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ldn-knigi.narod.ru/Judaica.htm      03.2003

 

 

Max Brym, Juli 2002

 

 

Wider die kenntnislose antizionistische Agitation


Sinn und Unsinn der Zionismuskritik

 

Dialektik statt erklärtem Antizionismus

Es ist in Deutschland von seiten der Palästina-Solidaritätsbewegung ein erklärter Antizionismus hör- und lesbar. Viele Deutsche, die die israelische Regierungspolitik angreifen, gehen bedenkenlos mit der Parole "Gegen den Zionismus" auf die Straße. Vergessen oder ignoriert wird hierbei: Der "Kampf gegen den Zionismus" ist mittlerweile eine beliebte Propagandafloskel der extremen Rechten, um den eigenen Antisemitismus zu tarnen.

Gleichwohl könnte die Verwendung des Begriffs Zionismus legitim sein, wenn er wissenschaftlich untermauert wäre und der Zionismus tatsächlich nur die politische Reaktion darstellen würde.

Dem ist aber nicht so; nicht umsonst formulierte der marxistische Historiker Isaak Deutscher nach der Shoa: "Meinen Antizionismus, der auf mein Vertrauen in die europäische Arbeiterbewegung basierte, habe ich natürlich längst aufgegeben." Deutscher schrieb an seinem Lebensabend: "Wenn ich in den zwanziger und dreißiger Jahren, statt gegen den Zionismus anzugehen, die europäischen Juden aufgefordert hätte, nach Palästina zu gehen, hätte ich womöglich geholfen, einige Menschenleben zu retten, die später in Hitlers Gaskammern ausgelöscht wurden."

Wer vermag diesen Gedanken zu bestreiten? Es ist notwendig, Nachdenklichkeit und Dialektik wieder in "linke" Gehirnwindungen hineinzubekommen.

Wer mit dem Zionismus nichts anfangen kann, sollte zumindest den Streit mit dem Zionismus so führen wie Karl Radek auf dem zweiten und dritten Weltkongreß der Komintern. Auf jenen Kongressen waren die Vertreter der Partei "Poalei Zion" (Arbeiter Zions) als Gastdelegierte vertreten. Mit dem heutigen historischem Abstand sind aber auch die Argumente der Linkszionisten auf den Kongressen nicht ganz von der Hand zu weisen. Sie teilten nicht den Geschichtsoptimismus von Radek, wonach die "Judenfrage in der SU praktisch automatisch gelöst werde". Himmelweit unterschied sich dennoch der damalige Umgang der Komintern mit dem Zionismus von dem, was heute als "Antizionismus" daherkommt.

Heutzutage wird meist kenntnislos auf den Zionismus eingedroschen und - nebenbei bemerkt - das Existenzrecht Israels in Frage gestellt.

Ob das irgendeinem Palästinenser oder Israeli hilft darf mehr als bezweifelt werden. Es gibt momentan nur die Chance, unter der Losung "Israel und Palästina - zwei Staaten ein Frieden" zu agieren. Jede andere Position ist nationalistisch und ignoriert das Selbstbestimmungsrecht der einen oder anderen Seite.

Wer unbedingt über den Zionismus streiten will, sollte sich zuerst über die Genesis der Bewegung kundig machen und die aktuelle Differenziertheit im Zionismus wahrnehmen. Dazu sind die folgenden Zeilen gedacht.

 

Sinn und Unsinn der Zionismuskritik

 

Weit verbreitet ist die Kritik am Zionismus. Dem Zionismus wird unterstellt, eine rassistische extrem nationalistische Bewegung darzustellen. Viele sogenannte Linke dreschen angesichts der aktuellen Ereignisse in Israel mit der Begrifflichkeit Zionismus um sich.

Einige entblöden sich nicht, dem Zionismus faschistoide Züge anzuheften. Der Zionismus ist, wenn es nach vielen deutschen "linksstehenden" Menschen geht, eine reaktionäre Bewegung.

Völlig vergessen wird in diesem Zusammenhang die Dialektik, die ein undifferenziertes Schwarz-Weiß-Schema bekanntlich ausschließt. Der Autor dieser Zeilen ist jemand, der in dieser Frage an Marx festhält. Jener kritisierte bekanntlich Ferdinand Lassalle aufgrund seiner Einschätzung, wonach es sich bei den Junkern und dem deutschen Bürgertum um "eine einheitlich reaktionäre Masse" handelt. Marx differenzierte, untersuchte Dinge konkret, was ihn positiv unterschied von dem heutigen Zionismuskritiker.

Der "linke" Zeitgeist schlägt auf den Zionismus ein, ohne zu wissen, worum es sich dabei eigentliche handelt. Es dürfte nur bekannt sein, daß sich hinter dem Zionismus Juden verbergen.

Diese sind also eine "reaktionäre Masse", eine genaue historische und aktuelle Untersuchung ist für den bundesdeutschen "Linken" unnötig.

Dem Autor dieser Zeilen geht es darum, eine vernünftige Debatte in Gang zu bringen. Deshalb wird der Versuch gewagt, in aller Kürze einige Fakten zu vermitteln, um der unsäglichen antizionistischen Schaumschlägerei zu begegnen. Eine Positionierung für die eine oder andere zionistische Richtung wird in diesem Artikel nicht zu finden sein.

 

Die Entstehung des Zionismus

 

Die Entstehung des Zionismus kann nicht begriffen werden, ohne den Antisemitismus in Betracht zu ziehen.

Das Scheitern der Assimilation der Juden ist eine historische Tatsache.

Der Freiheitsgedanke der bürgerlichen Aufklärung hatte für die Juden bereits einige problematische Haken.

So erklärte Fürst Clemont Tonnerre in der französischen Nationalversammlung 1789: "Man gewähre den Juden alles als Individuen - nichts aber als Nation."

Die Anhänger der bürgerlichen Aufklärung machten sich diesen Spruch bewußt oder unbewußt zu Eigen, darunter auch Moses Heß. Dessen Grabstein im Rheinland ziert der Spruch "Vater der deutschen Sozialdemokratie".

Der Jugendfreund von Marx entwickelte sich allerdings in seinen späteren Jahren zum jüdischen Patrioten und verfaßte 1862 die Schrift "Rom und Jerusalem".

Der frustrierte Heß formulierte in dem Buch u.a.: "Die Deutschen hassen weniger die Religion der Juden, als ihre Rasse, weniger ihren eigentümlichen Glauben, als ihre eigentümlichen Nasen." (Rom und Jerusalem, S. 25)

Der aufgeklärte Anhänger der Assimilation, Theodor Herzl, erlebte Mitte der 90er Jahre des vorletzten Jahrhunderts einen doppelbündigen Schock. Der in Wien lebende Herzl sah den Aufstieg des Antisemiten Karl Lueger zum Bürgermeister von Wien. Zur selben Zeit verfolgte er als Journalist den unsäglichen Dreyfus-Prozeß in Frankreich.

Die ersten Schriften Herzls sind Ausdruck der Verzweiflung über das Scheitern der Integration der Juden in die bestehenden bürgerlichen Gesellschaften.

Im Oktober 1894 verfaßte er das Stück "Das neue Ghetto". "Das neue Ghetto" war nichts anderes als die Kritik eines assimilierten Juden an der Assimilation. In dem Stück kritisierte Herzl sich in Wirklichkeit selbst, denn noch im Jahr 1894 verließ der Wiener Oberrabbiner die Wohnung Herzls, als er in jener einen Weihnachtsbaum entdeckte.

Das bekannteste Werk von Herzl wurde 1896 in Wien publiziert unter dem Titel "Der Judenstaat, Versuch einer modernen Lösung der jüdischen Frage".

Wer das Werk liest, wird keine einzige rassistische Passage finden. Eher eine nüchterne Gebrauchsanleitung zum Aufbau eines Staates. Die Schrift ist im wesentlichen pragmatischer Natur, die meisten Kapitelüberschriften haben zweckorientierten Charakter, sie tragen Namen wie "Immobiliengeschäft", "Der Landkauf", "Arbeiterwohnungen", "Arbeitshilfe" usw.

Das Problematische an Herzls Schrift ist, daß er sich das damalige Palästina als "ein Land ohne Volk, für ein Volk ohne Land" vorstellt.

Dies ganz im Gegensatz zu Achad Ha Am, einem Kulturzionisten aus Odessa. Jener nahm die arabische Bevölkerung von Anfang an wahr und galt somit zur damaligen Zeit als Hauptrivale Theodor Herzls. Herzl nahm als Kind seiner Zeit, der Zeit des Kolonialismus, die Ansprüche der eingesessenen Bevölkerung nur teilweise zur Kenntnis.

Dort wo er die einheimische Bevölkerung entdeckte, findet sich kein chauvinistisches oder rassistisches Wort. Zum Beleg: "Und fügt es sich, daß auch anders Gläubige, anders Nationale unter uns wohnen, so werden wir ihnen einen ehrenvollen Schutz und die Rechtsfreiheit gewähren." (Herzl, Gesammelte Werke, Bd. 1, S. 95)

Sein Gesellschaftsmodell beruht keinesfalls auf dem Modell des klassischen europäischen Nationalstaates, sondern er orientierte auf einen freiwilligen Zusammenschluß aller daran interessierten Personen. Herzl ging es im wesentlichen um die Rettung der Juden auf bürgerlicher Grundlage, im teilweisen Widerspruch zu den hauptsächlich aus Rußland stammenden Kulturzionisten. Jenen ging es nicht nur um die Rettung der Juden, sondern um die Rettung des Judentums.

Die zionistische Bewegung hatte lange vor Herzl in Rußland eine Massenbasis gefunden aufgrund der Progrome nach dem Attentat auf Zar Alexander 1881. Im Jahr 1882 schrieb der bis dato assimilierte jüdische Arzt Leo Pinsker das Buch "Autoemanzipation". Das Buch spiegelt den Geschichtspessimismus und die Verzweiflung des Autors in Sachen "Emanzipationsmöglichkeit" wieder.

Die erste große Auswanderungswelle nach Palästina von Juden erfolgte nach den Pogromen in Rußland ab dem Jahr 1881.

 

Die Differenziertheiten im Zionismus

 

Es besteht hier nicht die Möglichkeit die gesamte zionistische Literatur und die politische Zersplitterung des Zionismus nachzuzeichnen.

Die Darstellung kann nur methodische Hinweise vermitteln, um den Themenkomplex zu erfassen. Vieles ist von daher kurz gefaßt und der Schreiber dieses Artikels ist sich des Risikos, divers interpretiert zu werden, durchaus bewußt.

Dennoch der Versuch in aller Kürze den Zionismus zu unterteilen.

Es gab liberale Zionisten, religiöse Zionisten, sozialistische Zionisten und die revisionistischen Zionisten.

Zu den allgemeinen oder liberalen Zionisten sind Personen wie Herzl, Weizmann oder Nahum Goldmann zu rechnen.

Die "sozialistischen" Zionisten, die die Partei Poalei Zion (Arbeiter Zions) gründeten, waren die bestimmende Kraft unter den Juden in Palästina ab der zweiten Einwanderungswelle 1905 aus Rußland. Für diese Strömung stehen Namen wie Syrkin, Ber Borochov und Berl Katznelson. Diese Strömung hatte als ideologische Grundlage die Schaffung eines jüdisch sozialistischen Staates, um im Zuge der sozialistischen Weltrevolution eine normale sozialistische Nation unter anderen bilden zu könnten.

Sie lehnten die Zusammenarbeit mit jüdischen Kapitalisten aus der Diaspora ab, die Grund und Boden von arabischen Großgrundbesitzern erwarben, die meist in Beirut oder Paris lebten, weil sie die Unterwerfung unter das Profitstreben des jüdischen Kapitalisten negierten. So ist die Entstehung der Kibbuzim zu erklären.

Die Crux an der Ideologie der "sozialistischen" Zionisten war, daß sie von der Wiedereroberung der Arbeit und des Bodens bezogen auf die Juden ausgingen. Von daher integrierten sie keine Palästinenser in ihre Projekte. Dennoch ist anfangs noch vom gemeinsamen Klassenkampf mit der arabischen Bevölkerung gesprochen und geschrieben worden. Die "sozialistischen" Zionisten haben durchaus unfruchtbares Land fruchtbar gemacht. Demzufolge etwas entwickelt, woran kein "Kapitalist" oder "Spekulant" interessiert war.

Die religiösen Zionisten bildeten zu Beginn des Zionismus eine kleine Minderheit. Bekanntlich sagt die jüdische Orthodoxie, daß das Land Israel nur von Gott kommen könnte. Ein kleiner Teil von religiösen Juden unterstützte anfangs den Zionismus als sogenannte Vorform der göttlich Verheißung. Allerdings konnten sie wenig mit den "sozialistischen" Zionisten und mit Theodor Herzl anfangen, der in seinen Schriften "die Religion auf den Tempelberg verbannen wollte".

Eine andere Gruppe waren die Zionisten-Revisionisten um Jabotinsky. Jene spalteten sich 1929 von der Hauptströmung des Zionismus ab. Nachdem die zionistischen Weltkongresse 1921, 1925 und 1929 Resolutionen annahmen zur Verständigung und zur Zusammenarbeit mit den Arabern.

Jabotinsky schloß eine Verständigung mit den in dem Gebiet lebenden Palästinensern prinzipiell aus. Eine völlig anders geartete Position hatte die Strömung um Martin Buber, die von einem binationalen Gebilde in der Region träumte. Sie unterbreiteten den arabischen Führern zig Angebote zur Zusammenarbeit, die stets unbeantwortet blieben. Zu dem von Buber inspirierten "Haus des Friedens" bekannte sich auch Dr. Arthur Ruppin, der in Israel bis heute als Vater der Siedlungsbewegung gilt. Jener schrieb in seinem Buch "Soziologie der Juden" von 1931 Folgendes: "Auf den zionistischen Kongressen von 1921, 1925 und 1929 ist der Wusch nach Zusammenarbeit mit den Arabern ausgesprochen und anerkannt worden, daß in Palästina keine Nationalität über die andere herrschen darf."

Er schrieb von einem Staatswesen, "in dem Juden und Araber als zwei gleichberechtigte Nationalitäten nebeneinander leben sollten". Er nannte dies den binationalen Charakter Palästinas. Auf diese Gedanken ließen sich weder die arabischen feudalen Führer, noch die zionistischen Revisionisten um Jabotinsky ein.

 

Resümee

 

Die methodische Untergliederung der zionistischen Bewegung und die nötige Differenziertheit ist unabdingbar, um die heute in Israel bestehende Lage zu begreifen.

Ein Hau-Drauf-Antizionismus ist eine Phrase, die gemeingefährlich ist. Gefährlich deshalb, weil das Hauptanliegen des historischen Zionismus, einen jüdischen Staat mit allen Rechten für die dort lebenden Minderheiten zu schaffen, abgelehnt wird.

Damit wird das Existenzrecht Israels in Frage gestellt.

Der prinzipielle Antizionist ist jemand, der das Selbstbestimmungsrecht der Israelis ignoriert und stattdessen nur das Selbstbestimmungsrecht für die Palästinenser gelten läßt.

Statt zu erkennen, es gibt die Realität Israel, es gibt aber auch die Notwendigkeit den Palästinensern ihre Rechte zu gewähren, was unter den momentanen Bedingungen nur heißen kann: "Israel und Palästina - zwei Staaten ein Frieden".

Die Diskussion über den Zionismus hat in Seminaren stattzufinden und wissenschaftlich auch die Probleme der Bewegung in ihrem historischen Rahmen zu analysieren. Keinesfalls darf eine hirn- und kenntnislose antizionistische Agitation auf der Straße hingenommen werden. Denn häufig ist dies aufgrund des Kenntnisstandes der selbsterklärten deutschen "Antizionisten" nichts anderes als Antisemitismus.

 

aus der Website -   http://www.members.partisan.net/maxbrym/html/as_wider.htm