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Zusätzliches Material für  - Irene Harand,  'Harand Bewegung'; Buch 'Sein Kampf'

 

 

Quelle: http://www.heilmile.de/religion/index.html

 

 

 

Michael von Faulhaber: Als ein herausragender Bischof galt er seinen Zeitgenossen. Doch heute prägen die Kritiker das Bild des Oberhirten, der vor 50 Jahren starb.

 

Autor: KONRAD LÖW

 

 

Während sich am 12. Juni 1952 die Fronleichnamsprozession durch die Straßen Münchens bewegte, starb der Oberhirte der Stadt und der Erzdiözese, Michael Kardinal Faulhaber. Zufall oder Fügung? Das fragten sich viele, die ihn über Jahre hinweg als Monstranzträger in feierlicher Formation, als wortgewaltigen Prediger und charismatischen Bischof hatten erleben dürfen - so auch der Autor dieses Beitrages.

 

Nicht nur das katholische Deutschland trauerte, auch die Presse der freien Welt nahm starken Anteil und würdigte seine standhafte Haltung während der Hitlerzeit. Landesrabbiner Ohrenstein sprach vom "Verlust eines der größten Menschen unseres Zeitalters". Bereits Mitte der dreißiger Jahre sah die englische Presse in ihm "Germany's leading catholic figure".

 

Dennoch gibt es bis heute keine Biographie. Liegt es an der ungeheuren Materialfülle, die zu bewältigen wäre? Das Faulhaber-Archiv umfasst etwa 100 Regalmeter mit 3000 Akten, wobei der Einzelakt bis zu 100 Schriftstücke enthält. Hinzu kommen die privaten Aufzeichnungen. Um sich für die Lebensbeschreibung zu qualifizieren, müsste man nicht nur in der Theologie, sondern auch in Kirchen- und Zeitgeschichte bewandert sein.

 

 

 

Was wußten die Menschen?

 

Faulhaber wurde am 5. März 1869 in Klosterheidenfeld, Unterfranken, als drittes von sieben Kindern eines Bäckers und Landwirts geboren. Obgleich er wegen seiner Leistungen die Voraussetzungen für die Hochbegabtenförderung erfüllte, trat er nach Ableistung des Wehrdienstes zwanzigjährig ins Priesterseminar Würzburg ein. 1892 wird er zum Priester geweiht, 1899 zum Privatdozenten ernannt. 1903 erhält er den Ruf auf den Lehrstuhl für alttestamentliche Exegese und biblische Theologie in Straßburg. Bereits 1910 Bischof von Speyer, 1917 Erzbischof von München und Freising, folgt 1921 die Aufnahme ins Kardinalskollegium. Am 4. November 1936 ist er bei Hitler auf dem Obersalzberg zu einem dreistündigen Gespräch. 1939 nimmt er am Konklave zur Wahl des Nachfolgers von Pius XI. teil. Mit dem neuen Papst, Pius XII., ist er seit dessen Tagen als Nuntius in München bestens vertraut.

 

In einer Pressemitteilung des Erzbischöflichen Ordinariats München anläßlich des 50. Todestages heißt es einleitend: "Faulhabers Amtsführung, vor allem während der Jahre des nationalsozialistischen Regimes, wird im Widerstreit gegensätzlicher Meinungen unterschiedlich gesehen und gewertet." Wenn wir an die Nachrufe denken, so sehen wir einen ähnlichen Urteilswandel wie bei Pius XII. Wie ist er zu erklären? Wann wußten die Menschen über jene finsteren Jahre und ihre Akteure besser Bescheid, damals oder heute? Die Zahl einschlägiger Publikationen hat enorm zugenommen, und trotzdem oder zugleich wächst der Nebel, geraten Fakten, die damals jedermann kannte, in Vergessenheit. Es lohnt die Mühe, sich das Gesagte zumindest an einem markanten Beispiel zu vergegenwärtigen: In einem im Jahr 2000 erschienenen Buch steht: "Dann folgt die 'Reichskristallnacht'. Spätestens jetzt wäre ein in aller Welt unüberhörbarer Protest notwendig. Doch nichts geschieht, und so hat Faulhaber weiter seine Ruhe."

 

 

 

Objekt der Ausschreitungen

 

Diese Sicht teilen heute viele, auch Experten. Sie stellt die Wirklichkeit auf den Kopf: Am 9. November 1938 erlag der Legationssekretär an der deutschen Botschaft in Paris den Verletzungen, die ihm ein Jude zugefügt hatte. "Spontaner Volkszorn" entlud sich in der Reichspogromnacht. Das ist allgemein bekannt. Weitestgehend unbekannt aber ist heute, was damals jedes Schulkind wusste. Nach Ansicht der Nationalsozialisten hatte das "jüdische Mordgesindel" Bundesgenossen, und das waren in erster Linie "die Schwarzen", die katholische Kirche und die kirchentreuen Christen. Dies verkündete Woche für Woche "Der Stürmer", und dies stand mit gewählteren Worten auch in den Schulbüchern.

 

Am 11. November 1938 brachte das meistgelesene Blatt des Reiches, der "Völkische Beobachter", einen "Aufruf an alle". In der Münchener Ausgabe hieß es: "Das nationalsozialistische München demonstriert heute Abend 20 Uhr in 20 Massenkundgebungen ... gegen das Weltjudentum und seine schwarzen und roten Bundesgenossen." Das Oberhaupt der "schwarzen Bundesgenossen" war natürlich kein anderer als Faulhaber. Auch das wusste jedes Kind und erst recht der braune Pöbel, der in den Straßen der "Hauptstadt der Bewegung" grölte: "Die alte Judenschande ist endlich ausgefegt,/ Die schwarze Lügenbande wühlt weiter unentwegt./ Du, deutsches Volk, sag, muss das sein,/ Dass dich bespuckt das schwarze Schwein?/ Wenn nicht, so dresche doch darauf,/ Dass Funken fliegen hoch hinauf./ Deutsche Männer, deutsche Frauen,/ Jetzt ist's genug mit der Faulhaberei ... An den Galgen, den er längst verdient!"

 

Es kam, was kommen musste. Auch der Bischofssitz wurde zum Objekt der Ausschreitungen. Der Hausherr selbst notierte in sein Tagebuch: "Auf der ganzen Straße erhob sich ein ohrenbetäubendes Schreien und Johlen und Pfeifen, und kaum zwei Minuten später prallten die ersten Steine an die Fensterscheiben und die nach innen liegenden Fensterläden...unter lautem Geheul ein wahres Trommelfeuer von Steinwürfen gegen die acht Fenster im Erdgeschoss und gegen die neun Fenster im ersten Stock an der Straßenseite." Die Scheiben gingen zu Bruch. Das Tor des Bischofshauses hielt jedoch dem Versuch stand, es mit einem Balken aufzubrechen. Alfred Schwingenstein, später Mitherausgeber der "Süddeutschen Zeitung", notierte damals als Neunzehnjähriger in sein Tagebuch: "Am Bischofshof sind im Erdgeschoss und im ersten Stock alle Fenster und Fensterstöcke zertrümmert. Man sagt, am Dom sei Papier gelegen. Flammen in ihm wären wohl das Zeichen des Endkampfes gewesen gegen die so genannten schwarzen Bundesgenossen ... Mittags erfahre ich dann, dass auch in unserer Sakristei und im neuen Pfarrhof 32 Scheiben zertrümmert seien. Aus fast allen Kirchen liegen ähnliche Meldungen vor."

 

 

 

Verhaftung des Referenten

 

Das also war die "Ruhe", die der Bischof 1938 und danach nach Ansicht seiner Kritiker genießen durfte. Wer von den Nachgeborenen verfügt über die Fähigkeit, sich die ungeheure permantente nervliche Belastung zu vergegenwärtigen, die derlei Aktionen auslösten, die jederzeit wiederholt, ja gesteigert werden konnten? 1941 folgte der nächste schwere Schlag, die Verhaftung seines persönlichen Referenten für kirchenpolitische Angelegenheiten, des späteren Weihbischofs Johannes Neuhäusler, und Einweisung ins KZ Dachau, und zwar an des Bischofs statt. Erst die deutsche Niederlage brachte ihm die Befreiung. Von all dem wollen die Kritiker nichts wissen.

 

Es gibt Äußerungen Faulhabers, die beim ersten Hören zumindest missbilligendes Kopfschütteln hervorrufen. Eine davon befindet sich in einem Brief an Hitler, verfasst anlässlich der Verabschiedung des Reichskonkordates im Sommer 1933. Faulhaber schloss seinen von höchster Anerkennung für die "weltgeschichtliche" Tat getragenen handschriftlichen Brief mit der Versicherung: "Uns kommt es aufrichtig aus der Seele: Gott erhalte unserem Volke unseren Reichskanzler." Er hob hervor, welche "Großtat" dieser Handschlag mit dem Papsttum für Deutschlands Ansehen "nach Westen und Osten und vor der ganzen Welt" bedeute.

 

Könnte es nicht sein, dass der Bischof mit diesem feierlichen öffentlichen Lob vor aller Welt Hitler beim Wort und bei der Ehre nehmen wollte? In aller Regel bleibt auch ein ganz wesentlicher Teil des Briefes unerwähnt, nämlich der Satz: "Krönen Sie die große Stunde mit einer großmütigen Amnestie für jene, die ohne Verbrechen, nur wegen einer politischen Gesinnung in Schutzhaft sind und mitsamt ihren Familien seelisch furchtbar leiden." Nur eine ganz tiefe Verbeugung ließ hoffen, dass sich der inzwischen schier allmächtige Führer zu einem Gnadenakt zugunsten der in den KZ schmachtenden politischen Gegnern herablassen würde. Darf man Faulhaber diesen Kniefall anlasten, oder muss man ihm dafür danken?

 

Ins Schwarze trifft die Feststellung, Hitler sei für die Kirche und daher auch für Faulhaber rechtmäßige Obrigkeit gewesen. Doch konnte man von der Kirche allen Ernstes erwarten, dass sie gerade in dem Augenblick ihre Bindung an die Heilige Schrift und die Tradition aufkündigt? Hitler war legal an die Macht gekommen. Dies wurde weder im Inland noch im Ausland angezweifelt. Paulus lehrt: "Jeder leiste den Trägern staatlicher Gewalt Gehorsam, denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt."

 

Einer, der zum Biografen Faulhabers berufen gewesen wäre, ist allzu früh verstorben: der Jesuit Ludwig Volk, dem wir zwei Bände "Akten Kardinal Michael von Faulhabers" verdanken. Volk resümiert: "Inmitten eines teils durch den Verlust der religiösen Mitte verstörten, teils pluralistisch umgetriebenen Kirchenvolks sind die Chancen für das Emporwachsen einer personal verkörperten Bischofsautorität von vergleichbarem Integrationsradius nicht eben günstig. Nicht nur als ein großer Wurf der Natur, auch von den innerkirchlichen Ermöglichungsbedingungen her dürfte darum Michael von Faulhaber auf absehbare Zeit zumindest im europäischen Episkopat eine singuläre Erscheinung bleiben."

 

 

 

Quelle: Rheinischer Merkur Nr. 23, 06.06.2002, S. 25