftischt mit Entzücken an und der getaufte Jude erklärte, er sei selbst dabei gewesen, wie ein Christenkind abgeschlachtet wurde. Daß der Pfarrer einer solchen Erzählung wirklich Glauben geschenkt hat, kann niemand annehmen, aber sie war ihm ein willkommenes Material für seine Anklagen, für seine Verleumdungen, für seine Verdächtigungen. Man kann es sich gar nicht danken, daß der Pfarrer von Weinhaus wirklich dem hergelaufenen Menschen Glauben geschenkt hat, als er seine Lügen beteuerte.

 

Man kann nicht annehmen, daß Pfarrer Deckert auch nur einen Moment gedacht haben konnte, die Behauptungen des Paulus Meyer beruhen auf Wahrheit. Denn Deckert hat das Vorleben Meyers gekannt, in welchem sich Abstrafungen wegen Vagabundage und Bettelei finden, er mußte es wissen, daß sein Genösse ein Schuft sei. Aber die Empfehlung des Dr. Rohling in Prag scheint dem Pfarrer Deckert  als ein genügender Beweis dafür gegolten zu haben, daß der ehemalige Judenmissionär Meyer die Wahrheit gesprochen habe, oder er scheint wenigstens in dieser Empfehlung einen Vorwand erblickt zu haben, dem Paulus Meyer Glauben schenken zu können.

 

In diesem Prozesse spielt Rohling die Hauptrolle, obschon er weder auf der Anklagebank erschien, noch im Zeugenraume au sehen war. Rohling, der sich auch gerne den Mantel des Forschers umhängt, ist der Hauptschuldige in dem Prozesse, dessen Bedeutung durch das Verdikt keineswegs erschöpft ist. Die Hauptsache ist, daß man wieder einmal das ganze antisemitische Gesindel beisammen gesehen hat, von Rohling angefangen bis herunter auf den Karl Paasch und den Paulus Meyer. Dieser Karl Paasch, welcher seit einem Jahr zwischen Arrest und Irrenhaus in Deutschland herumgeschleppt wird, hat in der 'Staatsbürger-Zeitung" und in Broschüren eine Hetze nicht allein gegen Juden, sondern gegen die höchsten Funktionäre des Deutschen Reiches betrieben und mit Recht befindet er sich jetzt in irrenärztlicher Untersuchung.

Dieser Paasch war es, welcher dem geistlichen Herrn Rohling die Ehre der Bekanntschaft mit Paulus Meyer verschaffte und Rohling war es, welcher dem Pfarrer Deckert das Vergnügen bereitete, ihm Paulus Meyer zu empfehlen und einen Bund zwischen den beiden schönen Seelen zu vermitteln, welcher allerdings im Gerichtssaal schmählich Schiffbruch gelitten hat.

 

Es war ein merkwürdiges Bild zu sehen, wie gestern vor den Geschwornen Paulus Meyer seine Unterschrift ableugnete und behauptete, den Brief an das 'Vaterland" habe die Braut des Meyer nach den Anweisungen des Pfarrers Deckert geschrieben. Und es war interessant zu sehen wie Pfarrer Deckert versicherte, Paulus Meyer habe den von der Braut des Meyer geschriebenem Brief mit seiner eigenhändigem Unterschrift versehen, als ob die Unterschrift dieses Menschen auf irgend einem Aktenstücke den geringsten Wert hätte.

So stritten der redselige Paulus Meyer und der hochwürdige Pfarrer von Weinhaus um eine Unterschrift, welche auch nicht die geringste Bedeutung besitzt, denn es ist wirklich gleichgültig, ob Paulus Meyer den Brief selbst unterschrieben oder ob Pfarrer Deckert die Unterschrift gefälscht habe. Zweifellos ist es ja der Pfarrer Deckert, weicher den Paulus Meyer veranlaßt hat, die Blutbeschuldigung zu erheben, und zweifellos ist es ferner, daß Paulus Meyer, um seinem Brotherrn erkenntlich zu sein und um eine Sustentation von hundert Gulden für den Monat zu erlangen, die Lüge mit seinem Worte bezeugte.

 

Der Pfarrer Deckert ist des Paulus Meyer würdig und Paulus Meyer des Pfarrers Deckert. Drei Stimmen der Geschwornen waren der Meinung, daß der Pfarrer Deckert den Brief verfaßt habe. Es ist also auch auf der Geschwornenbank das Urteil über den Charakter des Pfarrers Deckert zum Ausdruck gelangt, welcher sich mit einem Individuum vom Schlage des Paulus Meyer einläßt um damit seinem Hetzbedürfnisse Befriedigung zu verschaffen.

 

          Der Prozeß hat mit der Verurteilung aller Angeklagten geendet, aber viel wichtiger als das Urteil sind die Tatsachen, welche sich aus dem Verlaufe des Prozesses ergeben haben und welche, richtig verstanden, auf den öffentlichen Geist vorteilhaft einzuwirken vermögen. Es hat sich herausgestellt, daß eine Person im geistlichen Gewande eine förmliche Konspiration eingeht mit einem der miserabelsten Individuen, welche je gelebt haben, daß ein Pfarrer sich eines aus der ganzen Welt weggepeitschten Konvertiten bedient, um angebliche Beweise für Verdächtigungen und Verleumdungen zu schaffen. Diese Tatsache gibt nicht allein über die Mittel zu denken, welche die antisemitische Agitation benutzt, sondern sie zeigt auch, wie weit die Verbitterung des öffentlichen Geistes getrieben wird, wenn schon ein Pfarrer sich zu einer so unmoralischen, ja verbrecherischen Handlung hergibt.

 

Die sogenannte Judenfrage hat viele Kopfe verwirrt, aber so sehr ist das öffentliche Gewissen noch nicht vergiftet, daß selbst antisemitisch denkende Menschen, wenn sie nur noch auf allgemeine Achtung Anspruch erheben und wenn sie die Selbstachtung nicht verlieren wollen, ein solches Vorgehen zu billigen vermöchten. Das wird jenen Personen, welche in der Antisemitenfrage eine akademische Angelegenheit zu erblicken gewohnt sind, vielleicht die Augen öffnen und sie werden erkennen, wohin eine Bewegung führt, welche die Gewalttätigkeit zum Ziele hat und welche die Gewalttätigkeit als Mittel benützt.

 

Wir wissen, daß der Antisemitismus bis an hohe Kreise hinanreicht, und wir können Äußerungen von hohen Würdenträgern erzählen, welche mit einer gewissen Schonung und Billigung von der antisemitischen Bewegung sprechen, die aber erblassen, wenn die Stimme dar Vernunft ihnen entgegentritt mit der Bemerkung, eine solche Bewegung kann nur mit Plünderung und Brandlegung, mit Mord und Totschlag enden. Möge der eben beendete Prozeß eine Warnung für alle jene sein, {230} welche den Antisemitismus entweder aus persönlicher Eitelkeit oder aus Verblendung ihres Geistes 'akademisch" betreiben, und auch für jene, welche nach ihrer Erziehung gewohnt sind, alles als Sport zu pflegen und die auch in dem Antisemitismus ein billiges Sportvergnügen erblicken, welches um so billiger ist, als dabei keine besonderen Kraftleistungen zu vollbringen sind, kein Hafer gefressen wird und keine teuren Jockeys unterhalten werden müssen.

 

Für diese hohen Kreise ist dieser Prozeß eine Lehre, nicht die bösen Instinkte der niederen Kreise aufzustacheln; denn die einmal entfesselte Leidenschaft fragt nicht nach der Abstammung des Opfers und sie bleibt gewiß nicht beim Juden stehen."


 

Die offiziöse 'Montags-Revue" erklärte:


 

          'Wir gestehen ganz offen, daß das 'Vaterland", indem es den Brief in seine Spalten aufnahm, der ganzen österreichischen Presse ohne Unterschied der Parteistellung einen schweren Schaden zufugte und für sich selbst den Anspruch, ein Blatt gebildeter Leute zu sein, verwirkte.

          Ein so hervorragendes Organ der öffentlichen Presse, das noch dazu einem Leserkreise dient, in welchem die Begriffe von Wahrheit und Ehre auf die Degenspitze geschrieben sind, dürfte sich nicht zu einer Veröffentlichung hergeben, welche den Stempel der böswilligen Erfindung und niederträchtigsten Verleumdung deutlich an der Stirn trug, dafür war weder die Lust am Skandale, noch das priesterliche Kleid des Herrn Dr. Deckert eine ausreichende Deckung."



'Neues Wiener Tagblatt", 16. September 1893:


Ein Seelsorger vor Gericht.

 

          Die gestrige Verhandlung vor dem Wiener Landesgerichte machte den Eindruck, als ob das Jahrhundert, in dem wir leben, plötzlich in eine Versenkung hinabgetaucht und an dessen Stelle eine Zeit heraufgezogen sei, welche wir nur aus den Bildern kennen, die die Geschichte vor ihr hinwirft.

 

 Von dem fernen Nordosten her, aus Rußland dringt die Stimme der Ankläger; unter den Angeklagten sitzt ein Pfarrer, dem die Seelsorge so viel Zeit und Anregung bietet, sich mit der 'Erforschung" der Blutritual-Angelegenheit zu beschäftigen und neben ihm eine jener abstrusen Existenzen, welche durch konfessionelle Konversion und eine eigentümliche Geistes- und Charakteranlage die Sympathien der Rohlinge zu gewinnen verstehen; Gegenstand der Anklage ist die den Klägern durch die Beschuldigung einer rituellen Bluttat zugefügte Ehrverletzung.

 

          Was aus dieser Verhandlung, deren Verlauf unsere Leser ja bereits kennen, ganz besonders hervorsticht, das ist die Gestalt jenes Priesters, von dem als einem der Angeklagten eben die Rede war. Da steht freilich auch der Paulus Meyer! Allein die verworrene Welt, die sich in diesem Kopfe spiegelt - wen interessiert das? Mit solchen Menschen befaßt sich niemand gern, als - der Pfarrer Dr. Deckert und Genossen.

 

Aber eben von ihm, diesem Pfarrer von Weinhaus, wollen wir reden, von diesem Manne, der in verblüffender Unterschätzung dessen, was wissenschaftliches Studium und wissenschaftliches Urteil ist, die große Muße, welche ihm sein geistliches Hirtenamt übrig zu lassen scheint, dazu benützt, auf Grund konfuser Zeugenschaft eine so schreckliche Beschuldigung, wie es das Blutrituale ist, der Welt als eine erwiesene Tatsache vorzuführen. Herr Pfarrer Deckert ist seit dem Prozesse ein bedauernswerter Mann - wir wissen das. Das Dilemma, in  welches er durch das von ihm selbst heraufbeschworene Schicksal geraten, umfaßt ihn wie ein Schraubstock. Jede Entschuldigung, die er vorbringt, ist eine Selbstanklage - wo er hinblickt in seiner Ratlosigkeit, es dräut von allen Seiten das unerbittliche: Entweder - oder!

 

Entweder hat der Herr Pfarrer Dr. Deckert den Paulus Meyer durchschaut - dann ist die Schrift, die er auf Grund der Meyerschen Aussage verfaßte, eine Unwahrheit und mit dem theologischen 'Forscher" Deckert ist es aus für alle Zeiten! Oder aber, der Herr Pfarrer Deckert besaß nicht die elementare Menschenkenntnis, welche notwendig ist, um eine Paulus Meyer-Erscheinung auf den ersten Blick zu erkennen - dann wird man wiederum fragen müssen, wieso ein solcher Mann  an der Spitze einer Seelsorge stehen kann, in einem Amte, welches sich damit beschäftigt, die Gewissen zu dirigieren und welches seinem ganzen Wesen nach mehr Menschenkenntnis erfordert, als jedes andere? Und erst recht wirf dann neuerdings die Frage aufzuwerten sein, wieso Herr Pfarrer Deckert, da er dann doch gezeigt hätte, daß ihm auch das geringste Beobachtungstalent abgeht, auf den Namen eines 'wissenschaftlich" tätigen Mannes Anspruch erheben kann?

 

          Trotzdem aber der bedauernswerte Mann sich in der logischen Zwingburg dieses 'Entweder - oder" befindet, können wir doch nicht umhin, gerade an ihm die Bedeutung des gestrigen Prozesses zu messen.

 

          Denn Dr. Deckert ist keine Originalfigur. So sind sie alle, seine Gesinnungsgenossen. - Ein von Fanatismus getrübter Blick - dunkle Existenzen und phantastisch kommentierte Dokumente als Zeugen - Unkenntnis der wissenschaftlichen Methoden - damit operieren sie bis hinauf zu der ungeheuerlichen Beschuldigung des rituellen Blutmordes. Nur in einem ist der Herr Pfarrer Deckert allen anderen noch überlegen. Rohling hatte wenigstens seinen edlen Konfrater Brimanus, der mit einer grenzenlosen Schlauheit ausgestattet, auch einen in der Zeugensuche peinlicher besorgten Mann als es Rohling ist, allenfalls täuschen könnte. Aber gestern?

Da stand ja ein Mensch, der nur ein Wort zu sprechen brauchte, um sofort allen Glauben an ihn zu ersticken. Und als er erst ausführlich zu sprechen begann und sich in der ungeschicktesten, unbeholfensten Weise bloßstellte, in einer Weise, die den Vorsitzenden selbst 'nervös" machte, da konnte es doch {232} bei niemandem mehr zweifelhaft sein, mit was für einem Geisteskinde man es da zu tun habe.

 

          Nichtsdestoweniger - dieser selbe Mensch, dieses konfuse, einer Konfession entsprungene, aus einer dubiosen Situation in die andere geworfene Geschöpf stellt sich eines Tages vor den Pfarrer von Weinhaus hin, offeriert ihm eine Empfehlung von Rohling und einen Antrag, gegen die Juden zu schreiben und - Dr. Deckert betrachtet diesen Menschen als willkommenen Zeugen für eines der dümmsten Phantasiestücke, das in Rußland erlebt worden sein sollte, als eine Art Imprimatur für die eigenen (des Pfarrers) Anschauungen über das Blutritual.

 

Ja, der Seelsorger nimmt diesen Menschen bei sich auf, er besoldet ihn für die Verfassung von Ritualmordschriften, er kneipt mit diesem ausgezeichneten Schriftsteller, dem eine Geliebte die Briefe korrigieren muß, stundenlang in die Nacht hinein in anmutigem Geplauder 'über das Leben der Israeliten", mit diesem Mann, dem ein Herr Vergani - wir bitten - verächtlich den Rücken kehrt! Dennoch hat Herr Pfarrer Deckert während der Verhandlung sich einmal in die Brust geworfen mit dem Paragraphen XVII unserer Staatsgrundsätze:

'Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei." Also so faßt Dr. Deckert dieses Gesetz auf? 'Die Wissenschaft ist frei", heißt: 'Wir sind so frei, alles wahr zu behaupten, was uns gefällt, mit und ohne Argumente". Ja wohl. Das Argument Paulus Meyer war dem Pfarrer von Weinhaus vollauf genügend, eine Schrift zu publizieren, in welcher er von den 'Tatsachen" des Blutrituales spricht, vollauf genügend, eine so furchtbare Beschuldigung mit dem Scheine eines religionsgeschichtlichen Forschers (sit venia verbi) neuerdings zu erheben.

 

          Und nun? Was jetzt? Was denkt sich Dr. Deckert in dem Augenblicke, nachdem nicht nur die ausgezeichnete Rede Dr. J. Kopps und das vernichtende Urteil des Verteidigers Griez de Ronze auf ihn herabgeprasselt, sondern die trivialen Tatsachen des Prozesses überhaupt ihn über die Fadenscheinigkeit seiner 'Beweise" belehrt haben? Da ist ja seine Schrift, welche er auf das Zeugnis des Paulus Meyer gegründet; da ist der Paulus Meyer, dessen Unglaubwürdigkeit kein Mensch mehr bezweifeln kann - wird Herr Pfarrer Deckert seine Schrift aus dem Buchhandel ziehen oder wird er der einzige sein wollen, der an Paulus Meyer glaubt? Da steht es eben wiederum, das furchtbare Dilemma: Entweder - oder! Es gibt in keinem Falle eine Rettung. Der Pfarrer Deckert ist in der Sackgasse stecken geblieben; er hat ein logisches Grab gefunden, aus welchem ihm niemand mehr herauszuhelfen vermag.

 

          Die schöne Erinnerung, welche der Herr Pfarrer aus dem gestrigen Prozesse in sein weiteres Leben nimmt, wird ihm vielleicht - wir sagen 'vielleicht" - künftighin das Geschäft des Blutritualforschens verleiden oder ihn wenigstens dazu bewegen, sich bei Gelegenheit an einen Sachverständigen zu wenden, der ihm die Grundzüge der wissenschaftlichen Methoden, namentlich des wissenschaftlichen Beweisverfahrens, auseinandersetzt. {233}

 Immer aber wird es dieses drastische Exempel des gestrigen Prozesses sein, auf welches die Finger hinzeigen werden, sobald in gewissen geistlichen Kreisen die Neigungen des Unfriedenstiftens und Verhetzens ostentativ zum Vorschein kommen sollten.