Der
Antizionismus
ist eine Bewegung gegen legitimes Recht der jüdischen Nation auf einem
eigenen
Staat
Der
Antizionismus ist eine spezifische Form des Antisemitismus nach
Auschwitz,
der neben der radikalen Linken auch bei Rechtsextremisten und
Islamisten zu
finden ist.
Links und gegen Juden?
Antisemitismus
und Antizionismus in der österreichischen Linken
Stephan GRIGAT
Stephan Grigat ist
Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Universität Wien,
gehört zu der Gruppe Café Critique (www.cafecritique.priv.at) und
arbeitet als freier Autor in Tel Aviv.
Wer wissen wollte, ob an der Behauptung vom linken Antisemitismus etwas dran ist, konnte seit Jahren auf eine immer umfangreicher werdende Literatur zurückgreifen. Zum Antisemitismus bei den Frühsozialisten, in der europäischen Arbeiterbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts und zum Verhältnis der marxistischen Klassiker zum Judentum liegen mittlerweile zahlreiche Studien vor. Zum Antisemitismus in den Staaten des Realsozialismus ist ebenso geforscht worden wie zum antisemitisch aufgeladenen Antizionismus der Neuen Linken in den meisten westeuropäischen Ländern. Mittlerweile liegen auch erste Studien zum Antisemitismus in der österreichischen Linken nach 1945 vor.
Auch wenn viele Linke zu den konsequenten Gegnern des Antisemitismus gehörten, läßt sich eine Tradition des linken Antisemitismus bis zum Frühsozialismus zurückverfolgen. Von Blanqui bis Fourrier, von Saint-Simon über Proudhon bis Bakunin kann von der Verharmlosung antisemitischer Ressentiments bis zu offen rassistisch-antisemitischen Argumentationen alles nachgeweisen werden. Marx und Engels waren zwar keineswegs wüste Antisemiten, wie manchmal behauptet wird, aber sowohl in den Marxschen Frühschriften als auch in zahlreichen Briefen von Marx und Engels finden sich Formulierungen und Argumentationen, die ein verzerrtes Bild vom Judentum zeichnen und auf antisemitische Klischees zurückgreifen. Die Interpretation des von Marx 1844 veröffentlichten Textes „Zur Judenfrage" als ein Aufruf zum Judenmord beruht zwar auf einem Mißverständnis der Marxschen Argumentation. Der Text lädt zu solchen Mißverständnissen aber geradezu ein. Die frühe Kapitalismuskritik von Marx hat noch nicht jene Begriffsschärfe entwickelt, wie wir sie aus der Marxschen Werttheorie kennen, und die nötig ist, um das Umschlagen einer Ökonomiekritik in ein verfolgendes Ressentiment zu verunmöglichen oder entscheidend zu erschweren.
In der europäischen Arbeiterbewegung ist Antisemitismus immer wieder geleugnet, verharmlost oder entschuldigt worden. In den schlimmsten Fällen wurde er — legitimiert als konsequenter Antikapitalismus — offen propagiert. Als radikalste Form eines linken Antisemitismus können die stalinistischen Kampagnen gegen Zionismus und Kosmopolitismus gelten. Die von Lenin geführte Oktoberrevolution hatte den russischen Juden zunächst zahlreiche Vorteile im Vergleich zur Zarenzeit gebracht. Mit Stalin kam jedoch ein Mann an die Macht, der bereits im Kampf um Lenins Nachfolge Antisemitismus als Mittel einsetzte. Für die spätere Entwicklung ist anzunehmen, daß Stalin sich von einem taktischen zu einem überzeugten Antisemiten gewandelt hat, der am Ende seines Lebens eine gewaltsame Umsiedlung der sowjetischen Juden in Erwägung zog. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützte die Sowjetunion für kurze Zeit das Projekt der israelischen Staatsgründung. Spätestens Ende der vierziger Jahre wurde der Antizionismus jedoch zur offiziellen Staatsdoktrin — und zu einem Element staatlicher Ideologie und Praxis, bei dem die Regierungen der SU, Polens oder auch der DDR auf die Gefolgschaft ihres Staatsvolks rechnen konnten, wie sonst bei kaum einem anderen Thema.
Während es bei Lenins Antizionismus hauptsächlich um organisationspolitische Fragen ging und der Zionismus als ein Nationalismus neben vielen anderen abgelehnt wurde, bekämpfte der Antizionismus nach dem Zweiten Weltkrieg den Zionismus als eine besondere Form des Nationalismus, die prinzipiell illegitim sei und alle anderen Nationen bedrohe. In Osteuropa wurde diese Transformation durch die stalinistischen Führungen vollzogen und auch nach der Entstalinisierung beibehalten. In Westeuropa war der Antizionismus nach 1945 lange eine Domäne der äußeren Rechten. Mit Ausnahme der dogmatischen, an der SU orientierten kommunistischen Parteien war die Linke Westeuropas bis 1967 ausgesprochen positiv gegenüber Israel eingestellt. Nach dem Sechs-Tage-Krieg änderte sich das schlagartig. Zum einen setzte eine linke Kritik an der israelischen Regierungspolitk ein, die sich zu recht gegen den von konservativer Seite sofort erhobenen pauschalisierenden Antisemitismus-Vorwurf zur Wehr setzte. Zum anderen beginnt in dieser Zeit eine antizionistische Agitation, die eindeutige Affinitäten zum Antisemitismus aufweist, und die bald fast in der gesamten Linken hegemonial werden sollte. Am deutlichsten zeigte und zeigt sich das in der BRD. In der westdeutschen Linken lassen sich von der linken Sozialdemokratie, den Grünen und Alternativen, feministischen Gruppierungen, K-Gruppen, Autonomen und Antiimperialisten bis zu den bewaffneten Gruppen Äußerungen und Aktionen finden, die jede Differenzierung zwischen Antizionismus und Antisemitismus überflüssig erscheinen lassen. Klassische Beispiele dafür sind der Anschlag der „Tupamaros Westberlin", einer Vorläufergruppe der „Bewegung 2. Juni", auf das jüdische Gemeindehaus in Westberlin 1969, die Lobeshymnen der RAF und anderer linker Gruppen anläßlich der Ermordung israelischer Sportler 1972 in München, die vor Synagogen durchgeführten Demonstrationen gegen den Krieg Israels im Libanon in den achtziger Jahren, die Wandparole aus der Hamburger Hafenstraße „Boykottiert ,Israel‘! Waren, Kibbuzim und Strände/ Palästina — das Volk wird dich befreien/ Revolution bis zum Sieg", in der zentrale Elemente des linken Antizionismus von der Delegitimierung Israels über die Ignoranz gegenüber der nationalsozialistischen Judenverfolgung bis zur Begeisterung für Volk und Lebensraum enthalten sind, oder jener legendäre „Grüne Kalender", in dem gleich Klartext gesprochen wurde, und die Herausgeber des Kalenders die Leser aufforderten, nicht bei Juden zu kaufen. In Österreich findet sich Ähnliches, wenn auch in abgeschwächter Form.
In der österreichischen Arbeiterbewegung der Ersten Republik war man stets bemüht, den Antisemitismus der Massen zu bedienen, was sich unter anderem darin äußerte, daß die Personifikationen des Kapitals auf den Plakaten der Wiener Sozialdemokratie nicht selten eine Physiognomie aufwiesen, die Antisemiten für Juden reserviert haben. Daß die Rothschilds im Zentrum der Kritik der Sozialdemokraten standen hatte nicht nur mit dem realen Einfluß der Bankiersfamilie zu tun, sondern paßte auch hervorragend zu den strukturell antisemitischen Prämissen der grundsätzlichen Kapitalismuskritik in der Arbeiterbewegung. Nicht ganz zufällig konnte sich der radikale Antisemit Georg von Schönerer, der sich über Jahre mit demagogischen Angriffen gegen die Rothschilds hervortat, gewisser Sympathien bei Teilen der Sozialdemokratie erfreuen.
Die Agitation der Sozialdemokraten beschränkte sich aber keineswegs darauf, gegen die „jüdischen Kapitalisten" zu wettern. Es gab ebenso massive Angriffe gegen das orthodoxe Judentum und gegen die mehrheitlich zu den unterprivilegiertesten Schichten gehörenden Juden aus Osteuropa.
Die KPÖ war eine der wichtigsten antifaschistischen Kräfte in Österreich. Die Annahme, daß sie dadurch automatisch frei war von Antisemitismus, stimmt jedoch keineswegs. Auch wenn der Antisemitismus in allen anderen österreichischen Parteien bedeutend stärker verbreitet war, agierten bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit auch KPÖ-Funktionäre in einer Art und Weise, die Antisemitismus ignorierte, antisemitische Ressentiments in der österreichischen Bevölkerung forcierte und zum Teil selbst als antisemitisch bezeichnet werden muß.
1947 kam es in Bad Ischl wegen einer Streichung der Milchration für Kinder zu einer Demonstration, die sich nicht in erster Linie gegen die für diese Maßnahme Verantwortlichen richtete, sondern gegen die in der Stadt untergebrachten „Displaced Persons". Im Verlauf der Demonstration zog eine unter anderem von KP-Funktionären aufgepeitschte Menge zur Unterbringung jüdischer DPs und skandierte dort nach Augenzeugenberichten Parolen wie „Schlagt die Juden tot!" Wenige Tage danach wurden sechs Personen verhaftet und im darauf folgenden Prozeß zu extrem hohen Strafen verurteilt, die später deutlich herabgesetzt wurden. Während der Unterstützungskampagne für die Verhafteten bestärkte die KPÖ das ohnehin in der Bevölkerung vorhandene Bild von den DPs — allen voran den jüdischen — als „Schleichhändler", deren Vergehen nicht geahndet, sondern im Gegenteil mit zusätzlichen Privilegien belohnt würden. Obwohl die jüdischen DPs nicht mit österreichischen Steuergeldern finanziert wurden, stellte die „Volksstimme" Berechnungen an, die den Österreichern aus der Nazi-Zeit durchaus bekannt vorgekommen sein müssen: „600.000 DP kosten uns über 100 Millionen Schilling", „460 Tageskalorien des Arbeiters essen die DP."
Auf Grund ihres engen Verhältnisses zur KPdSU begriff es die KPÖ in den fünfziger Jahren offenbar als ihre Pflicht, der antizionistischen Propaganda in der Sowjetunion und in den anderen Ostblockstaaten zu bescheinigen, daß sie absolut nichts mit Antisemitismus zu tun habe. Das ging soweit, daß selbst noch die antisemitischen Schauprozesse in den fünfziger Jahren legitimiert wurden. In dern KPÖ-Zeitschriften wurde das Vorgehen im Slansky-Prozeß in der Tschechoslowakei verteidigt, bei dem elf der vierzehn Angeklagten, denen vom deklarierten Antisemiten Major Smola eine „trotzkistisch-zionistisch-titoistische Verschwörung" vorgeworfen wurde, Juden waren. Auch der sogenannte Ärztekomplott-Prozeß in der Sowjetunion, in dem sechs Juden und drei weitere Angeklagte als „Agenten des Zionismus" wegen angeblicher Morde an hohen Staats- und Parteifunktionären und wegen unterstellter Mordpläne gegen Stalin vor Gericht standen, wurde gerechtfertigt. Die „Volksstimme" konnte damals in den Angeklagten keine Opfer einer antisemitischen Kampagne erkennen, sondern erblickte in den Ärzten die Inkarnation des Bösen: „Bestien in Menschengestalt"
Als 1968 die massiven Aktionen gegen Juden in Polen begannen, gab es innerhalb der KPÖ heftige Diskussionen über eine angemessene Reaktion. Mit über einem Jahr Verspätung führten diese dann auch zu einer offiziellen Erklärung, in der die Besorgnis über die Ereignisse in Polen zum Ausdruck gebracht und der Antisemitismus in der eigenen Partei thematisiert wurde. Zusätzlich wurde der Nationalismus Israels und jener der Araber verurteilt. Bevor es zu dieser durchaus bemerkenswerten Resolution kam, veröffentlichte die „Volksstimme" allerdings die Rechtfertigungsversuche der polnischen KP-Führung für ihr Vorgehen gegen Juden. Daß KPler heute gerne darauf hinweisen, daß es in der Partei immer schon kritische Stimmen gegen den Antisemitismus in Osteuropa und in der eigenen Partei gegeben hat, ist insofern bemerkenswert, als es sich bei diesen kritischen Stimmen fast ausschließlich um Kommunisten handelte, die später aus der KPÖ ausgetreten sind oder ausgeschlossen wurden.
Später sah die KPÖ nicht nur die Staaten des Realsozialismus Angriffen durch die scheinbar weltumspannende zionistische Lobby ausgesetzt, sondern erblickte, passend zu ihrer nationalen Orientierung, auch in Österreich das „Opfer einer zionistischen Kampagne". Den Anlaß dafür bot die internationale Kritik an der Entscheidung der damaligen österreichischen Bundesregierung, das Durchgangslager für sowjetische Juden in Schönau zu schließen. Österreich hatte damals der Jewish Agency Transitlager zur Verfügung gestellt, über die seit Beginn der siebziger Jahre zehntausende Juden aus der Sowjetunion nach Israel ausreisen konnten. 1973 nahmen zwei Mitglieder der pro-syrischen Gruppe „Adler der palästinensischen Revolution" drei jüdische Emigranten und einen Zöllner in Österreich als Geiseln und forderten die Beendigung der Einwanderung osteuropäischer Juden nach Israel. Nach Verhandlungen mit der Kreisky-Administration kamen die Geiseln frei. Die Gegenleistung der österreichischen Regierung bestand in der Schließung des Durchgangslagers Schönau. Stößt ein Nachgeben gegenüber bewaffneten linken Gruppen in der Regel auf scharfe Kritik, war die Begeisterung über die Schließung dieses Lagers in Österreich nahezu einhellig. Auch die KPÖ begrüßte das Ende der „zionistischen Menschenschmugglerzentrale".
Seit 1968 forcierte die KPÖ ihre Kritik an Israel. Zunehmend wichtig wurde seit dieser Zeit der Antizionismus der Neuen Linken. Seit Beginn der siebziger Jahre wird von linken österreichischen und arabischen Gruppen vor allem an der Wiener Universität Propaganda gegen Israel betrieben, die sich in einigen Punkten nur mehr marginal von den zeitgleich verbreiteten Schriften rechter Gruppierungen unterscheidet. Der Kommunistische Bund Wien betrieb eine spezifische Form linker Vergangenheitsbewältigung. Die Maoisten schrieben, daß durch die israelische Repression „die gleichen Praktiken von den zionistischen Machthabern gegen das palästinensische Volk" angewendet würden, wie sie die Nazis gegen die Juden angewendet haben. Den Beweis für die Existenz von israelischen Lagern, in denen eine bürokratisch organisierte und industriell betriebene Massenvernichtung von Menschen stattfindet, blieben sie verständlicherweise schuldig.
In den achtziger Jahren führen die Aktivitäten von Linken und Grün-Alternativen mehrfach zu Protesten in jüdischen Zeitschriften. Nachdem 1982 auf einer Demonstration die Parole „Begin ist ein Nazi-Faschist!" gerufen wurde und 1983 in einem Demonstrationsaufruf der Alternativen Liste Wien und der Gewerkschaftlichen Einheit vom „vorsätzlichen Genozid" an den Palästinensern die Rede war, wurde die Linke von der „Gemeinde", dem offiziellen Organ der Israelitischen Kultusgemeinde, mit dem Vorwurf der Geschichtsentsorgung konfrontiert.
Seit den neunziger Jahren wird ein antisemitisch aufgeladener Antizionismus in Österreich vor allem im antiimperialistischen Milieu verbreitet. In diesem Milieu wird immer wieder darauf verwiesen, daß Israel „seit Beginn seines Bestehens seine Existenz auf Gewalt gegründet" hat. Dabei wird so getan, als wäre das eine Besonderheit des israelischen Staates. Dieser massiven Kritik an Israel entspricht die völlige Abwesenheit einer grundsätzlichen Staatskritik in antizionistischen Kreisen. Was man an Israel kritisiert — seine Staatsgewalt und seine Nationswerdung inklusive der nationalen Mythen — wünscht man sich für die palästinensischen Brüder und Schwestern. Staat und Nation sind im Bewußtsein der Antizionisten Erfüllungsgehilfen auf dem Weg zur Emanzipation — es sei denn, sie werden von Juden in Anspruch genommen.
Während es für die meisten Antizionisten feststeht, daß Juden weder ein Volk noch eine Nation sind, können sie von Palästinensern kaum mehr anders reden als in der kollektivierenden Form des „palästinensischen Volkes". Derartiges ist typisch für eine Linke, die ihre Solidarität mit Menschen nur dann in Gang setzen kann, wenn sie die Objekte ihrer Solidarität zuvor zu Völkern kollektiviert oder deren Selbstkollektivierung übernommen hat. Daß die Palästinenser ein Volk sind, steht für den Antizionismus außer Zweifel. Schließlich haben sie, angeblich anders als die Juden, einen Boden, der ihnen rechtmäßig zustehe. Nimmt man die antizionistische Propaganda beim Wort, so sind es nicht die Menschen, sondern der Boden, der befreit werden muß. Versprach man in der eingangs erwähnten Parole aus der Hamburger Hafenstraße diesem auf den Namen „Palästina" getauften Stück Erde: „Das Volk wird dich befreien", so versichert man ihm in Wien: „Dein Volk wird siegen!" Menschen können sich von Ausbeutung und Herrschaft befreien. Ein Stück Erde hingegen kann nicht von Unterdrückung, sondern nur von auf ihm lebenden Menschen „befreit", also gesäubert werden. Diese Menschen sind in diesem Fall die in Israel lebenden Juden.
Die Existenz von Antisemitismus in der Linken ist evident. Im Antizionismus tritt er als eine spezifische Form des Antisemitismus nach Auschwitz auf, der sich aus Mangel an konkreten Haßobjekten gegen den kollektiven Juden, den Staat Israel, richtet. Daß die im Antizionismus durchaus angelegten Vernichtungsphantasien nicht Realität geworden sind, verdankt sich der israelischen Staatsgewalt.
Antisemitismus
in der Linken manifestiert sich aber nicht nur im Antizionismus. Heute
wäre eine Diskussion über strukturellen Antisemitismus wünschenswert.
Ein zentrales Moment des modernen Antisemitismus ist der Haß auf die
abstrakte Seite der kapitalistischen Warenproduktion, die in den Juden
biologisiert wird. Am deutlichsten wurde das bei der im
Nationalsozialismus vorgenommenen Trennung in deutsches „schaffendes
Kapital" und jüdisches „raffendes Kapital". Die Grundlage dieser
Trennung ist aber keineswegs eine Erfindung der nationalsozialistischen
Ideologie, sondern die tendenziell allen Menschen in der heutigen
Gesellschaft geläufige Unterscheidung in Arbeitsplätze schaffende
Industriekapitalisten einerseits und das scheinbar unproduktive Kapital
der Zirkulationssphäre andererseits. Gerade in den heutigen Debatten
über die Globalisierung finden sich auch in der Linken zahlreiche
Argumentationen, die zwar nicht unbedingt inhaltliche Affinitäten, aber
eben strukturelle Ähnlichkeiten zum Antisemitismus aufweisen.
Stephan
Grigat ist
Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft an der Universität Wien,
gehört zu der Gruppe Café Critique (www.cafecritique.priv.at) und
arbeitet als freier Autor in Tel Aviv. Er ist Herausgeber von
„Transformation des Postnazismus. Der deutsch-österreichische Weg zum
demokratischen Faschismus" (ça ira 2003) und „Feindaufklärung und
Reeducation. Kritische Theorie gegen Postnazismus und Islamismus" (ça
ira 2006).
Links und judenfeindlich
Antisemitismus
und Antizionismus in der radikalen Linken
Daniel
Kilpert
In der Berichterstattung über
die von der
Europäischen Union nicht veröffentlichte Studie des Berliner Zentrums
für Antisemitismusforschung,
die einen zunehmenden Antisemitismus innerhalb der EU konstatierte,
ging es
fast nur um die Rolle der islamistischen Einwanderer. Das auch in der
Studie
erwähnte Zusammenspiel der Fundamentalisten mit der radikalen Linken
wurde hingegen
- wenn überhaupt nur am Rande erwähnt. (Vgl. auch S.35)
Dieser Beitrag befasst
sich
daher mit der
Frage, was Antisemitismus von links ausmacht und wie er sich zeigt.
Dass es ihn
überhaupt gibt, sollte spätestens seit Hannah Arendts Untersuchungen zu
diesem
Thema bekannt sein. Mittlerweile gibt es eine Reihe an
Forschungsarbeiten, die
sich mit dem Antisemitismus der Frühsozialisten, der europäischen
Arbeiterbewegung des 19. und 20. Jahrhunderts und der marxistischen
Klassiker
beschäftigen. Auch zum Antisemitismus in den Ostblockstaaten ist
geforscht
worden. Erinnert sei hier nur an die stalinistischen Kampagnen und
antisemitischen Schauprozesse “gegen Zionismus und Kosmopolitismus”. Am
bekanntsten sind hier der “Slansky-Prozess” in der Tschechoslowakei und
der
“Ärztekomplott-Prozess” in der Sowjetunion.
Zunächst stellt sich die
Frage,
welche
grundsätzliche Verbindung zwischen linksradikalen und antisemitischen
Vorstellungen besteht. Der Soziologe Thomas Haury macht das
“antiimperialistische Weltbild”, welches der radikalen Linken zugrunde
liegt,
für den Antisemitismus in linker Geschichte und Gegenwart
verantwortlich. Dem
zufolge ist die moderne Gesellschaft von einem Machtblock aus Kapital
und Staat
gesteuert, der international agiert und die beherrschte Bevölkerung
unterdrückt. Nach diesem binären Weltbild fordern die guten
unterdrückten
Völker ihre Selbstbestimmung gegen “böse fremde Herrschaft” und
imperialistische Ausbeutung. Die Anwendung des antiimperialistischen
Schemas
auf den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist der
Antizionismus.
Israel wird als “Brückenkopf” der USA (als der
imperialistische/kapitalistische
Staat an sich) in der arabischen Welt dargestellt und den USA eine sich
aus
diesem Umstand erklärende einseitige Unterstützung der Interessen
Israels
vorgeworfen, die sich gegen die “Befreiungsbewegungen” richtet.
Offen zur Schau
gestellter
Antisemitismus
ist bei der radikalen Linken selten anzutreffen. Verschiedene
Indikatoren
können aber als verläßlich gelten, um linken Antisemitismus
nachzuweisen. Zu
nennen wäre etwa die klassisch antisemitische Verbindung von Juden mit
Geld.
Für radikale Linke ist hier vor allem die Unterscheidung zwischen
“raffendem”
und “schaffendem” Kapital von Belang. Hierzu gehört das Konstatieren
einer “wirtschaftlichen
und politischen Vorherrschaft des Weltjudentums” sowie die
Unterstellung von
“Machtstreben und Hinterlist” als Eigenschaft aller Juden. Auf den
Nahostkonflikt bezogen unterscheiden Linke etwa ein “konkretes Volk”
(“die
Palästinenser”), das - produktiv und arbeitswillig - stets um die
realen
Früchte ihrer Arbeit betrogen wird und sich gegen eine “abstrakte
Macht” (“die
Israelis” oder auch “die US-Ostküste” bzw. “die Geldhaie von der Wall
Street”,
denen die Unterstützung Israels vorgeworfen wird) wehren muss, die
geldgierig,
spekulativ und räuberisch ist. Indikatoren einer antisemitischen
Einstellung
sind ferner das Feststellen einer “rachsüchtigen” und “unversöhnlichen”
Art
“der Juden”. Eine sehr deutliche Parallele zu rechtsradikalen
Antisemiten
stellt eine “aggressive Erinnerungsabwehr” dar, wozu zum Beispiel die
Gleichsetzung von israelischen Militäraktionen mit den Taten der
Nationalsozialisten zählt oder die Bezeichnung der Palästinenser als
“Opfer der
Opfer”. Auch die Projektion der Politik Israels auf das Verhalten aller
Juden
in der Welt zählt zu den Indikatoren eines linken Antisemitismus.
Zuletzt wäre
die Verneinung des Existenzrechts Israels zu nennen, dazu gehört auch
die in
der radikalen Linken vor allem in den siebziger Jahren übliche
Identifikation
von Zionismus als Rassismus.
Die Zeit vor 1990
Bis 1967 war in der
Linken der
Bundesrepublik eine pro-zionistische Haltung weit verbreitet. Das
änderte sich
allerdings schlagartig, als Israel aus dem Sechstage-Krieg siegreich
hervorging.
Interpretiert wurde dies vor allem damit, dass Israel von nun an nicht
mehr der
von der radikalen Linken zugedachten Opferrolle entsprach. In der Zeit
der 70er
und 80er Jahre war der Antizionismus in der „Szene“ nun eine nicht mehr
zu
hinterfragende Einstellung. Wer davon abwich, wurde als bürgerlicher
Verräter
gebrandmarkt. Gruppen, die sich ansonsten noch nicht einmal auf eine
gemeinsame
Demozeit einigen konnten, blieben, wie Henryk Broder einmal schrieb,
wenn es um
Israel ging, einem unerschütterlichem Antizionismus verhaftet.
Ein besonders
verheerendes
Ereignis,
welches die Nähe des linken Antizionismus zum Antisemitismus aufzeigte,
war der
Anschlag der „Tupamaros Westberlin“ - einer Vorläufergruppe der
terroristischen
„Bewegung 2. Juni“ - auf das jüdische Gemeindehaus in Westberlin in der
Nacht
vom 9. auf den 10. November 1969.
In ihrem Bekennerschreiben schrieb
die
Gruppe: „Am 31. Jahrestag der faschistischen Kristallnacht wurden in
Westberlin
mehrere jüdische Mahnmale mit ´Schalom und Napalm´ und ´El Fatah´
beschmiert.
Im jüdischen Gemeindehaus wurde eine Brandbombe deponiert. Beide
Aktionen sind
nicht mehr als rechtsradikale Auswüchse zu diffamieren, sondern sind
ein
entscheidendes Bindeglied internationaler Solidarität (...) Der wahre
Antifaschismus ist die klare und einfache Solidarisierung mit den
kämpfenden
Feddayin (...) Jede Feierstunde in Westberlin und in der BRD
unterschlägt, dass
die Kristallnacht von 1938 heute tagtäglich von den Zionisten in den
besetzten
Gebieten, in den Flüchtlingslagern und in den israelischen Gefängnissen
wiederholt wird. Aus den vom Faschismus vertriebenen Juden sind selbst
Faschisten geworden, die in Kollaboration mit dem amerikanischen
Kapital das
palästinensische Volk ausradieren wollen.“
Erinnert sei auch an die
Lobeshymnen
der RAF und linksradikaler Gruppen anlässlich der Ermordung
israelischer
Olympiasportler 1972 in München.
Deutlich zeigte sich ein
Antisemitismus
von links auch bei der Flugzeugentführung von Entebbe im Jahre 1976.
Hier wurde
von einem Kommando, dem Mitglieder der terroristischen Gruppen PFLP als
auch
der deutschen „Revolutionären Zellen“ angehörten, eine Selektion der
Flugzeuginsassen in jüdische und nicht-jüdische vorgenommen, unter
anderem
durch den Deutschen Wilfried Böse.
Als weitere Beispiele
seien die
Demonstrationen gegen den Krieg Israels im Libanon in den achtziger
Jahren
angeführt, die nicht etwa vor israelischen Botschaften durchgeführt
wurden,
sondern vor Synagogen. Eine Wandparole an einem der besetzten Häuser
der
Hamburger Hafenstraße lautete damals: „Boykottiert ´Israel´! Waren,
Kibbuzim
und Strände/ Palästina - das Volk wird dich befreien/ Revolution bis
zum Sieg“.
Umdenkprozesse?
Nach dem Ende des Kalten
Krieges und
insbesondere angesichts der Bedrohung Israels im Zweiten Golfkrieg 1991
wurde
die Frage, ob es einen linken Antisemitismus gibt und wie es sich mit
der Nähe
des Antizionismus zum Antisemitismus verhält, auch innerhalb der
radikalen
Linken zum Thema. Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs des
kommunistischen
Ostblocks im Jahre 1990 gelangten linke Theorie und Praxis an einen
Wendepunkt.
Im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands wurde in der radikalen
Linken zudem
ein „neues deutsches Großmachtstreben“ diskutiert und ein
„Normalisierungsdiskurs“ in Bezug auf die nationalsozialistische
Vergangenheit
konstatiert. Bis 1990 hatte man Deutschland ausschließlich als
„Handlanger der
USA“ wahrgenommen.
Diese Diskussion wurde vor allem durch die
Zeitschrift
„konkret“ initiiert, der einzigen Publikumszeitschrift der radikalen
Linken.
Infolge der Debatten spaltete sich so manche Gruppe. Nachdem in der
Zeit der
Friedensverhandlungen von Oslo selbst innerhalb der PLO zumindest
offiziell die
Notwendigkeit eines Kompromisses mit Israel eingestanden wurde,
verzeichneten
die Palästina-Solidaritätsgruppen einen starken Mitglieder-Rückgang.
Nur zu
wenigen Anlässen kam es dann Anfang und Mitte der 90er Jahre überhaupt
zu
Statements in Fragen Nahost. In der Tageszeitung „junge Welt“ fanden
damals
sehr unterschiedliche Positionen ein Forum. Im Jahr 1997 kam es
allerdings zum
Bruch innerhalb der verschiedenen Fraktionen des Blattes und zur
Entstehung der
Wochenzeitung „Jungle World“, die von einem Teil der „junge
Welt“-Redaktion in
Opposition gegründet wurde. Einer der Gründe für den Streit war die
Auseinandersetzung
um den Zuzug von jüdischen Einwanderern aus Osteuropa in die sächsische
Stadt
Gollwitz, deren Bürger sich dagegen zur Wehr setzten und damit auf
Verständnis
bei PDS-Politikern und einem Teil der „jungen Welt“ stießen.
Keine
Brüche bei den
Traditionslinken
Interpretieren lässt
sich eine
solche
Position durch die Kenntnis der Geschichte der traditionellen Linken.
Diese sah
den Faschismus seit jeher als die chauvinistischste, reaktionärste
Herrschaftsform des Kapitals. Der Antisemitismus wird dabei einzig als
„Manipulationsinstrument“ verstanden und so die deutsche
Arbeiterbewegung per
se vom Vorwurf des Antisemitismus freigesprochen. Innerhalb der
Arbeiterbewegung wurde er immer wieder geleugnet, verharmlost oder
sogar
entschuldigt.
Die Aussage, Antisemitismus sei „der Antikapitalismus des
dummen
Kerls“ ist ein Beispiel dafür, in welcher Weise Linke glaubten, in
Antisemiten
eigentlich Genossen erkennen zu können, die nur ein bisschen Aufklärung
benötigen. Teilweise wurde Antisemitismus aber auch offen propagiert.
Ruth
Fischer, ZK-Mitglied der KPD, forderte etwa 1923 in einer Rede: „Tretet
die
Judenkapitalisten nieder, hängt sie an die Laternen, zertrampelt sie!“
Auch heute finden sich
in
sämtlichen
Publikationen der Traditionslinken Versatzstücke, die als antisemitisch
verstanden werden können. So verhalten sich etwa die Israelis nach
Meinung der
DKP-Zeitung „Unsere Zeit“ wie eine „Herrenrasse“ und verüben „Pogrome“
an den
Palästinensern. Die „Marxistischen Blätter“ sehen eine „einflussreiche
zionistische
Israel Lobby in den USA“ am Werke, und die Zeitung „analyse und kritik“
erinnert das Idealbild des zionistischen Juden an
„Blut-und-Boden-Ideologie“,
während der „Gegenstandpunkt“ Israel ein „völkisches Programm“
verfolgen sieht.
Es strebe einen „reinen Staat“ und die „Endregelung der
Palästinenserfrage“ an.
Die trotzkistische „Arbeitermacht“ meint: „Der zionistische Staat kann
nicht
reformiert - er muß zerschlagen (...) werden.“
Sprachrohr der
Traditionslinken
ist die
bereits erwähnte Tageszeitung „junge Welt“. Obwohl das Blatt nur eine
Druckauflage von ungefähr 20.000 Exemplaren aufweisen kann, erreicht
die junge
Welt vor allem über das Internet weitaus mehr Personen. Laut Bundesamt
für
Verfassungsschutz ist sie die am aufwändigsten hergestellte
linksextreme
Publikation.
Im April 2002
kritisierte ihr
Chefkommentator Werner Pirker ein Mitglied des Vorstandes der
Vereinigung der
Verfolgten des Naziregimes (VVN) und der DKP, der es für eine
„Selbstverständlichkeit eines jeden deutschen Antifaschisten“ hielt,
ein klares
Bekenntnis „zum jüdischen Staat, als Staat der Holocaust-Überlebenden“
abzulegen. Pirker: „Einen anderen Zionismus als den existierenden aber
gibt es
nicht, in welcher Spielart er auch immer aufzutreten beliebt.
Antifaschistische
Pflicht kann es deshalb nicht sein, ein Bekenntnis zu diesem Staat
abzulegen.
Für Antifaschisten, für die gesamte fortschrittliche Weltöffentlichkeit
wäre es
vielmehr bereits 1948 ein zwingendes Gebot gewesen, vor dem Bekenntnis
zu einem
jüdischen Gemeinwesen im Nahen Osten ein Bekenntnis zu den
unveräußerlichen
Rechten der autochthonen Bevölkerung Palästinas abzulegen. (...) Der
Zionismus
war ursprünglich eine Erscheinung des europäischen Nationalismus an der
Wende
zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert. Ebenso wie der ethnische
Antisemitismus.
(...) Der Zionismus hat sich der Auseinandersetzung mit dem
Antisemitismus
stets entzogen. (...) Der Staat Israel, die Palästinenser können das
aus
leidvoller Erfahrung bestätigen, ist ein reales Gebilde.“ Israel „a
priori“ zu
akzeptieren, „unter Abstrahierung der konkreten Existenzweise dieses
Staates“
wäre schon 1948 falsch gewesen, „als die Sowjetunion als erster Staat
Israel
anerkannt hat, ohne seine landräuberische, terroristische
Entstehungsgeschichte
zu beachten“.
Im Juli des gleichen
Jahres
feierte die
Zeitung Jürgen W. Möllemann als Tabubrecher: „Möllemann hat ein ´Tabu´
gebrochen, das in der Bundesrepublik seit dem Ende des Zweiten
Weltkriegs gilt:
Als Deutscher darf man - wegen Holocaust - Israel nicht kritisieren.
Mit der
Anerkennung der moralischen Schuld des Vorgängerstaats an der
Judenverfolgung
hat ´Deutschland´ diplomatisch die Eintrittskarte in den Kreis der
´anständigen´ Nationen zurückerhalten. Von den deutschen Bürgern ist
seitdem
verlangt, daß sie akzeptieren, daß eine Kritik an Israel dem nationalen
Standpunkt ´Deutschlands´ zuwiderläuft. Weil unter Hitler die Juden
verfolgt
und umgebracht wurden, sollen gute Deutsche sich dafür schämen, daß der
Vorgängerstaat alle jüdischen Menschen vom Kind bis zum Greis als
Feinde
Deutschlands verfolgt hat, und ihre geläuterte Gesinnung in der
unerschütterlichen Freundschaft zum Staat Israel beweisen. ´Als
Deutscher´ hat
man daher jede sachliche Beurteilung dessen, was der Zweck dieses
Staates ist
und was er anrichtet, zu unterlassen. Verlangt ist also von jedem
Deutschen
nichts weniger als eine neue Sorte Rassismus in bezug auf die Juden,
aber mit
umgekehrten Vorzeichen (...) Umgekehrt bedeutete das: Wer auch immer
warum auch
immer etwas an Israel auszusetzen hatte, wurde mit der Frage
konfrontiert, ob
er nicht letztlich einen zweiten Holocaust wolle oder ihm nicht
zumindest
argumentativ den Weg bereite.”
Auch Jörg Haiders Besuch
im
Irak Anfang
2002 wird von Werner Pirker begrüßt, allerdings mit einer kleinen
bezeichnenden
Einschränkung: „Deshalb ist Haider noch lange kein Antiimperialist“,
heißt es
in dem Blatt. „Es ist noch nicht lange her, daß er den
sozialdemokratischen
Vorsitzenden der Gesellschaft für Österreichisch-Arabische Beziehungen,
Fritz
Edlinger, des Antisemitismus bezichtigte, als dieser den Zionismus als
rassistische Ideologie bezeichnet hatte.“
Zu der Diskussion um
Bundesaußenminister
Joschka Fischers Rolle in den 1970ern und seiner Beziehung zu
gewalttätigen
Gruppen meinte das Blatt: „Will die Bundesrepublik den Status eines
souveränen
Staates zurückerlangen, muß Außenminister Fischer zurücktreten. Daß der
verhinderte Sieger im Volkskrieg der 70er Jahre im hohen Maße
erpressbar ist,
mußte schon immer angenommen werden.“ Fischer „unterstellt das Außenamt
damit
praktisch dem State Department (...) Das ist eigentlich der Skandal,
über den
sich die Opposition ereifern müßte: daß über Fischers Zukunft offenbar
nicht in
Berlin, sondern in Washington entschieden wird und außenpolitische
Interessen
der persönlichen Rehabilitierung des Außenministers untergeordnet
werden (...)
Nun aber auch als ehemaliger PLO-Sympathisant ´demaskiert´ und damit
auch noch
Gefangener der von ihm gepflegten Auschwitz-Erinnerungskultur, ist
Fischer die
Erpreßbarkeit in Person. Und damit untragbar geworden.“
An anderer Stelle
bezeichnet
die „junge
Welt“ den Zionismus als eine „Form des Rassismus“, die Souveränität
Israels
über ganz Jerusalem sei „alttestamentarischer Unduldsamkeit
geschuldet“. In
einem Artikel wird von der „deutsche(n) Antisemitismus-Debatte nach den
Vorgaben israelischer Propagandaoffiziere“ geschrieben, in einem
Kommentar
heißt es: „Der Zionismus hat das kollektive Gedächtnis an die jüdische
Leidensgeschichte zum religiös-chauvinistischen Kult der Auserwähltheit
pervertiert.“
Antiimperialisten und
Trotzkisten in
Solidarität mit der Intifada
Auch die
„Antiimperialistische
Koordination“ (AIK) aus Wien hat für das antiimperialistische Spektrum
der
Bundesrepublik große Bedeutung. In all ihren Verlautbarungen betont die
Gruppe,
dass im Kampf gegen Israel alle Mittel legitim seien. In ihrer
Publikation, die
den bezeichnenden Namen „Intifada“ trägt, begrüßt die AIK offen
Terrorattentate
und nennt Selbstmordanschläge zum Beispiel im Hamas-Duktus eine
„Operation in
Jerusalem“.
Auf der Webseite der
Gruppe
heißt es in
einem Text: „Die Gleichsetzung ´Antizionismus ist Antisemitismus´ dient
der
gesellschaftlichen Isolierung der Kritik an der strukturell
rassistischen und
militaristischen israelischen Politik, der Isolierung des
Antizionismus, der
das genaue Gegenteil des Antisemitismus verkörpert.“ Die haarsträubende
Begründung folgt umgehend: „Denn während der Antisemitismus für
Rassismus,
Unterdrückung und imperiale Großmachtspolitik steht, bedeutet
Antizionismus
Antirassismus, den Kampf um Befreiung und den Widerstand gegen
imperiale
Politik. Der Antizionismus umschließt historisch nicht nur die besten
Traditionen der Arbeiterbewegung, sondern auch der jüdischen Kultur.“
In einer Einladung zu
einem
antiimperialistischen Block auf der 1.-Mai-Demonstration vergangenen
Jahres in
Wien zitiert die Gruppe mit Blick auf die Situation in Nahost und im
Irak Che
Guevara mit folgenden denkwürdigen Worten: „Wenn man die Vernichtung
des
Imperialismus ins Auge fasst, muss man dessen Haupt identifizieren, das
von
nichts anderem als den Vereinigten Staaten von Nordamerika gebildet
wird. (...)
Lasst uns unsere Siegeshoffnungen so zusammenfassen: Vernichtung des
Imperialismus durch Ausschaltung seines stärksten Bollwerks, der
imperialistischen Herrschaft der Vereinigten Staaten von Nordamerika.
Als
taktische Aufgabe die schrittweise Befreiung der Völker, wobei man den
Feind in
einen schwierigen Kampf außerhalb seines Territoriums hineinzieht und
ihn
seiner Existenzgrundlagen, nämlich der abhängigen Gebiete, beraubt.“
Die
Parolen am Ende des Aufrufes lauten unter anderem: „Gegen die
US-Besatzung im
Irak - USA raus aus dem Mittleren Osten! In Solidarität mit der
Intifada -
Freiheit für Palästina! Für das Selbstbestimmungsrecht der Völker gegen
den
Imperialismus! Nieder mit den Vereinigten Staaten von Amerika!
Solidarität mit
allen Bewegungen des antiimperialistischen Widerstandskampfes!?
Auch die
Veröffentlichungen der
trotzkistischen Gruppe „Linksruck“ lassen aufschrecken. Sie ist seit
Sommer
2001 vor allem bei der Antiglobalisierungsgruppe Attac aktiv. Zu lesen
ist auf
ihrer Webseite zum Beispiel: „Zionismus ist eine politische
nationalistische
Bewegung, die darauf besteht, Juden müssten ihren eigenen Staat haben,
weil
Nichtjuden gesellschaftlich, von Natur aus und genetisch Antisemiten
seien. Er
entwickelte sich als Bewegung für die Juden in Osteuropa in direkter
Konkurrenz
zum Sozialismus.“
An anderer Stelle bezieht sich die Gruppe positiv auf
den
Islamismus: „Der militante Islam liegt richtig, wenn er den westlichen
Imperialismus und sein Werkzeug im Mittleren Osten, den Zionismus, als
Feind
benennt. Er liegt richtig, wenn er einen ausgeweiteten Kampf gegen
diesen Feind
fordert.“ Als Demo-Slogans werden dementsprechend auf der
Linksruck-Webseite
vorgegeben: „U.S.A. - internationale Völkermordzentrale“ oder „Schluß,
schluß,
schluß mit dem Krieg - Intifada bis zum Sieg!“
Attac im Antisemitismusstreit
Auch die
antikapitalistische
Antiglobalisierungsbewegung sieht sich mit Antisemitismus-Vorwürfen
konfrontiert, ist Antisemitismus wie eingangs erwähnt ein Bestandteil
eines
Antikapitalismus-Verständnisses, das davon ausgeht, dass einige die
Welt
beherrschenden „böse Schmarotzer“ immer nur raffen, während der ehrlich
Arbeitende einer Verschwörung zum Opfer fällt.
Eine der größten und
bekanntesten Gruppen
des Spektrums ist die 1998 in Frankreich gegründete Gruppe Attac, die
weltweit
ungefähr 90.000 Mitglieder in 50 Ländern zählt. Seit Anfang 2000 gibt
es sie
auch in Deutschland.
Im Dezember 2002
veröffentlichte Attac ein
Papier, um sich von „rechten Rattenfängern“ auf dem
Antiglobalisierungsticket
abzugrenzen. Selbstkritisch räumte man dort zum Beispiel ein, dass an
einer von
Attac München organisierten Anti-Kriegs-Kundgebung zwei Dutzend
Neonazis
unbehelligt teilnehmen konnten. So etwas wolle man in Zukunft
verhindern.
Aber schon bei einer
„Friedenstour“ gegen
den drohenden Irak-Krieg einen Monat später war es mit dieser Einsicht
nicht
mehr weit her. Referenten auf dem Podium verglichen dort die Politik
Israels
mit dem Vorgehen der Nazis im Warschauer Ghetto. Eine britische
Journalistin
begrüßte die „heroischen Kämpfer der Intifada“ und eine Frau der Gruppe
„Answer“ aus den USA rühmte sich mit der Durchführung einer
Großdemonstration
in Washington D.C., die ausgerechnet am 20. April 100.000 Menschen
unter dem
Motto „Freiheit für Palästina“ zusammengebracht hatte.
In einem Positionspapier
aus
dem Oktober
2003 sieht man den „Kampf gegen die neoliberale Globalisierung“ als
untrennbar
mit dem „Kampf (...) für politische Selbstbestimmungsrecht der
Palästinenserinnen und Palästinensern“ verbunden. Auch wird das
„Rückkehrrecht
der palästinensischen Flüchtlinge“ gefordert.
Die
Friedensbewegung und die
PFLP
Das es auch innerhalb
der
Friedensbewegung einen erheblichen Klärungsbedarf in der
Antisemitismusfrage
gibt, zeigte u.a. der Ostermarsch 2002 in Berlin. Dort wurden Plakate
hochgehalten, auf denen z.B. zu lesen war: „Deutsche, schüttelt eure
Vergangenheit ab! Die Israelis sind keine Opfer!?. Fahnen der Hisbollah
und
Hamas wurden geduldet - wie im Übrigen auch bei allen Demonstrationen
gegen den
Afghanistan- und Irak-Krieg. Die „taz“ dazu: „Dass ein Ostermarsch von
einer
Gruppe für ihr Anliegen genutzt wird, ist spätestens seit den
serbischen
Demonstranten vor drei Jahren nichts Neues.
Doch anders als damals, als
der
serbische Block mit seinen nationalistischen Parolen vom Rest der
Demonstration
faktisch isoliert war, geriet gestern der gesamte Ostermarsch mit
seinen knapp
10.000 Teilnehmern zu einer antiisraelischen Demonstration. (...) Schon
zur
Auftaktkundgebung am Alexanderplatz (...) sagte Jutta Kausch von der
Berliner
Friedenskoordination: ´Im Nahen Osten herrscht ein furchtbarer Krieg,
in dem
fast ein Volk ausgelöscht wird.´ (...)
Von einer Verurteilung
palästinensischer
Selbstmordanschläge war auf dem gestrigen Ostermarsch keine Rede.“
Als ein Offener Brief,
unter
anderem
unterzeichnet von Ralph Giordano und Lea Rosh, die Friedensbewegung auf
antisemitische Umtriebe bei Demonstrationen gegen den Irak-Krieg
aufmerksam
machen wollte, verweigerte diese über die Netzwerk-Friedenskooperative,
das
sich als eine Art Dachverband versteht, jeglicher Diskussion und sah
die
Friedensdemonstranten diffamiert. Die Kritik des Aufrufes sei „ein
Beitrag zur
Kriegslogik“.
Dass die Anhänger
palästinensischer
Terrororganisationen nicht zufällig auf dem Ostermarsch erschienen,
zeigt ein
exemplarischer Blick auf das Bonner Friedensbündnis. Hier ist auch ein
„Bonner
Arbeitskreis für internationale Solidarität“ aktiv, dessen Webseite
eine
Unterdomain von www.internationalismus.net ist. Dahinter wiederum
verbirgt sich
eine „Gruppe von deutschsprachigen Teilnehmerinnen und Teilnehmern des
antiimperialistischen Sommerlagers in Assisi“. Dort mit dabei war neben
dem
Bonner Arbeitskreis auch die palästinensische Terrororganisation PFLP.
Hauptverantwortlich für Sommerlager war die Wiener AIK.
1. Mai-Demonstrationen
Der 1. Mai hat - vor
allem in
Berlin -
eine hohe Bedeutung in der radikalen Linken. Er kann als eine Art
„Mitglieder-Versammlung“ der Szene bezeichnet werden. Jede der
verschiedenen
untereinander zerstrittenen Fraktionen zeigt, wie viele Leute auf die
Strasse
gebracht werden können. In Berlin gab es im Jahre 2003 zwei voneinander
getrennte Demonstrationen. Einmal demonstrierten unter anderem die
„Antifaschistische
Linke Berlin“ unter dem Motto „Gegen Krieg nach innen und nach außen“,
die mit
einem Plakat für die Demo geworben hatte, das einen ausgebrannten
US-Helikopter
zeigte, um den Irakis tanzen.
Das Motto der
konkurrierenden
Demonstration mit „israel-solidarischem Block“ lautete „Nie wieder
Frieden!
Fight new world order! Fuck old europe!”. Aufrufende waren neben der
„Autonomen
Antifa Nordost“ (AANO) auch das Bündnis gegen Antisemitismus und
Antizionismus.
Im Aufruf der AANO mit dem Titel „Euren Frieden wollen wir nicht!!
Deutschland
den Krieg erklären!“ heißt es: „Die Konfrontation zwischen Europa und
den USA
hat gerade in Deutschland einen weit verbreiteten Antiamerikanismus
wieder
reanimiert, der - völkisch aufgeladen - sich in den meisten Fällen als
Nationalismus und Antisemitismus dechiffrieren lässt. Die
allgegenwärtige
Kritik an den USA, sei es im Bundestag, im öffentlich-rechtlichen
Fernsehen, am
Stammtisch oder in der avantgardistischen Künstlerrunde, schafft in
Deutschland
ein unheimliches ´Wir-Gefühl´ - eine neue Form der Volksgemeinschaft.“
Die
Berliner „Anti-Nato-Gruppe“ rief zu Blockaden dieser Demonstration auf
und
erklärte: „Wir werden nicht dulden, dass eine Demonstration von
Kriegsbefürwortern und Anhängern der Scharonschen Transferlösung das
Gebiet von
Kreuzberg betritt. (...) Notfalls machen wir die Kreuzberger Grenzen
selbst
dicht.“ Zu befürchteten „innerlinken“ Handgreiflichkeiten kam es aber
nicht.
Streit
unter den Autonomen
Als autonome
Szenepublikation
findet die
zweiwöchentlich in Berlin erscheinende „Interim“, obwohl lokalpolitisch
ausgerichtet, starke bundesweite Beachtung. Laut bayerischem
Verfassungsschutzbericht ist sie für die Autonomen im Freistaat die
wichtigste
Publikation. Sie ist vor allem ein Diskussionsforum, das
Positionspapiere,
Flugblätter und Demonstrationsaufrufe veröffentlicht.
Gedruckt werden
aber auch
Anschlagserklärungen und Sabotageanleitungen.
War die „Interim“ bis in
die
frühen
1990er Jahre noch ein stramm antizionistisches Kampfblatt, wird
inzwischen das Verhältnis
der radikalen Linken zu Israel und zum Antisemitismus im Blatt heiß
diskutiert.
Mit Ausgabe 550 vom Mai 2002 entfachte eine der Redaktionen - das Blatt
hat
mehrere von einander unabhängige Redaktions-Gruppen - eine rege
Auseinandersetzung. Auf dem Titel des Blattes war nur eine israelische
Fahne
abgebildet. Im Vorwort erklärten die Macher, man habe den „Spielraum
innerhalb
des Interim-Konzeptes genutzt, um uns solidarisch mit Israel zu
erklären“. In
einem Text heißt es dann: „Die besondere Entstehungsgeschichte und
Situation
des israelischen Staates lassen es auch nicht zu, linke Kritik (z.B. an
Staaten, Militär etc.) einfach so auf Israel anzuwenden.
So ist die
Forderung
nach der Auflösung des Staates Israel zur Zeit nicht mit
anarchistischer Anti-Staatlichkeit
begründbar, weil diese Forderung die Schutzfunktion Israels für von der
Herrschaftsform (!) Antisemitismus betroffene ausklammert. Solange es
Deutschland und Antisemitismus weltweit gibt, lehnen wir - als
AnarchistInnen!
- eine Diskussion über die Existenz des Staates Israel ab. (...)
Die
antisemitischen Terrororganisationen streben im Einklang mit breiten
Teilen der
palästinensischen Gesellschaft die Beseitigung des Staates Israel an.
Vor
diesem Hintergrund die Forderung an Israel zu stellen, Zugeständnisse
zu machen
und auf die palästinensische Seite zuzugehen, ist absurd (...) Erstaunt
haben
wir in Gesprächen in den letzten Wochen registriert, daß vielen die
existentielle Bedrohung Israels und das Vorhandensein von
Antisemitismus in der
palästinensischen und den arabischen Gesellschaften neu war. (...) Jede
von
deutschen Linken geäußerte Kritik, z.B. am Vorgehen der israelischen
Armee oder
Scharon steht in diesem Kontext und verstärkt den anti-israelischen und
antisemitischen Tenor in der Diskussion.“
Das Heft wurde in einigen
„Infoläden“
der linken Szene nicht verkauft.
Die verantwortliche
Redaktionsgruppe der
folgenden Ausgabe ging gegen diese Positionierung wie folgt in
Stellung:
„Bisher hielten wir es für einen weitgehenden Konsens Nationalstaaten
nicht zu
unterstützen und deren Symbole allerhöchstens als Karikatur zu
benutzen.“ In
einem Text heißt es dann: „Ein Trugschluss ist es aber, den
Antisemitismus als
alleiniges Unterdrückungsverhältnis wahrzunehmen, denn diese
Einseitigkeit negiert
andere Herrschaftsverhältnisse. Setzt man nämlich Antisemitismus als
wichtigstes bzw. einziges Unterdrückungsverhältnis an, so ist ein
Mensch mit
eindeutiger und aufrichtiger nicht-antisemitischer Gesinnung per se ein
guter
Mensch. (...) Ein einseitiger Blickwinkel macht eine kritische Analyse
jeglicher Staats- und Gesellschaftsform unmöglich. (...) In beiden
Gesellschaften (der israelischen wie der palästinensischen, D.K.) gilt
es,
emanzipatorische Bewegungen und linke antikapitalistische Strukturen
gegen
reaktionäre oder fundamentalistische Kräfte zu unterstützen. In Israel
finden
sich emanzipatorische Bewegungen in den Resten der KP, der
Friedensbewegung und
intellektuellen Künstlern, in der palästinensischen Gesellschaft im von
der
PFLP und kleineren linken Gruppen aufgebauten sozialen Netz und
Kollektiven.“
Diskussionen um „Schuld und
Erinnerung“
Auch die Wochenzeitung
„Jungle
World“,
die 1997 aus einer Spaltung mit der „jungen Welt“ hervorging, schaltete
sich in
die linke Antisemitismusdiskussion ein. Das Blatt hat durch eine recht
kritische Betrachtung der linken Gemütslage im Gefolge des Afghanistan-
und
Irak-Krieges einige ihrer wichtigsten Autoren verloren. Sie achtet auch
daher
sehr auf die inhaltliche Ausrichtung der abgedruckten Artikel, um
überhaupt
noch als linke Zeitung wahrgenommen zu werden und im innerlinken
Diskurs
weiterhin eine Rolle spielen zu können. Das „Jungle World“-Dossier
„Schuld und
Erinnerung“ vom 13. November 2002 wurde erst nach langen internen
Diskussionen
veröffentlicht. Die Reaktion darauf kann beispielhaft für die Rezeption
des
Nahost-Konflikts innerhalb der radikalen Linken stehen - und für ihre
Zerrissenheit.
Die Kernpunkte dieses Textes, der zu Beginn ankündigt,
sich
jenseits einer pro-israelischen oder pro-palästinensischen Sicht des
Nahost-Konflikts annehmen zu wollen, dann aber immer mehr in ein
antiimperialistisches Fahrwasser gerät, lohnen sich näher anzusehen.
„Die
israelische Besatzung ist der Ausdruck eines Staatsterrorismus, die
palästinensische Gewalt ist eine Reaktion darauf“, ist in dem Beitrag
zu lesen,
Selbstmordattentate werden als „Akte der Verzweiflung“ benannt.
Zustimmend wird
der Autor Daniel Bensaid zitiert: „Zu zeigen, dass ´die Juden´ und die
israelischen Regierenden nicht dasselbe sind, ist ein Mittel des
Kampfes gegen
Antisemitismus.“
Weiter heißt es in dem
Artikel:
„Der
portugiesische Schriftsteller José Saramago veröffentlichte nach einer
Reise
mit anderen SchriftstellerInnen ins Westjordanland einen von der
internationalen Presse rezipierten Artikel, in dem er die
Vernichtungslager
(der Nationalsozialisten, D.K.) mit der israelischen Besatzung
verglich. (...)
Auch wenn der Vergleich Saramagos falsch ist, wirkt die Aufregung, die
er
erzeugte, suspekt. Man wird den Eindruck nicht los, dass Saramagos
Artikel
nicht nur dazu dient, die vielfache Banalisierung der Shoah zu
denunzieren,
sondern als Vorwand willkommen ist, um nicht mehr ? über die
israelische
Politik
gegenüber den PalästinenserInnen sprechen zu müssen. Die Erinnerung an
Auschwitz wird somit zu einer Sichtblende, hinter der sich eine oft mit
blutiger Gewalt ausgeübte Unterdrückungspolitik verbirgt. Der
Banalisierung von
Unterdrückung und Gewalt aber darf in einem Denken nach Auschwitz kein
Platz
eingeräumt werden. (...) Wenn Saramagos Worte Kritik verdienen, so
verdient die
Banalisierung der Geschehnisse in den besetzten Gebieten im Namen der
Erinnerung an Auschwitz unsere Entrüstung.“ Der Artikel schließt mit
den
Worten: „Eine Linke, die ihren Namen verdient, sollte sich gegen die
brutale Besatzungspolitik
der israelischen Regierung wenden und sich für die legitimen Rechte der
PalästinenserInnen stark machen.“
In einer der folgenden
Ausgaben
wirft ein
Artikel in Erwiderung auf den Text den Autoren vor, „die alte
antizionistische
Formel von den zu Tätern gewordenen jüdischen Opfern“ zu gebrauchen und
kritisiert die „Wiederkehr des antizionistischen Vokabulars für Israels
Palästinenserpolitik (Staatsterrorismus, Apartheid;
Militärdiktatur...)“.
Eine weitere Erwiderung
meint:
„Wann
immer eine linke Identitätspolitik mit einer eindeutigen Zuschreibung
von Gut
und Böse und mit einer klaren Opferidentifikation sich zu einer
Massenbewegung
entwickeln konnte, war es nicht mehr möglich, daran kritisch
anzuschließen.
Eine künftige Politik, die sich links nennt, müsste sich jenseits jeder
Identifikation artikulieren.“ Die Autoren bescheinigen einer
„antideutschen“
wie einer antiimperialistischen Position das „Ressentiment gegen einen
einzigen
Täter“. Die Autoren des Dossiers blieben „tendenziell im Vokabular
einer
traditionellen, antiimperialistischen Linken befangen“.
„Der Vorwurf,
dass
Israel ein ´Apartheidsstaat´ sei, war schon Ende der achtziger Jahre
eine
antiimperialistische Chiffre für eine Täter-Opfer-Umkehrung. ´Israel
ist ein
Apartheidssystem, Apartheid muss weg, ergo muss Israel weg´, lautete
die
Assoziationskette. (...) Es gibt derzeit in Deutschland keine
Solidarität mit
den PalästinenserInnen, die nicht partiell an den Motiven des
Antizionismus
teilhat.“
Die Autoren schließen: „Es gibt für diesen Konflikt keine
einfache
´Lösung´. Jede Hoffnung darauf versucht, die Geschichte zu verdrängen,
anstatt
sich mit ihr auseinanderzusetzen. Die Ambivalenz der Situation, in der
es mehr
als einen Täter und mehr als ein Opfer gibt, darf nicht reduziert
werden. Denn
diese Ambivalenz erzeugt nicht zuletzt die Sehnsucht nach klaren
Lösungen.
Stattdessen müssen Praktiken entwickelt werden, die die historischen
Ambivalenzen zur Voraussetzung der Politik machen.“
Ein Leserbrief von
„Autoren und
Lesern
der Jungle World“ geht mit den Autoren härter ins Gericht: „Die Jungle
World
entstand in Abgrenzung zu Nationalbolschewisten und Antisemiten bei der
Tageszeitung junge Welt.
Nun findet auch der Antizionismus, extra-light
und als
Diskurs verpackt, Gehör, Papier und Druckerschwärze bei seinen
einstigen
Gegnern.“ Die Entgegnungs-Texte „lassen sich tatsächlich auf einen
anti-israelischen Text ein, entsolidarisieren sich mit den
angegriffenen
´Sharon-Linken´, getreu dem Motto: Man wird ja noch mal drüber reden
dürfen
(...) Wir erwarten von der Redaktion eine unmissverständliche
Positionierung:
Haben antiisraelische Positionen einen Platz in dieser Zeitung oder
gilt der
alte Gründungskonsens: Zero Tolerance für jede Form von
Israel-Feindschaft,
Antizionismus und Antisemitismus? Wir, als Autoren und Leser der Jungle
World,
wollen wissen, ob dies weiterhin ´unsere´ Zeitung ist oder ob sie sich
´back to
the roots´ wieder in Pirkerwerners linksdeutschen Mainstream
einzureihen
versucht.“ Eine klare Äußerung der Jungle World zu dieser Kritik gab es
in
Folge nicht.
Antideutsche
Linke in
Solidarität zu
Israel und den USA
Unter der antideutschen
Strömung der
radikalen Linken sind insbesondere die Zeitschrift „Bahamas“ sowie die
Gruppe
„Antideutsche KommunistInnen“ aus Berlin zu erwähnen. Durch ihre
Theorielastigkeit haben sie über ihre Publikationen einen nicht zu
unterschätzenden Einfluss - beispielsweise auf die Zeitschriften
„konkret“,
„Jungle World“ und „Interim“. Dass sie zahlenmäßig weit unwichtiger
sind, zeigt
sich nicht nur an mäßig besuchten Demonstrationen, sondern auch daran,
dass
keine linken Szenetreffpunkte ihnen erlauben, Veranstaltungen
abzuhalten. Der
Berliner Mehringhof, eine der ersten Adressen der Berliner Linken, hat
die
Redaktion der „Bahamas“ aus ihren Räumen gewiesen.
Die Antideutschen
betonen ihre
Solidarität mit Israel und den USA, die sie beide im Kampf gegen den
Islamismus
sehen, der mit dem Nationalsozialismus verglichen wird. Sie verstehen
sich als
linksradikal und sind der Ansicht, dass die von ihnen befürwortete
kommunistische Revolution nur gegen Deutschland möglich sei. Der
deutschen
Nation wird ein geschichtlich begründeter Zwang unterstellt, nur über
Antisemitismus zu sich selbst finden zu können.
Um die Eigenbezeichnung
als
„Antideutsche“ besser verstehen zu können, sei aus dem Aufruf des
Bündnisses
gegen Antisemitismus und Antizionismus zum 1. Mai 2003 zitiert: „Es ist
eine
Binsenweisheit, dass mit dem Kapitalismus auch die Nation anzugreifen
ist. Und
wahrscheinlich kann nicht häufig genug wiederholt werden, dass die
ekligste
Variante von Nation und Nationalstaat die deutsche ist. Hier
konstituiert sich
nationale Identität immer völkisch. Hier finden sich die Individuen am
liebsten
in der Gemeinschaft, die erst die Vernichtung der europäischen Jüdinnen
und Juden
betrieben und halb Europa in Schutt und Asche gelegt hat, es aber
nachher nicht
gewesen sein will. Stalingrad und die Bombennächte haben nicht
nachhaltig genug
gewirkt: alles, was nicht nach Gemeinschaft, Volk und nationaler
Identität
aussieht, hat in Deutschland nach wie vor prekären Status und wird im
Zweifelsfall Mord und Todschlag ausgesetzt. Ohne die Destruktion dieser
völkischen Gemeinschaft ist Emanzipation nicht zu haben, im Gegenteil:
sie ist
Bedingung ihrer Möglichkeit.“
Nicht nur die
traditionelle
Linke stellt
die „Bahamas“ und ihr Umfeld gerne in die rechte und reaktionäre Ecke
und
kolportiert, die „Antideutschen“ hätten sich längst aus der Linken
verabschiedet und würden „mit Polizei und Geheimdiensten gemeinsame
Sache
machen“. Dabei kommt es manchmal sogar zu körperlichen Angriffen von
Seiten der
antizionistischen Linken. Als die Zeitschrift „Bahamas“ im April 2002
eine
Diskussionsveranstaltung in Berlin durchführen wollte, sagte der
Betreiber der
angemieteten Kneipe kurzfristig aufgrund massiver Drohungen ab. Am
Ersatzveranstaltungsort versuchte eine Personengruppe, die Vorträge mit
Parolen
wie „Juden raus“ zu stürmen. Die Eingangstür wurde eingetreten und auf
die
Anwesenden eingeprügelt.
Erwähnt werden sollte,
dass es
innerhalb
der „antideutschen“ Szene auch Spaltungen gibt. Gruppen wie die
Frankfurter
Combo „Morgenland Inc.“ zum Beispiel tragen die Pro-Israel Haltung in
dieser
Form nicht mit. „Bahamas“ und Co. wird vorgeworfen, den Antisemitismus
nicht
mehr primär in Deutschland zu orten, sondern fälschlicherweise in der
arabischen Welt.
Les
extrêmes se touchent
Bei allen Unterschieden
im
Einzelnen ist
den Radikalen jeglicher Couleur nach Ansicht der Extremismusforschung
der
Alleinvertretungsanspruch, die Ablehnung pluralistisch-demokratischer
Systeme,
Dogmatismus, das Freund-Feind-Denken und der Fanatismus gleich.
Antisemitismus
kommt dann ins Spiel, wenn zum Beispiel der „jüdische Kapitalist“ als
Innbegriff des „raffgierigen Kapitalisten“ erscheint, geheime Mächte im
Hintergrund als unsichtbare Strippenzieher ausgemacht werden, deren
Darstellung
an die „Protokolle der Weisen von Zion“ erinnern und Israel als „Jude
unter den
Staaten“ als einzigem Land auf der Welt das Existenzrecht abgesprochen
wird.
Der Antizionismus ist eine spezifische Form des Antisemitismus nach
Auschwitz,
der neben der radikalen Linken auch bei Rechtsextremisten und
Islamisten zu
finden ist.
Abschließend soll der
Politikwissenschaftler Andrei S. Markovits zitiert werden, der im Mai
2002 in
der „tageszeitung“ die Situation folgendermaßen treffend
zusammenfasste: „Die
politischen Extreme Europas treffen sich häufiger, aber nirgendwo
auffälliger,
als wenn es um Israel, die Juden und die USA geht. Doch selbst da
schrieben die
jüngsten Demonstrationen ein neues Kapitel, weil es häufig unmöglich
war zu
ermitteln, wo links anfing und rechts endete.
In einer Reihe
europäischer
Städte verbrannten radikale Linke und Rechte gemeinsam mit Hakenkreuzen
versehene israelische Fahnen. (...) Schliesslich steht Israel für eine
bestimmte Modernität, die europäische Intellektuelle von links und
rechts schon
immer fürchteten - und für die gleichfalls die Vereinigten Staaten von
Amerika
stehen. Rechts sah man in den Juden, also in Israel, jene seelenlose,
zersetzende Modernität, das Gegenteil eines bodenständigen Volkstums,
das den
Rechten so sehr am Herzen liegt.
Und für die Linken verkörperten
Amerika und
die Juden einen ungezügelten Kapitalismus, der überall schlecht ist,
aber seine
reinste Ausprägung in diesen verwandten Gemeinschaften findet.
Das
gesamte 20.
Jahrhundert hindurch und vielleicht schon zuvor galten Amerika und die
Juden
der europäischen Rechten wie der Linken als negative, Furcht
einflössende und
besonders ablehnungswürdige Protagonisten der Moderne.“
tribüne, heft 169, erstes quartal 2004
Aus dem Buch
Dr. Arthur Ruppin
„Die Juden der Gegenwart“
Eine
sozialwissenschaftliche Studie
Jüdischer
Verlag, Köln und Leipzig,
Jahr 1911
DjVu - siehe Info hier - http://ldn-knigi.lib.ru/DJVU.htm
Seiten
301-302
Die Aussichten
des Zionismus.
Man mag die Schwierigkeiten, die
sich einer Konzentration von Juden in Palästina entgegenstellen, geringer oder
größer einschätzen, unüberwindlich erscheinen sie nicht.
Die vielen Juden, die das
zionistische Ziel für unausführbar, für utopisch halten, sind mit diesem
Urteil noch leichtfertiger als jene Zionisten, die die Verwirklichung bereits
als nahe bevorstehend ansehen, wenn irgendwo in Palästina eine neue Kolonie
gegründet wird.
Die Wahrheit ist: das Ziel des Zionismus, die Bildung einer kohärenten
jüdischen Bevölkerung in Palästina mit der Landwirtschaft als ökonomischer Grundlage
und dem Hebräischen als nationaler Sprache ist zwar sehr schwierig, aber
möglich.
Die
Schwierigkeiten dürfen nicht abschrecken. Nationale Wiederaufrichtung eines
Volkes ist keine Dutzendware, die auf dem Markte verkauft wird; sie verlangt
äußerste Anstrengung und Ausnutzung aller im jüdischen Volke noch
schlummernden Kräft.
Aber das Ziel ist der großen Anstrengung wert.
Denn der
Zionismus ist nicht eine nationale oder chauvinistische Marotte, sondern der
Verzweiflungskampf der Juden gegen die sie bedrohende Vernichtung.
Greift der
Prozeß der Entnationalisierung, der in Westeuropa überall bereits die jüdische
Eigenkultur zermalmt hat, auf Osteuropa hinüber — und die Anfänge dazu zeigen
sich schon — so ist es mit der Existenz der Juden und der jüdischen Kultur in
alle Ewigkeit vorbei.
Eine einmal
aufgelöste Volkskultur ist nie wieder neu zu schaffen, und ohne eigene Kultur
ist die völlige Aufsaugung der Juden durch die anderen Völker nur eine Frage
der Zeit.
Wollen die
Juden ihre Existenz behaupten, so darf ihnen keine Mühe zu schwer, kein Opfer
zu groß sein. Fester nationaler Wille ist unwiderstehlich und schafft sich,
wenn auch oft erst im Laufe einer langen Entwicklung, schließlich Bahn.
So ist die
Aussicht vorhanden, daß auch die Energie und der Wille zum Leben im Judenvolke
die Widerstände durchbrechen und daß in Palästina das jüdische Volk noch einmal
seine nationale Wiedergeburt erleben wird.