OCR  Leon & Nina Dotan - http://ldn-knigi.lib.ru/Judaic-D.htm       (09.2004)

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Gedruckt bei Oswald Schmidt G.m.b.H., Leipzig

 


Inhaltsverzeichnis

 

 

Vorbemerkung  

                                                           

6

Awraham Refael Tarbut (1523)

 

Messiasspuren                                      

9

 

 

Dawid dei Rossi (1535)

 

Ein jüdischer Kaufmann aus Italien        

14

 

 

Elijahu von Pesaro (1563)

 

Auf halbem Wege                                 

19

 

 

Schlomo Schlömel aus Lundenburg (1607)

 

Ein gottgefälliges Leben             

27

 

 

Unbekannter Verfasser (1625)

 

Statthalterwirtschaft in Jerusalem

33

 

 

Mosche Porges aus Prag (1650)

 

Ein Vademecum für Palästina-Reisende  

41

 

 

Mosche ben Elijahu ha-Lewi der Karäer (1655)

 

Eine Reise von der Krim ins Heilige Land           

49

 

 

Gedalja aus Semiecz (1716)

 

Aus der Gemeinschaft R.Jehudas des Frommen  

53

 

 

Mosche Chagis (1733)

 

Die Auffindung der Klagemauer             

66

 

 

Chajjim Mosche Misrachi (1742)

 

Rechtsgutachten                                   

71

 

 

Joßef der Schreiber aus Bresticzka (1762)

 

Von Erdbeben und Torarollen                

75

 

 

Schimon van Geldern (1766)

 

Der Räuberhauptmann vom heiligen Berge Moria

87

 

 


{6}

 

Vorbemerkung

 

            Das jüdische Palästina in den langen Jahrhunderten der Diasporaist weiten Kreisen noch ein unbekanntes Land. Man kennt die fromme Sage von Jehuda ha-Lewi, der von der Zionssehnsucht gepackt in das Land aufbrach und auf den Trümmern des Tempels, mit seinem gewaltigen Zionslied auf den Lippen, von einem Sarazenen den To-desstoß erhalten haben soll; man weiß von anderen from-men Pilgern, die es ins Heilige Land zog, um dort die Gräber der Frommen zu besuchen oder um selbst an ihrer Seite zur ewigen Ruhe gebettet zu werden. Die mittel-alterlichen Reisenden Benjamin von Tudela und Petachja aus Regensburg sowie ihre Nachfolger in der beginnen-den Neuzeit, wie Owadja von Bertinoro, sind wenigstens dem Namen nach vertraute Gestalten. Aber das Leben der jüdischen Bevölkerung Palästinas, die in unbesiegbarer Liebe zu ihrem Lande ununterbrochen von der Zeit der Zerstörung des Tempels bis in die Gegenwart dort die Heimat sah, die jüdische Gelehrsamkeit, die das Land aus-zeichnete, die Armut und die Sorgen, die die Juden Palä-stinas quälten, das sind sehr wenig bekannte Kapitel unse-rer Geschichte.

            Vom jüdischen Alltag in Palästina will dieses Büchlein er-zählen, indem es Menschen sprechen läßt, die selbst den Weg aus der Galut nach Zion gegangen sind. Die be-kanntere Reise- und Gräberliteratur ist dabei unberücksichtigt geblieben und sei einer besonderen Veröffent-lichung der Bücherei des Schocken Verlages unter einem anderen Gesichtspunkt vorbehalten. Ebensowenig ist diesmal die so viel umfangreichere und an äußerer Schil-derung üppigere nichtjüdische Itinerarien-Literatur her-angezogen. Hier ist aus einer Fülle wenig bekannter Rei-sebeschreibungen, aus Briefen und anderen Dokumenten dreier Jahrhunderte eine bunte Auswahl getroffen {7} wor-den, um den schlichten Juden von Erez Jißrael zu schildern, der seinem Handwerk und Gewerbe nachgeht, mit sei-nen Waren von Ort zu Ort zieht oder sie im Basar feil-hält, der sein Haus baut und das seines Gottes errichtet, um darin ein frommes und heiliges Leben zu führen, der sich in die Schriften seines Volkes versenkt und sich dem Studium der Kabbala verschreibt, der alte Überlieferun-gen, wie sie sich an heilige Stätten knüpfen, liebevoll auf-zeichnet und bei dem Glauben und Aberglauben dicht beieinander wohnen.

Von drückenden Alltagssorgen re-den die Berichte, von trockenem Brot und einem kärglichen Sabbatmahl, von Krankheiten, Erdbeben, gewalt-tätigen und geldgierigen Herrschern und von enttäusch-ten Hoffnungen, die - 'wegen unserer großen Sünden' - resigniert hingenommen werden. Wir sehen den Juden von Erez Jißrael in einer ihm fremden Umgebung, wir sehen ihn aus aller Herren Ländern kommen; ein vielspra-chiges Judengemisch ist Zion, in dem einer den ändern kaum versteht. Vor uns steht der gebildete jüdische Kauf-mann aus Italien, der in seiner Tradition erstarrte Karäer aus der Krim, der einfältige Torarollenschreiber des pol-nischen Städtchens und der verzückte Anhänger des hei-ligen Chassid. Mit rührender Anhänglichkeit wahrt jeder die Erinnerung an die Galut, die seine Heimat war, schreibt an die fernen Lieben und schließt sie in seine innig-sten Gebete ein.

Die Beschwernisse der Reise vor zwei-hundert und dreihundert Jahren werden vor uns lebendig, die Gefahren der Seefahrt, die Landreise auf Mauleseln und Kamelen, Verhandlungen mit gestrengen Zöllnern, Sorge um Hab und Gut während der Überfahrt.

Viele gute Ratschläge ergehen in diesen Briefen an die Ange-hörigen daheim für ihre dereinstige Palästinareise, prak-tische Winke, die sich aus den eigenen Erfahrungen er-geben. Wie zutreffend viele dieser wohlgemeinten Hin-weise sogar heute noch sind, wird jeder bestätigen kön-nen, der in unseren Tagen, unter so vielfach geänderten {8} Bedingungen, die Reise von Europa nach Erez Jißrael zu-rücklegt.

 

Mit unbekümmerter Naivität schildern diese Briefe das Land und seine Sitten und, vor allem, aus liebendem Herzen. Die Juden, die uns hier begegnen, lieben ihr verwüstetes Land, seine Trümmer, seine Luft, seine Steine und seinen Himmel und ihr eigenes Schicksal in diesem Lande mit demütiger Gläubigkeit.

 

Wenn Gottes Erlösergnade so will, wird Er sie, die der Stätte der Er-lösung am nächsten sind, als erste 'bald und in unseren Tagen'  in seine Arme schließen.

 

 

 

Jerusalem, im Sommer 1935.

Kurt Wilhelm

 


{9}

 

Messiasspuren

 

R. Awraham Refael Tarbut an R. Awraham in Perugia

Um 1500

 

            Das Auftreten Dawid Rëubenis im Jahre 1523, der sich für einen jüdischen 'Fürsten aus der Wüste Chabor' ausgibt, hält die jüdi-sche Welt in Atem. Sein Bruder, so erzählt er, ist König über jü-dische Stämme, auch die übrigen verloren geglaubten Stämme des Reiches Israel hat er gefunden, er selbst kommt in einer poli-tischen Mission, er will mit dem Papst und mit Königen ver-handeln.

 

            Die Romanze von den zehn Stämmen ist keine literarische Fabel. Sie ist zu fast allen Zeiten der jüdischen Geschichte eine tief ins Leben einschneidende jüdische Erwartung. Auch der nächste Brief unserer Sammlung von Dawid dei Rossi bemüht sich, Nach-richten über die unbekannten Retter hinter den fernen Bergen zu verbreiten.

 

            Aus Dawid Rëubenis Tagebuch (herausgegeben mit deutscher Übersetzung von E. Biberfeld 1892) geht hervor, daß er von Purim bis Mitte Juni 1523 in Palästina war. Auf diesen Aufenthalt nimmt der folgende Brief Bezug, dessen Absender in Reubenis sonst an Einzelheiten reichem Tagebuch auffälligerweise uner-wähnt geblieben ist. Der Empfänger des Briefes muß sich unter den italienischen Juden hoher Autorität erfreut haben, denn auch andere aus Italien stammenden Juden in Palästina wandten sich in der gleichen Angelegenheit an ihn. Die Briefe hat A. Neubauer im Sammelband der Mekize Nirdamim IV (1888) veröffentlicht. Das Schreiben des R. Refael Tarbut ist ohne Ort und Datum, muß jedoch aus Hebron oder Safed noch vor dem Jahre 1525, dem Todesjahre des im Briefe erwähnten Nagid Jizchak ha-Kohen, ab-gesandt sein.

 

            FRIEDEN DEM MEISTER DER VIELFÄLTIGEN Bildung, dem Meister an Lehre, dem Meister an Weisheit, an Frömmigkeit und an Wohltun.

            Meine Kraft ist geschwunden und dahin. Ein Jude, ein Bewohner des Landes, hat mich schmählich um das we-nige betrogen, das ich mir in Italien zusammengespart habe. Ich hatte ihm das Geld anvertraut, damit er da-von ein Geschäft gründe, dessen Ertrag wir unter uns teilen wollten. Von dem kleinen Einkommen gedachte {10} ich meine Familie zu ernähren. Statt eines kleinen Ein-kommens habe ich aber jetzt große Sorgen, das ganze Geld ist vergeudet, und ich weiß weder ein noch aus. Was soll ich tun? Wer kein Vermögen hat, kann hier nichts werden.

            Doch nicht deshalb schreibe ich dir, sondern mit froher Botschaft möchte ich dich ehren und erfreuen. Höre, mein Meister, und wisse, was sich zwei Jahre vor meiner Ankunft hier zugetragen hat. Ein fünfzehnjähriger Bursche, der Sohn des Rabbiners der Moriscos - das sind ma-rokkanische Juden, die schon seit Generationen hier woh-nen, aber keine Sfardim - stand vor der Tür, um zu spie-len. Da flog eine schlohweiße Taube auf ihn zu, sie umflatterte den Jungen, er fing sie ein und sah, daß unter einem Flügel himmelblaue Federn zu Buchstaben ange-ordnet waren, die die Worte ergaben: 'Bald kommen die Stämme.' 

Der Junge wollte die Taube seinem Vater bringen, um ihm das Wunder zu zeigen, da schlug ihm jemand die Taube aus der Hand, er aber hatte niemanden ge-sehen. Die Taube flog davon. Kurze Zeit darauf erschien ein Abgesandter der Stämme in Jerusalem, sein Vater ist aus dem Stamm Reuben, seine Mutter aus Dan. Er ver-kündete Wunderbares über die bevorstehende Erlösung: die Stämme würden kommen, der Stamm Reuben werde voranziehen, wie es auch im Buche Sohar zur Stelle 'Über-schwall wie Wassers' (Gen. 49,4; Sohar 236a.) heißt. Er sagte ferner, ihn habe sein König gesandt, um einen Stein aus der Westmauer des Tempels zu entfernen. Diesen Stein habe jener Jarowam ben Newat durch Zauberwerk eingesetzt und solange sich der Stein in der Mauer befinde, könne Israel nicht erlöst werden. (Siehe l. Kg. 11,27 und Talmud Sanhedrin 101b zur Stelle. Der König Jarowam ben Newat, für den Talmud der Inbegriff alles Bösen, verschloß die Bresche in der Mauer, durch die die Israeliten zum Feste einzogen.). Er wolle den Stein in Gegenwart unseres erlauchten Rabbiners, des Nagid (Fürst, Führer.) Jizchak ha-Kohen Scholal aus der Mauer reißen. Die zehn Stämme wohnen {11} auch nicht jenseits des Sambatjon, wie wir immer ge-glaubt haben, sondern diesseits. Nichts stehe ihnen im Wege zu kommen, sobald die Zeit sich erfüllt habe und jene zehn Zeichen sichtbar geworden seien, von denen sie bereits acht gesehen hätten und deren zwei letzte bald erscheinen würden. Diese zehn Zeichen vertraute mir der junge Mann in seiner Liebe zu mir an und noch andere Zeichen mehr. Ich will sie dir aber nicht mitteilen, der Brief könnte in unrechte Hände geraten. Der junge Mann ging von hier nach Damaskus.

            Nach seiner Abreise schrieb mir unser ehrwürdiges Ober-haupt, der Nagid, aus Jerusalem über alles, was der Jüng-ling dort gesagt hat, auch über das Entfernen des Steines in seiner Gegenwart. Alles sei Lug und Trug, er sei ein Schwätzer und Aufwiegler, und mir insbesondere wie auch den anderen hiesigen Gelehrten legte der Nagid nahe, das Volk aufzuklären, damit es nicht an ihn glaube. Wie leicht könne die Sache ruchbar und als Empörung gegen die Regierung ausgelegt werden. Danach erschienen Ju-den aus Ägypten und Gaza und berichteten, auch in Ägyp-ten seien Boten von den Stämmen angekommen mit dem Auftrag an die Juden, Ägypten zu verlassen, denn bald werde das Land wanken, und wer nicht auf die Botschaft höre, werde umkommen. Araber aus Ägypten erzählen, daß die Juden dort ihre Häuser und ihren ganzen Besitz verkaufen, worüber man sich im Lande sehr wundere. Fragte man die Juden, so hieß es, sie wollten das Peßach-fest in Jerusalem verbringen, um danach wieder heimzu-kehren, aber das glaubt man ihnen nicht.

            In dieser Woche traf ein Brief aus Damaskus ein, man habe dort Nachricht aus Saloniki erhalten, daß ein Bo-te des Königs vom Stamme Reuben eingetroffen sei. Er habe ein Handschreiben seines Königs mit dem königlichen Siegel und der Unterschrift seiner zwölf Weisen gebracht, in dem es heißt, daß in Galiläa bald die We-hen des Messias verspürt werden sollten, auch im Lande {12} Benjamin und im Tale von Jericho. Dreihundert Fami-lien in Saloniki würden nach dem Peßachfeste hierher auswandern.

            Oh, könnte ich auch dich, mein geliebter Meister, und deine Familie bald hier empfangen! Ich habe mir hier ein verfallenes Haus gekauft und will es mit einem Teilhaber gemeinsam aufbauen. Gott allein weiß, was mir noch nach der Verheiratung meiner Töchter geblieben ist. Aber auf Ihn warf ich von Jugend an mein Teil, Er wird mich erhalten und stärken. Wegen des vielen Volks, das aus allen Ländern hierher kommt, kann man keinen Zoll breit mehr an Häusern kaufen oder mieten, deshalb habe ich mir das Brot vom Munde abgespart, um die Kosten bestreiten zu können, und Gott wird sich unser erbarmen. Wir erwarten auch viele Juden aus Ägypten, die sich hier niederlassen werden. Wisse, die Stämme haben nicht den Talmud, nur die Mischna, die 'Starke Hand' des Ram-bam (Das große Gesetzeswerk des R. Mosche ben Maimon hat neben dem Titel 'Mischne Tora' (Repetition der Lehre) auch noch den anderen Titel 'Jad chasaka' (Starke Hand), nach dem Zahlenwert des Wortes 'jad' (=14). Das Werk ist in vierzehn Bucher eingeteilt.) und die Propheten. Sie sind aber große Kabbalisten und beschäftigen sich mit dem 'Höchsten Gut' (Der Sohar.). Tagtäg-lich hören wir wunderbare Mär von der nahen Erlösung und auch die Mohammedaner weissagen ähnliches. Gott führe die Zeit des Heils eilends herbei, Er sammle uns alle einmütig zu Seinem Dienste und daß wir Ihn lieben und Seinen großen Namen vereinzigen. 'Zion wird durch Recht abgegolten und seine Umkehrenden durch Be-währung.' (Jes. 1,27.).

            Bitte, mein Meister, sende mir in deiner Huld Trost durch deine Briefe, die meine Seele erquicken und meinen Geist beleben. Alle deine Briefe der letzten Zeit sind Königskleinodien gleich bei mir aufbewahrt. Ich vertraue auf Gott, daß du mit deiner Familie bald hierher kommen wirst, um in das Haus einzuziehen, das ich auch für dich zur Ruhestätte baue. Dann wird 'Lachen und Lust drin {13} gefunden, Danklied und Saitenspielschall'. (Jes. 51,3). Beim Ausheben der Tora spreche ich immer für dich ein Gebet um Segen aus ganzem Herzen und ganzer Seele und unter heißen Tränen. Lebt wohl.

            Der sich sehnt, dein teures Antlitz zu schauen und das aller deiner Kinder, Awraham Refael Tarbut, Sohn des R. Esriel, sein Andenken sei zum Segen.

 


{14}

 

Ein jüdischer Kaufmann aus Italien

 

Dawid dei Rossi

16. Jahrhundert

 

            Dawid, ein Mitglied der angesehenen italienisch-jüdischen Gelehrtenfamilie dei Rossi, reist im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts aus seiner Heimatstadt Cesena in geschäftlichen Angelegenheiten nach Safed. In einem Brief an seine Geschwister aus dem Jahre 1535 erstattet er der Heimat einen Bericht und behandelt darin alle Fra-gen, für die die Brüder in Italien Interesse haben werden. Er ist nicht nur ein erfahrener Kaufmann, sondern ebenso politisch und literarisch bewandert.

 

            Awraham Joßef Graziano, ein Handschriftensammler in Modena aus dem 17-Jahrhundert, hat diesen Brief in einem Sammelband aufbewahrt. Diese Quelle gelangte in den Besitz David Kaufmanns, der den Brief in Jewish Quarterly Review IX (1897) 491 ff., ver-öffentlicht hat. Durch ein Versehen lautet in der Einleitung Kauf-manns der Name des Verfassers Mosche. Kaufmann hat den Irr-tum m der Allgemeinen Zeitung des Judentums 62 (1898) 9 be-richtigt.

 

            SEID GESEGNET DEM HERRN!

Meine Brüder, seid mir nicht böse, daß ich euch nicht aus-führlich schreibe, wie es wohl meine Absicht ist. Laßt mich euch nur in kurzen Worten vom Hinscheiden unse-res lieben Schwagers Jizchak Baruch (des Gerechten An-denken sei zum Segen) Kunde geben. Da unsere werte Schwester Channa (vor allen Weibern sei sie gepriesen) sich von Sehnsucht nach ihren Kindern geplagt aufge-macht hat, um wieder in die Heimat zurückzukehren, wird sie euch ja berichten. Aus ihrem Munde werdet ihr auch hören, daß ich selbst beim Tode des Schwagers nicht zu-gegen sein konnte. Ich war am Sonntag, den 22. Schwat, mit meinen Waren von Akko abgereist und wollte über Sidon nach Safed ziehen. Als wir nur einen Pfeilschuß weit unterwegs waren, strömten unermeßliche Regenmengen herab und meine Kamele kamen nicht mehr vorwärts. Sie wurden nach dem Dorfe El-Berwe geführt, und dort mußten wir wegen des Regens und Schnees bis zum {15} 4. Adar verweilen. Inzwischen waren unser Schwager R. Jizchak Baruch und seine Frau, unsere Schwester, bis Sidon vorangezogen, da sie sich nicht mit Waren be-schwert hatten. Am 1. Adar starb er in Sidon und wurde dort begraben, er liegt eine halbe Meile vom Grabe Sewuluns entfernt. Er war in Sidon aus der Tür gefallen und etwa eine Elle tief gestürzt. Dabei hatte er sich die Nase verletzt. Die Wunde war jedoch schnell verheilt, er konnte wieder ausgehen und spürte nichts mehr von sei-nem Unfall. Die Todesursache ist gewiß in seiner Körper-schwäche, die den Anstrengungen dieser langen Seereise nicht gewachsen war, zu suchen. Uns, seinem Weibe, seinen Kindern und ganz Israel ist nun das Leben verdun-kelt. Er hat an seine Kinder noch einen langen Brief ge-schrieben, darum kann ich mich mit dieser Mitteilung begnügen.

            Unsere Schwester war auch länger als zwei Monate in Jerusalem und Hebron. Sie wird euch viel von dort er-zählen können. Von einem Jerusalemer Schreiber ließ sie sich ein Verzeichnis aller Frommen, die im Heiligen Lande begraben sind, anfertigen, auch das werdet ihr sehen.

            Was kann ich euch sonst von hier berichten? Wie in Ita-lien, so bessert man auch hier Schadhaftes aus und scharft Neues. Wer Safed vor zehn Jahren gesehen hat und heute wieder hinkommt, erblickt Wunder vor seinen Augen. Immer mehr Juden kommen nach Safed. Das Kleiderhandwerk nimmt ständig zu, mehr als 15000 Gewänder hat man in diesem Jahr in Safed angefertigt, außer den großen Anzügen. Die meisten fallen mindestens so gut aus wie die aus Venedig eingeführten. Wer sich auf Wollarbeit versteht, kann mit diesem Handwerk hier viel Geld verdienen.

            Der Arzt allen Fleisches möge euch gute Gesundheit und friedliches Leben schenken. Als ich vor einem Jahr nach Safed kam, kaufte ich dort den Weizen das Maß zu 40 Ze-chinen, in diesem Jahr kostet das gleiche Maß 3 Lire, denn {16} der Preis ist sehr angestiegen, weil in der ganzen Gegend Dürre geherrscht hat. In Zippori ist die Not besonders groß, die Heuschrecke hat dort die ganze Ernte vernich-tet. Man hat sonst von dort über Akko viel Getreide ver-schickt. Auch das Obst, das aus Damaskus gebracht wird, hat durch Hagelschlag sehr gelitten. Nur Weintrauben gibt es in Fülle, wir haben viele Sorten herrlicher Trau-ben in diesem Jahre gegessen. Es erzählten mir Leute von einer Weintraube, die 27 Rotl schwer war, das sind 162 italienische Pfunde. Gepriesen sei, der die Hungrigen sättigt, Er labe auch euch von seinem Gute, mögen euch Segen und Gerechtigkeit erhöhen.

            Ich habe mich nach den verloren geglaubten zehn Stäm-men erkundigt, das ist etwas Wunderbares in unseren Augen. Auf dem Markt in Tripoli erzählte mir ein jüdi-scher Kaufmann, der mit Edelsteinen und Gewürzen handelte, er sei schon einmal in Äthiopien gewesen und mit einem Schiff, das keinen Nagel haben durfte, über das Magnetmeer dorthin gefahren. Die Hitze in Äthiopien ist so furchtbar, daß alle Bewohner des Landes nackt gehen müssen. Er trug nur einen Leinenanzug, und selbst der war ihm viel zu schwer. Der Mann erzählte mir wei-ter von Sindschel, einer großen Stadt, die nur von Juden bewohnt wird (Jüdische Kolonien in Indien werden von zahlreichen Reisenden erwähnt.). Die Juden müssen jährlich 40000 Lasten Pfeffer an den König von Portugal liefern, wofür sie von ihm das Geld erhalten, dessen sie sich im Verkehr bedienen. Die Juden dieses Landes richten sich nach den Entscheidungen des R. Mosche ben Maimon.

            Neuigkeiten habe ich sonst nicht zu berichten, es sei denn, daß unser Sultan von Konstantinopel ausgezogen ist, um das Reich des Ssafi, das ist Persien, zu erobern (Im Jahre 1534 unternahm Soleiman I. seinen persischen Feldzug.). Ohne Schwertstreich gelangte er bis Babel, der Ssafi ergriff die Flucht, und der Sultan nahm darauf Susa ein. Da machte der Ssafi kehrt, besetzte Susa wieder, denn durch die {17} Kälte und den Wassermangel waren viele Pferde in der türkischen Armee umgekommen. Jetzt will der Sultan seinen Feldzug erneuern, um sein Reich auszudehnen. Gott schenke ihm Heil und Sieg und lege ihm Völker und Reiche zu Füßen. Amen.

            Ich habe mich bisher dem Handel wenig gewidmet, ich habe nur einige Gewänder gekauft und mit bescheidenem Nutzen verkauft. Tripoli und Beirut sind die Haupt-handelsplätze für Quitten, Etrogim, Datteln und andere Früchte. In Tripoli findet man allerlei Waren, der Han-del, der früher in Damaskus blühte, hat sich nach Tri-poli gezogen. Täglich kommen Juden mit ihren Waren dorthin und ziehen weiter nach Aleppo, dem Hauptsta-pelplatz der ganzen Türkei und auch Persiens. Deshalb haben die Juden auch wenig Handelsbeziehungen nach Venedig, alle Waren werden hierher ins Land gebracht.

            Vor drei Monaten traf ein Schiff von Ragusa in Tripoli ein und brachte die Nachricht vom Hinscheiden des Pap-stes Clemens (Clemens VII.).

An seiner Stelle wurde der Kardinal Farnese zum Papst gewählt (Papst Paul III.). Gott schütze ihn und schenke ihm langes Leben. Ich denke, er wird den Juden wohlge-sinnt sein.

            Hier leben wir nicht in der Verbannung wie in Italien. Die Türken verehren und schützen die Juden. Hier und in Alexandria stehen sogar Juden an der Spitze der Zoll-ämter des Sultans. Im ganzen Reich kennt man keine Judensteuern, nur in diesem Jahr hat man wegen des Krie-ges in Persien von den Juden Darlehen, teils gegen ein Pfand, teils auf die städtischen Steuern hin, die von den Juden eingezogen werden, genommen. Gelehrte sind von jeder Kopfsteuer befreit.

            Aus Safed werden viele Handelsartikel ausgeführt. Web-stoffe, Öl, Honig, Seide, Gewürze, wie Muskatnüsse, Pfeffer, Ingwer und Zimt. Alles verkauft man nach Rotl, ein Rotl hält sechs italienische Pfunde.

{18}     Meine Schwiegertochter und mein Enkel Mosche leben in meinem Hause. Meiner lieben Frau Sara (vor allen Frauen im Zelt sei sie gepriesen) hat Gott sogleich nach unserer Niederlassung in Safed die Gesundheit wiedergeschenkt. Das Wasser und die Luft von Safed sind sehr zuträglich, und ein Arzt findet hier kaum sein Brot. Ist jemand krank, so ißt er Gurkenfrüchte, Kürbisse und andere Früchte und wird schnell gesund.

            Meine heißen Segenswünsche sind mit euch, abends und morgens und mittags. Für euch bete ich zu Gott, wie für alle Bewohner Italiens. In der Ferne gedenke ich euer, klein und groß, und aller heiligen Gemeinden im Lande Italien, all unserer Verwandten und Bekannten, sie alle nenne ich bei Namen. Ich bitte euch: wenn ihr an eure Angehörigen schreibt, an eure Schwestern und Enkel und Schwagersleute, grüßt sie alle herzlich von mir. Gott möge euch dafür die Wonnen Judas und Jerusalems schauen lassen, euch und ganz Israel, unsere Brüder, zu euren Lebzeiten und in unseren Tagen, bald.

 

            Eilends abgesandt von eurem Bruder Dawid dei Rossi, der nach Sabbat-Ausgang, fast um Mitternacht, am 9. Nissan 5295 (1535) schreibt und Grüße der Liebe hin-zufügt.

 

 


{19}

 

Auf halbem Wege

 

Elijahu von Pesaro

16. Jahrhundert

 

            Der italienische Talmudist und Philosoph verließ im Jahre 1563 Pesaro, um mit seiner Familie nach Palästina zu übersiedeln. Er kam jedoch nur nach Zypern, wo er erfuhr, daß im Heiligen Lande die Pest wüte. Darum beschloß er, in der schönen Stadt Famagusta zu verweilen, um zu gegebener Zeit die Reise fortzusetzen. Sein Reisebrief an die Freunde und Angehörigen schildert in an-schaulicher Weise die Überfahrt und führt den Leser in die Ein-richtung der venetianischen Kauffahrerschiffe vor 400 Jahren ein. Da andere jüdische Reisebeschreibungen dieses Thema nur ge-legentlich und nebensächlich behandeln, ist Elijahus Brief eine wertvolle Ergänzung dieser Sammlung.

 

            Das hebräische Original des Briefes befindet sich in der Pariser Nationalbibliothek und wurde von B. Goldberg im Jahre 1879 erstmalig ediert. Eine auszugsweise deutsche Übersetzung veröf-fentlichte J. M. Jost im Jahrbuch für die Geschichte der Juden II (1861) 5 ff. Seiner Übertragung hat die folgende Übersetzung viel zu danken.

 

            UM MEINER BRÜDER UND FREUNDE WILLEN WILL ich Frieden reden, Frieden den Fernen und Frieden den Nahen. So tue Gott an euch in Ewigkeit, Er mehre die Ehre eures Hauses und schenke euch Segen und Leben, auf daß ihr wie junges Grün blühet und wie die Libanon-zeder emporwachset. Gepriesen sei Israels Gott und ge-lobt sei sein Name, der meinen Fuß nicht wanken ließ und nicht den meiner Kinder; wir alle erfreuen uns der Ruhe und Sicherheit. Der dem Schwachen Kraft gibt, ebne auch meinen Weg und gewähre mir, daß ich auf den Höhen der Heiligen Stadt stehe; von dort möchte ich euch mei-nen Gruß entbieten und von dort schicke Gott euch Sei-nen Segen, bis eure Lippen sich geschlossen haben vom sagen, es ist genug.

            Der glücklichste Tag meines Lebens war der 15. Aw, das ist der 4. August, im Jahre 5323, an dem wir Venedig ver-ließen, um ins Heilige Land zu ziehen. Fünf Galeassen {20} fuhren gemeinsam aus, drei nach Alexandria und zwei nach Beirut, und alle waren voll von Juden. Die Galeassen, die die venetianische Regierung ausschickt, sind ein-ander vollkommen gleich und gleichmäßig eingerichtet. Jede hat eine Länge von siebzig italienischen Ellen und eine Breite von achtzehn Ellen. Jede hat grobes Geschütz, außer dem kleinen Gewehr, den Büchsen und unzähligen Töpfen mit Feuerwerk.

            Jede Galeasse hat drei Masten, einen großen, einen mitt-leren und einen kleinen. Am großen Mast ist das große Segel, es hält 2500 Ellen Leinwand. Unter Umständen wird ein kleineres von 1700 Ellen Inhalt aufgezogen, und wenn heftiger Sturm eintritt, noch ein kleineres von 1200 Ellen. Für den Fall einer großen Gefahr haben sie ein noch kleineres Segel. Am mittleren Mast, der dicht am Hinterteil steht, ist ein Segel mit 1000 Ellen und am dritten auf dem Vorderteil ein kleines mit nur 300 Ellen Inhalt.

            Die Regierung sendet niemals eine Galeasse allein aus, sondern stets zwei oder drei zusammen. Der Kapitän muß schwören, daß er gegen eine noch so große Zahl von Seeräubern niemals und unter keinen Umständen die Segel streichen und damit die Republik beschimp-fen werde. Er hätte damit sein Leben verwirkt. Die ge-wöhnliche Art der Gefahr zu entkommen, ist die Zahlung eines Lösegeldes von 500 bis 2000 Scudi. Erfolgt die Zahlung, lösen die feindlichen Schiffe sich friedlich von-einander. Diese Summe wird von dem Vermögen der Reichen, die Güter mitführen, erhoben. Alle sind sorg-fältig gebucht.

            Eine der Galeassen ist das Vorschiff, die Capitana, auf der ein vornehmer Venetianer als Kapitän fährt, die übrigen Schiffe heißen Conservi. Auf der Capitana befindet sich eine vergoldete Flagge, die anzeigt, daß dieses Schiff die Leitung hat und alle anderen sich nach ihm richten müs-sen. Sein Kapitän gebietet über alle, er hat das Recht, {21} Geld- und sogar Todesstrafen zu verhängen. Die Regie-rung pflegt die Galeassen an Bürger oder Große aus Ve-nedig zu verpachten, und der Pächter sucht dann an den einzelnen Preisen zu gewinnen. Er ist der Schiffsherr und hat von der Einnahme die Unkosten für die verschiede-nen Arbeiter zu bestreiten.

            Die Wachen auf den drei Mastbäumen wechseln alle drei Stunden. Sie haben die Pflicht, bei Tag wie bei Nacht im Umkreis von etwa fünfzig Meilen Ausschau zu halten. Auf jeder Galeasse befinden sich zwei Ärzte, ein höherer Arzt und ein Chirurg; ferner ein Friseur, ein Barbier, ein Schreiber, ein Geistlicher, ein Schneider, ein Schmied, ein Nagler, ein Schuhmacher, ein Metzger und ein Hirte, letzterer zur Pflege der Tiere.

            Vorrätig sind alle Arten von Lebensmitteln, auch Wein, Öl, Eier, gesalzene Fische, Pökelfleisch, Früchte, Gemüse und Zwieback. Auf der Galeasse fahren ein Koch und ein Bäcker, auch ein Lotse, der stets auf Auslug steht, denn er kennt die Klippen und Sandbänke im Meere. Er er-teilt seine Winke dem Admiral, dieser dem Comito und der dem Patrono und der den Schiffsleuten. Jeder hat sei-nen ihm zugewiesenen Platz auf der Galeasse. Ich habe das ganze Schiff von oben bis unten erforscht und fand es voll von Waren aller Art. Da waren mehr als 4000 Fässer mit Wein, Öl, Essig, Wasser und allerlei Han-delswaren. Der Schiffsherr bringt für den Bedarf der Be-satzung dreißig bis vierzig Hammel mit, zwei oder drei Paar Ochsen, fünf bis sechs Kälber und Geflügel aller Art in Menge. Auf jeder Galeasse ist genügend Brennholz und Eßware in Überfluß vorhanden. Die Zahl der Menschen, die auf einem Schiff fahren, Schiffsherren, Diener, Beamte, Kaufleute, Reisende und Matrosen, beläuft sich auf 400. Das Gewicht der Anker und der Unmasse von Tauwerk ist ungeheuer und nicht zu berechnen.

Auf jeder Galeasse befinden sich achtzig große Ruder. Man bedient sich ihrer jedoch nicht oft, denn das {22} Schiff ist schwer. Feuer darf auf dem Schiff nur an einem bestimmten Platz gemacht werden. Dort können alle Mitreisenden kochen, ohne dafür zu bezahlen. Ein Christ kann an der Tafel des Kapitäns speisen und zahlt dafür ein monatliches Kostgeld in der Höhe von zehn venetianischen Dukaten. Nachdem die Vornehmen gespeist haben, kommt die zweite Klasse, die die Hälfte der vorigen zahlt, dann folgt die dritte, die ihren Tisch beim Koch hat und drei Dukaten zahlt. Die Tafel ist je-desmal reichlich besetzt, man kann sagen, königlich. Da-bei herrscht große Lustigkeit, man ißt und trinkt beim Spiel der Flöten, Hörner, Pauken und Harfen. Für Nachtlager zahlt ein jeder vier bis fünf Dukaten für die ganze Fahrt bis Tripoli. Vor der Gepäckkammer sind unter dem Vorderteil des Schiffes zwei kleine Zimmer ein-ander gegenüber, sie sind so niedrig, daß es unmöglich ist, darin aufrecht zu stehen. Für diese Räume werden dreißig Dukaten gezahlt und dafür wird dem Mieter auch Trinkwasser geliefert. Diese Räume mietete ich, ob-wohl es da sehr heiß ist. Wer aber Frau und Kinder hat, muß auf diese bedacht sein, und man findet nicht leicht einen Platz, der dem Argwohn und Mutwillen weniger Raum gewährt als dieser.             Wenn sich der Vermieter auch verpflichtet hat, Trinkwasser zu liefern, so darf man sich darauf doch nicht verlassen. Man muß immer einige Ton-nen Wasser vorrätig haben. Im Längsschiff befinden sich zwölf Zimmer, jedes zwei Ellen lang und 11/2  Ellen breit und hoch. Man mietet sie für vier bis fünf Dukaten. Das Zimmer, das dem Schiffsherrn gehört, ist schön und so groß wie zwei andere. Man vermietet es zuweilen und fordert dafür fünfzig Dukaten. Man darf kein offenes Licht im Zimmer brennen, nur ein Licht in der Laterne. Man kann nicht alle Ausgaben auf dem Schiff vorher be-rechnen. Seit einigen Jahren kostet die Überfahrt nach Beirut oder nach Alexandria sechs Zechinen für jede Per-son, klein und groß. Das hätten wir auch bezahlen {23} müssen, allein der Schiffsherr bemerkte meine Fürsorge für alle Ankommenden und bewilligte mir einen Nachlaß. Er nahm von uns nur 6 ¼ Dukaten für jedes Familien-mitglied.

            Wenn du, lieber Bruder, mit Gott über Venedig hierher reisen willst, so merke dir sorgfältig, was ich dir sage. Ich will dich über den Weg belehren, den du gehst, und auf welchem Pfade Licht ist, damit dein Fuß auf freier Ebene wandle und du nicht anstoßest und strauchelst. Verlaß dich auf keinen Menschen in Venedig, da ist alles be-schäftigt, jeder sorgt für sich, besonders vor der Abfahrt einer Galeasse. Leicht begegnet dir da ein Mißgriff zu dei-nem Nachteil. Achte darum auf dein Eigentum, sei vor-sichtig und aufmerksam, daß du in keine verborgene Falle geratest. Begib dich auf den Rialto, da findet man abends und morgens Galeassenbesitzer mit Schreibern, die offene Bücher vor sich haben. Sprich zu ihnen: ich habe so und- soviel Ballen zollfreien Hausrats, so und soviel Ballen Ware und Güter, die ich verzollen muß. Fertigt mir zwei Poli-cen aus. Was in der Police steht, schreiben sie auch ins Buch. Dann gehst du mit den Policen zum Zollamt. Über das zu Versteuernde wird eine Abschätzung gemacht, und was da angesetzt wird, zahle. Schaffe dann deine Güter in einen Kahn, um sie zur Galeasse zu bringen. Die Güter übergib auf der Galeasse dem Pförtner, der dir einen Empfangsschein ausstellt, den du bewahrst, bis du nach Tripoli gelangt bist. In der Zwischenzeit ist es sehr schwierig, etwas von den Gütern herauszubekommen.

Verlaß dich nicht auf solche, die die Abfahrt nicht genau anzugeben wissen, sei lieber mit deinen Sachen früher da. Kurz vor der Abfahrt drängt alles heran. Es kommt auch vor, daß einer sich verspätet und das Schiff bereits den Hafen verlassen hat. Dann hilft alles Schreien nichts, denn das Schiff hält nicht an, und man kann dann noch zehn Goldscudi für ein Boot bis Pola zahlen. Alles Silbergeld, das man mit sich führt, muß jeder {24} Reisende, Jude, Christ und Türke, dem Schiffsherrn angeben, und davon muß 1¼ Prozent gezahlt werden. Man kann es selbst verwahren oder ihm anvertrauen und dabei auf sichere Rückgabe rechnen, es sei gezählt oder in versie-gelten Beuteln. Auch darüber wird eine Police ausgestellt. Die Geldbeutel müssen gezeichnet sein und die Zeichen mit der Police übereinstimmen. Vor dem Aussteigen for-dert man einen Eid von dir, daß du kein weiteres Geld bei dir hast, und in Tripoli stellt man eine förmliche Nachsuchung in Zimmern und Betten an. Findet man Geld, das nicht angemeldet war, so wird es ohne Ersatz fortgenommen. Sei also vorsichtig, zahle lieber Steuer, um nicht alles zu verlieren. Es gibt Leute, die nicht so handeln, laß dich nicht von ihnen betören. Auf die Reise nimm für jede Person für einen halben Scudo Biskuit mit, für ein Marcello Brot, ein Faß Wein, drei Kannen Essig, gedörrtes Fleisch, Käse, Eier, Salz, Öl, Wachskerzen, eine Laterne, ein Kupfergeschirr zu beson-derem Zweck, Kochtöpfe mit Deckeln, alles aus Kupfer. Ferner Hülsenfrüchte, Lauch und Zwiebeln. Suche den Koch zu gewinnen, daß er dir ein Plätzchen am Feuer ein-räume und daß niemand dich behellige. Mache alles sorg-fältig mit ihm ab und behalte dir einen Teil der ihm bewil-ligten Vergütung bis zum Ende der Fahrt zurück. Laß dich mit niemandem auf dem Schiff irgendwie ein. Spricht einer harte Worte mit dir, so 'antworte dem Toren nicht nach seiner Torheit' (Prov.26,4.), sondern erwidere in sanften Wor-ten. Teile denen, die dir nahe sind, von Gottes Gaben aus, man wird dir dafür zur Hand gehen und dich ehren.

            Schenke aber niemandem Vertrauen, Gott allein lenke dein Tun.

            Am Sabbat vor dem Neujahrsfeste 5324, das ist am 11. Sep-tember, kamen wir in Famagusta auf Zypern an, von Ve-nedig bis hierher ist eine Entfernung von 2200 Meilen. Hier erfuhren wir zu unserem großen Entsetzen, daß in {25} ganz Syrien Pest und Seuche herrschen, Gottes Hand la-stet schwer auf dem Lande, schon seit dem 1. Adar. In der Heiligen Stadt Jerusalem, in Safed, in Damaskus und in Aleppo soll es besonders schlimm sein, schwer aber haben Beirut und Tripoli gelitten. Man versicherte uns zwar, die Seuche habe schon wieder abgenommen, aber ganz verschwunden sei sie noch nicht. Daher wagte ich es nicht, mich und meine Familie der Gefahr auszusetzen. Die Galeassen blieben sechs Tage hier, am Neujahrsmor-gen früh fuhren sie nach Tripoli aus, wo sie am anderen Morgen anlangen sollten. Mit ihnen fuhr R. Schlomo aus Pisa weiter, außerdem ein deutscher Gelehrter, der mit seiner Familie nach Jerusalem wollte, und drei Levantiner, die nach Safed zogen. Gott segne ihren Weg, Er be-hüte sie vor Not und Ungemach und Leid und wende ihnen seine Gnade zu wie dem ganzen Reste seines Volkes Israel, Amen.

Ich blieb hier zurück und mit mir der Apulier R. Jizchak, der früher in Ferrara lebte. Wir wollten erst günstigere Nachricht abwarten. Da schenkte mir Gott Gunst in den Augen der hiesigen heiligen Gemeinde, die mich ersuchte, hier zu verweilen oder mich hier nie-derzulassen. Da sah ich 'die Ruhe, daß sie gut, und das Land, daß es lieblich war' (Gen. 49,5.), und ich beschloß, einige Zeit hier zu verweilen. Ich sagte mir, 'siehe, nahe ist die Stadt' (Gen. 19,30.),nach meinem eigentlichen Ziel zu gelangen; von hier nach Tripoli sind es noch hundert Meilen, nach Beirut 120, nach Safed 140, nach Jaffa 200 und von da nach Jerusalem zu Lande noch etwa 40 Meilen. Die Kosten der Über-fahrt sind unbedeutend, für acht bis zehn Dukaten höch-stens miete ich mich mit meiner Familie auf einem Schiff nach Akko oder Jaffa ein. Gewöhnlich fährt man Dienstag oder Mittwoch ab und ist vor Beginn des Sabbats in Safed oder Jerusalem. Manche Juden fahren nicht gern im Som-mer übers Meer nach Jaffa, weil sie sich in dieser Zeit vor Seeräubern fürchten, andere wieder achten nicht {26} darauf und meinen: 'Die Unschuldigen behütet Gott' (Ps. 116,6.). Vom Oktober bis zum März ist nichts zu besorgen, da fährt man mit Gottes Hilfe ganz sicher.

 

            Ich muß noch an mehrere Personen nach verschiedenen Orten schreiben; deshalb möchte ich hier abbrechen. Wenn ihr mich mit guten Nachrichten über das Ergehen eurer Familie erfreuen wollt, erweist ihr mir damit große Wohltat. Ich sehne mich nach eurer Antwort, um zu ver-nehmen, ob ihr alle wohl seid, auch möchte ich erfahren, ob sich in eurem Lande etwas Neues zugetragen hat. Meine Augen und mein Herz sind Tag und Nacht dort, und stets denke ich an alles, was ich dort zurückgelassen habe. Selbst im Traume bin ich bei euch, und weinend erwache ich, indem ich wahrnehme, daß ich hier einsam bin und mir niemand von euch zur Seite steht. O käme bald der Tag, an dem ich euch wiedersehe, im Heiligen Lande!

 

 

            Famagusta, am Montag, den 18. Oktober 5324, am Neu-mondstag des Marcheschwan. Der Geringe, der den Staub eurer Füße küßt, der in der Stille hier schreibt und laut euch Heil und Segen wünscht,

Elijahu von Pesaro.

 


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Ein gottgefälliges Leben

 

Schlomo Schlömel ben Chajjim Meisterl

aus Lundenburg in Mähren

1575 - ca. 1650

 

            Im Jahre 1569 ließ sich R. Jizchak Lurja, bekannt unter dem Namen 'Ari', der Löwe, in Safed nieder und begründete dort die Schule der praktischen Kabbala. Die lurjanische Mystik verbreitete sich schnell, ihre Gedanken fanden insbesondere in Osteuropa begei-sterte Anhänger. Zu den weniger bekannten Männern, auf die sein System Einfluß ausübte, ist der an sich unbedeutende Schlomo Schlömel zu rechnen, der von der 'herrlichen und heiligen Weis-heit im Lande des Lebens' angezogen, im Jahre 1602 nach Erez Jißrael auswanderte und Schüler und Biograph Lurjas wurde. In dem hier übersetzten Brief an den Chassid R. Jissachar Bär von Kremnitz macht er über Safed als Zentrum der Kabbala Mittei-lungen und verbindet mit ihnen treffliche Bemerkungen über all-gemeine Zustände. Der Brief erschien erstmalig als Anhang des Buches 'Taalumot Chochma' (Geheimnisse der Weisheit) von Schmuel Aschkenasi, Basel 1729, und wurde öfters mit der Bio-graphie des Ari 'Schiwche ha-Ari' (Preis des Ari) nachgedruckt. Der im Briefe erwähnte Schwiegervater des Verfassers, R. Jißrael Sarug aus Safed, verbreitete die Lehre des Meisters in Italien, wo er Lehrhäuser der lurjanischen Kabbala begründete.

 

            LASST EUCH KUND TUN, DASS MICH GOTT IN seiner großen Huld gewürdigt hat, meine Wohnung im Hei-ligen Land hier zu Safed im oberen Galiläa aufzuschlagen. Fünf Jahre bin ich nun im Lande, Gott sei Dank, und ich habe keine andere Beschäftigung mehr als die mit der Tora und dem Dienst Gottes, Gott sei Dank. Seit dem Tage, an dem mein Schöpfer mich zweiundzwanzig Jahr alt werden ließ, hat Er mein Herz erweckt und so zu mir gesprochen: Wie lange noch willst du Fauler den Schlum-mer der Trägheit schlafen, auf, gürte deine Lenden und jage dem Wissen der Tora und den Geboten nach und werde ein Verständiger!

Da machte ich mich auf, löste mich von allen irdischen Geschäften und wandte mich nur dem Gotte meines Vaters zu, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele. Vor Gott saß ich fastend und weinend in {28} Sack und Asche, Gott sei Dank. Als mich mein Schöpfer achtundzwanzig Jahre alt werden ließ, lenkte er die Kunde von der herrlichen, heiligen und wunderbaren Weisheit zu mir, der man im Lande des Lebens nachjagt, in Erez Jißrael, wo man auf den Stühlen der Tora sitzt und der Heilige Geist das Licht der Tora auf das Volk Seiner Weide strahlen läßt. Da gürtete ich meine Lenden wie ein Held, der seine Bahn läuft, ich gab meinem Weibe den Scheide-brief, weil es nicht mit mir ziehen wollte, meinen ganzen Besitz hinterließ ich ihr, und auch meine Tochter, die da-mals dreizehn Jahr alt war, blieb bei ihr. Ich behielt nicht einen Heller für mich, selbst meine Kleider und meine Bücher ließ ich ihr zurück und Geld für die Mitgift meiner Tochter. Nur auf Jaakows Gott vertraute ich, auf ihn warf ich mein Los; und ich verließ die Heimat nackt und aller Mittel bar.

            In den Zwischentagen des Hüttenfestes 5363 kam ich zum Frieden ins Heilige Land nach Safed. Hier fand ich eine heilige Gemeinde vor.

 

Safed ist groß und voller Kraft, mit dreihundert großen Gelehrten, alles fürchtige Fromme. Achtzehn Talmudschulen gibt es in Safed, einundzwanzig Synagogen und ein großes Lehrhaus mit vierhundert Kin-dern. Und zwanzig Lehrer unterrichten sie ohne Entgelt. In Konstantinopel gibt es reiche Juden, die dafür aufkom-men und ihnen sogar jedes Jahr Kleider schicken. In allen Synagogen versammelt sich die Gemeinde nach dem täg-lichen Abend- und Morgengebet, und man sitzt in fünf oder sechs Gruppen vor den Rabbinen, ehe man die Synagoge verläßt. Die einen lernen ständig Rambam (R. Mosche ben Maimon; es ist wohl sein großes Gesetzeswerk 'Mischne Tora' gemeint.), die andern En Jaakow (Aggadisches Sammelwerk.), die dort Berachot (Talmudtraktat.), jene einen Ab-schnitt aus der Mischna; hier wird Talmud studiert, dort Sohar und da Bibel. Auf diese Weise geht keiner in Safed an sein Tagewerk, ohne vorher etwas gelernt zu haben. Am Abend nach dem Abendgebet wird es ebenso {29} gehalten. Am Sabbat geht alles Volk zum Vortrag der Rabbi-nen. An jedem Donnerstagmorgen versammelt sich ganz Israel nach dem Morgengebet in einer großen Synagoge zu einem ehrfürchtigen Gebet für Israel an allen Orten, für die Schechina in der Verbannung und für das zerstörte Heiligtum. Dann wird ein besonderer Segen für alle die gesprochen, die Geld zur Unterstützung der Armen Erez Jißraels schicken. Gott mehre ihre Tage und ihre Jahre und bewahre sie vor Not und Ungemach!

            Die Mohammedaner, die im Land Israels wohnen, sind von der Heiligkeit Israels tief überzeugt. Wenn wir den ganzen Tag in Gebetmantel und Gebetriemen draußen an-dächtig sind und an den Gräbern der Frommen Gott laut anrufen, wird es kein Mohammedaner wagen, einen jüdi-schen Gebetplatz anzutasten oder auch nur ein spöttisches Wort über unser Gebet zu verlieren. Sie gehen ihres Weges und spitzen noch nicht einmal den Mund, Gott sei Dank. Im Gegenteil, sie erweisen den Gräbern der heiligen Leh-rer und den Synagogen große Achtung, entzünden Lich-ter auf den Gräbern der Frommen und spenden Öl für die Synagogen. Sie besitzen sogar verfallene Synagogen in Kfar Siri, En-Setim und Meron, wo unserer großen Sün-den wegen kein Jude mehr wohnt. In den Laden dieser Synagogen befinden sich zahlreiche Torarollen, die sie ehrfürchtig hüten. Sie haben auch die Schlüssel in Verwahrung. Vor den Laden brennen sie Lichter, und keiner kommt einer Torarolle zu nahe. Manchmal gehen wir auf die Dörfer und beten in diesen Synagogen, wenn die Zeit dazu geeignet ist.

            Auch sonst finde ich im ganzen Heiligen Lande reichen Segen Gottes, herrliche Fülle und große Billigkeit. Man kann sich das nicht vorstellen, und es ist kaum zu beschrei-ben. Als ich den Reichtum im Heiligen Lande sah, den jetzt die Nichtjuden genießen, während Israel in der Zer-streuung lebt und nicht das Glück hat, seine Frucht zu essen und sich von seiner Güte zu laben, da vergoß ich {30} heiße Tränen und sprach zu mir: O wüßten doch unsere Brüder, das Haus Israel, nur vom zehnten Teil des reichen Gottessegens, der heute in Erez Jißrael herrscht, sie würden Tag und Nacht ihre Verbannung beweinen und das lieb-liche, schöne Land, das sie verloren haben. Noch in seiner Verwüstung zeitigt es Früchte, Öl und Wein und Seide für den dritten Teil der ganzenweit. Von überall her lan-den bei uns Schiffe, aus Venedig, Spanien, Frankreich, Portugal und Konstantinopel, und laden Getreide, Oliven, Rosinen, Feigen, Honig, Seide und Seife wie Sand am Meer, so viel. Obwohl jene aus aller Herren Länder kom-men und unseren reichen Segen heimholen, kaufen wir doch den wie die Sonne goldenen Weizen, ein Maß wie zwei mährische Scheffel, für einen Taler. Olivenöl ko-sten zwölf Rotl einen Taler. (Ein Rotl hält neun mähri-sche Liter.) Ein Huhn kostet fünf oder sechs Kreuzer, Hammelfleisch ist zart und fett, die Hammel haben hier einen breiten Schwanz, der nur aus Fett besteht, der wiegt sieben Pfund. Ein Pfund Hammelfleisch wie in Mähren kostet drei und einen halben Kreuzer. Man hat hier vieler-lei Hülsenfrüchte, Linsen, wie Ihr sie noch nie gesehen habt, sie schmecken wie Nüsse und sind sehr billig. Kohl und anderes Gemüse ist reichlich vorhanden, etwas so Wohlschmeckendes habt Ihr noch nie gegessen, jahrein, jahraus frisch und halb umsonst. Und dann die guten Früchte, Pomeranzen, Zitronat, Kürbisse, Melonen, die wie Zucker schmecken, Gurkenfrüchte, die Ihr gar nicht kennt und die Euch zu schildern darum keinen Sinn hat. Es ist ein Unterschied zwischen unseren Früchten hier und Euren dort wie zwischen Gold und Silber. Darum hört, liebe Freunde: wen Gott für würdig befindet, sein Heim in Erez Jißrael aufzuschlagen und wer nur etwas Geld hat, sich zu ernähren, Heil ihm und Heil seinem Erbe! Er kann sich hier Anteil am ewigen Leben erwerben, wenn er sich den großen und fürchtigen Frommen anschließt, die im Lande wohnen, er hat seine Lust an Gott und weidet seine {31} Seele. Er genießt die Frucht des Landes und sättigt sich von seinem Gut.

            Um ein Drittel der Ausgaben für den Haushalt bei Euch kann man hier in Erez Jißrael satt werden und wie ein Fürst leben, Gott sei Dank. Und wie gesund und rein ist die Luft und wie zuträglich das Wasser, es verlängert die Le-benstage des Menschen. Die meisten werden hier achtzig, neunzig und hundert Jahre alt, sogar hundertundzehn Jah-re. So lehren es auch unsere Weisen: 'Damit fortlangen Eure Tage und die Tage Eurer Kinder auf dem Erdbo-den' (Dt. II, 21.),1 das ist wörtlich zu nehmen, auf dem Erdboden von Erez Jißrael und nicht im Ausland, wo das Essen und Trin-ken schlecht und die Luft verpestet ist. Das kann doch dem Menschen nicht gut tun, er wird krank, und seine Lebens-tage verkürzen sich. Nehmt das als sichtbares Zeichen da-für: im Ausland haben die meisten Menschen und vor al-lem die Kinder häufig Ausschlag an Knien und Lenden. In Erez Jißrael kennt man das nicht, Gott sei Dank, nicht bei Kindern und nicht bei Erwachsenen. Alle sind rein wie lauteres Gold, Gott sei Dank.

            Ja, Gott ist treu, und der König der Welt kennt mein Herz; er wußte von meinem guten Vorsatz, den ich mit ganzem Herzen und ganzer Seele erstrebte. Zum Frieden brachte er mich nach Erez Jißrael und bestellte mir hier ein braves und gottesfürchtiges Weib, die Tochter eines Ge-lehrten und fürchtigen Frommen. Ob seiner Heiligkeit und Frömmigkeit kennt man ihn in ganz Israel, er heißt R. Jißrael Sarug, sein Andenken sei zum Segen. Ich will Euch eine seiner vorzüglichen Eigenschaften erzählen. So-lange er lebte, kaufte er Jahr für Jahr den prächtigsten Etrog Erez Jißraels für sechs bis acht Taler, manchmal so-gar für zehn. Bis zu seinem Tode ließ er nicht davon ab. Seine großen Gebetriemen wurden für sechzehn Taler verkauft, R. Malkiel aus Hebron erwarb sie. Die Gebet-riemen der Heiligen Leuchte, des Göttlichen Weisen {32}

R. Jizchak Lurja gingen für fünfundzwanzig Gulden nach Ägypten.

Mich hat Gott gewürdigt, alle Werke des hei-ligen Lehrers von ganz Israel, des R. Jizchak Lurja, sein Andenken sei zum Segen, zu besitzen, das ist das Schönste und Beste, was ein Gelehrter in Erez Jißrael haben kann. Ich bekam sie durch mein Weib, das ich hier geheiratet habe, und meine Frau hat sie von ihrem Vater geerbt. Der hat sein ganzes Leben daran gesammelt und mehr als zweihundert Taler dafür ausgegeben, bis er die Werke voll-ständig besaß. Es sind sechshundert große Bände, die ich nun habe, Gott sei Dank. Gold und Silber hat mir meine Frau nicht eingebracht, nur ein Haus und Hausgerät und die Bücher, auch etwas Kleider, aber sonst nichts. Um des himmlischen Lohnes willen hatte ich ja die Absicht, nur die Tochter eines Gelehrten zu heiraten, und um zu den heiligen Werken gelangen zu können, die ich ohne meine Frau niemals besessen hätte.

Sie befinden sich nur in den Händen weniger. Durch Gottes Huld habe ich sie erwor-ben und damit Gunst und Huld in den Augen aller Ge-lehrten von Safed gefunden, denn nun ist mir kein Geheimnis der Tora verhüllt, Gott sei Dank.

 

            Das sind die Worte Schlomo Schlömels, Sohns meines Herrn und Vaters R. Chajjim Meisterl, sein Andenken sei zum Segen. Geschrieben hier in Safed im oberen Galiläa im Lande des Hirsches, am 24. Tammus 5367 (1607).

 

 


{33}

 

Statthalterwirtschaft in Jerusalem

 

in den Jahren 1625/26

 

            Unter diesem. Titel übersetzte Steinschneider in der Sammlung 'Sippurim' IV 49 ff. ein höchst seltenes anonymes Schriftchen: 'Chorwot Jeruschalajim' (Odnisse Jerusalems), das 1636 zu Vene-dig gedruckt wurde. Eine Neuauflage veranstaltete E. Rivlin 1928 in Jerusalem. Der unbekannte Verfasser beabsichtigt, die Teil-nahme seiner europäischen Glaubensbrüder für die Leiden der Ju-den in der Heiligen Stadt zu erwecken. Die unstillbare Geldgier eines despotischen Statthalters erpreßte ungeheure Summen von der Gemeinde und quälte ihre Vertreter in entsetzlicher Weise. Die Gemeinde war damals in eine Schuld von 50000 Grossos geraten (ein Grosso entspricht einem halben Pfund heute), die sie den mo-hammedanischen Gläubigern mit 20 Prozent verzinsen mußte! Wir folgen der Übersetzung Steinschneiders unter Kürzung un-wesentlicher Abschnitte.

 

            IM JAHRE 5385, IM DRITTEN JAHRE DES SULTANS Murad, war Muhammed Bascha Statthalter in Jerusalem. Unter seiner gerechten Herrschaft wuchs die jüdische Be-völkerung im Lande zu einer seit dem Exil unerhörten Zahl. Die Juden besaßen Grundstücke, die Gelehrsamkeit blühte, und die Armen wurden reichlich verpflegt. Da kaufte der einäugige Muhammed Ibn Faruch vom Großvezier die Statthalterschaft für eine bestimmte Zeit und zog mit dreihundert Söldnern ein. Er bedrückte Christen, Mohammedaner und Juden in unerhörter Weise, und seine Wächter brachten jeden Flüchtling unter Mißhandlungen zurück. Man beklagte sich beim damaligen Kadi, dem Scheich Effendi, der dem Statthalter ernstliche Vorstel-lungen machte und ihn vor dem Zorn des Sultans warnte, aber Mohammed zog das Schwert gegen den Kadi, den die Umstehenden jedoch retteten. Der Kadi schloß hier-auf die Gerichtsstätte für zwei Tage und erwartete, das Volk werden den Tyrannen vernichten oder wenigstens verjagen, aber das Volk war dazu zu feige. Man suchte vielmehr Kadi und Statthalter wieder zu versöhnen.

{34}     Um diese Zeit zog der greise Abdallah Effendi als neuer Kadi langsam nach Jerusalem und sandte einen vorläufigen Richter dahin aus. Kaum hatte aber Scheich Effendi die Stadt verlassen, da wütete Mohammed noch schlimmer als zuvor. Er übertrug dem Bruder seiner Frau, Ibrahim Aga, alle Gewalt, räumte ihm die Macht zu plündern ein, und diese Macht übte jener rücksichtslos aus. Er ließ mohammedanische Kaufleute vom Markt weg ins Gefäng-nis schleppen, um Tausende von ihnen zu erpressen. Eine allgemeine Flucht begann, aber die Söldner wachten an den Toren und ließen niemanden ohne Erlaubnis hinaus. Ich will mich aber nicht bei den verderbenbringenden Unterdrückungen gegen Nichtjuden lange aufhalten, sondern mit bleiernem Griffel nur den tausendsten Teil der Leiden und Qualen verzeichnen, die uns zwei volle Jahre hindurch nicht zu Atem kommen ließen.

            Als wir im Jahre 5385 im Wochenabschnitt lasen: 'Die Ägypter verfronten die Söhne Jißraels mit Plackerei' (Ex. I, 13.),wurde die Stadt in die Hände des Mohammedaners Ibn Faruch gegeben, der am Sabbat, dem 26. Tewet, einzog. Die jüdischen Vorsteher, der Arzt Jaakow Ibn Amram und Jizchak Gaon, brachten ihm das übliche Geschenk, drei Tage darauf forderte er für seine Ausgaben 1300 Gros-sos, eine Summe, die noch nie einer vor ihm verlangt hatte. Sie brachten ihm das Geld, in der Hoffnung, er werde nicht lange in Jerusalem hausen, wie es auch die Christen und Mohammedaner wünschten. Leider fügte es Gott, dessen Tun stets das rechte ist, anders. Als man ihm den vom Sul-tan für den Statthalter bestimmten monatlichen Tribut von dreißig Grossos zum erstenmal überreichte, fand er dies zu wenig, er erhöhte ihn auf achtzig Grossos und trug den Juden Schanzarbeiten auf, eine harte Arbeit, die viele Juden ungefähr dreißig Tage beschäftigte. Dabei verlangte er täglich Wollen- und Seidengewänder der teuer-sten Art, Zucker, Wachs, Hühner und Eier in Menge, so {35} daß in den fünfunddreißig Tagen von seinem Einzug bis Ende Schewat mehr als dreitausend Grossos aufgingen. Außerdem plünderte er dreihundert Grossos von einer Gruppe europäischer Juden, die sich gerade in Jerusalem niederlassen wollten, und sechzehnhundert Grossos von dem zuvor gemißhandelten Immanuel Albahri. Wieder floh und versteckte sich wer konnte. Auch Ibrahim Aga erpreßte von den Vorstehern zum Ankauf eines Sklaven hundertfünfzig Grossos, nachdem sie ihm kurz vorher zweihundert Grossos gegeben hatten und bald darauf wie-der geben mußten. Im Adar desselben Jahres verlangte er fünftausend Grossos für Ibn Faruch. Man machte ihm Vor-stellungen dagegen, und nach vielfachen Vorstellungen gab er sich mit zweitausend Grossos zufrieden, die er bereits am anderen Tag auf harte Weise eintreiben ließ. Man begann nun über die Verspätung des erwarteten Ka-dis zu murren, auf dessen Hilfe man rechnete. Doch eine abermalige Enttäuschung! Als der Kadi endlich im Nißan ankam, schlichen Christen, Mohammedaner und Ju-den aus ihren Schlupfwinkeln hervor. Nackt oder in zer-rissenen, verbrannten Kleidern zog man vor den Richter und schrie um Beistand gegen den Räuber. Aber Ibn Faruch wußte den Kadi durch Worte und Geld zu ge-winnen. Es erschien sodann ein Berittener mit zwanzig Mann, der einen gefälschten Befehl des Sultans brachte, die Juden bis auf vierzig zu vertreiben. Er blieb lange Zeit in der Stadt und ließ sich täglich von den Juden zehn Gros-sos geben, im ganzen trieb er 1700 Grossos ein; Ibn Faruch bei dieser Gelegenheit 600. Am Sabbat, dem 6-Ijjar 5385 schickte man, um den Vorsteher Schmuel Tardiola zu ho-len. An seiner Stelle gingen sein Sohn Dawid und der greise Mosche Romano. Ibn Faruch warf dem einen Ver-nachlässigung seiner Person und dem anderen die Anklage beim Kadi vor. Sie wurden die ganze Nacht vom Ober-sten der Söldner gemartert und mit Erhängen bedroht, es wurde ihnen spitzes Rohr unter die Nägel gesteckt und {36} eine Schwefelpfanne unter die Nase gehängt. Der arme Dawid löste sich mit tausend Grossos aus, wozu die Frauen der Gemeinde ihren Schmuck hergaben. Allgemeine Flucht unter Verkleidung setzte von neuem ein, die zurückgebliebenen Armen darbten, der Gottesdienst hörte fast auf, die Gemeindevorsteher versteckten sich, es hieß, sie seien geflohen.

            Am ersten Tammus fahndete man nach Awraham Esperial unter dem Verwände, er sei ein Bruder des Jizchak Aboab, der Ibn Faruch beim Statthalter von Damaskus verleumdet habe. Nach tödlichen Qualen erlösten ihn fünfhundert Grossos. Um diese Zeit ernannte der Statt-halter von Damaskus Ibn Faruch zum Haupt der Mekka-Karawanen, am 9. Tammus zog er aus, und auch Ibrahim Aga zog mit ihm. In Jerusalem blieb als Stellvertreter der Bruder seiner Frau Othman Aga, der sich sehr schlau be-nahm, indem er in der ersten Zeit das Zutrauen zu sich er-wecken wollte, um die Geflohenen und Verborgenen her-beizulocken. Nach Verlauf eines Monats verlangte er aber schon tausend Grossos für sich selbst. Man erklärte sich für unfähig, das Verlangte zu leisten. Da wollte er sich mit fünfhundert Grossos begnügen, und man schloß aus seiner Nachgiebigkeit und Milde, daß er keine Vollmacht zu Er-pressungen habe.

Am l0. Ellul, am Vorabend eines mohammedanischen Festes, begehrte Othman in milder Weise statt der ihm gebührenden zehn Grossos einen seidenen Kleiderstoff. Beinahe wären die Vorsteher am folgenden Sabbat wieder in die Synagoge gegangen, wäre dieser Tag nicht in einen Trauertag verwandelt worden. Othman ließ in der sfardischen und in der aschkenasischen Syn-agoge die sechzehn angesehensten Männer der Gemeinden ergreifen und drohte, sie hängen zu lassen, wenn er nicht zwanzigtausend Grossos bekäme. Man suchte Schutz beim Kadi, der aber die Klagenden wiederholt zurücktreiben ließ. Am ersten Neujahrstag ließ Othman die Gefangenen frei, und am zweiten Tage sollte das Urteil wegen der {37} zehntausend Grossos gefällt werden. Allein, der Richter war bestochen, und am siebenten Tag des Hüttenfestes mußten viele Juden ihre Kleider als Pfänder hergeben.

            Im Cheschwan des Jahres 5386 drohte der Kadi, aus einer Synagoge eine Mühle zu machen, nachdem vierzig Jahre vorher ein judenfeindlicher Mufti sie zur Moschee be-stimmt und geschlossen hatte. Als die Juden aber dem Richter einen Kaufbrief vorwiesen, verlangte Othman tausend Grossos Ersatz - er hatte schon Kaufläden in der Synagoge gebaut und vermietet -, die die verschuldete Gemeinde nicht aufbringen konnte. Da man jedoch aus dem Munde des Richters vernahm, daß Othman andere Vorwände zur Erpressung dieser Summe finden werde, so borgte man Geld auf Zinsen und ließ sich ein Schrift-stück ausfertigen, daß die Benützung der Synagoge ge-stattet sei.

            Am 23. Cheschwan 5386 kam die Kunde von Ibn Faruchs Rückkehr aus Mekka. Am 2. Kißlew traf er ein und ver-langte nur den Monatstribut beim Empfang, entnahm aber dreizehntausend Grossos. Ibn Faruch ließ nun öffentlich verkünden, daß er fernerhin nur Recht und Gerech-tigkeit üben wolle, er entfernte die Söldner von den Stadt-toren und setzte Ibrahim Aga wieder ein, der bei dieser Gelegenheit dreihundert Grossos von den Juden empfing. Zwanzig Tage blieb alles ruhig, dann aber erneuerte Ibn Faruch seine Erpressungen, plünderte Privatfelder und sogar die Getreidevorräte zur Verpflegung der Garnison.

            Am 2. Schewat zogen Ibn Faruch und Ibrahim Aga zum Vezier, der in Bagdad Krieg mit dem König von Persien führte. Der Vezier ließ Ibn Faruch gefangennehmen, und fünf Monate lang erfuhr man nichts weiter von ihm. Oth-man waltete über Jerusalem und ließ sich am 5. Schewat von den Juden dreizehnhundert Grossos geben. Darauf schickte der Statthalter von Damaskus seinen Vezier, um Jerusalem zu nehmen. Von Ramallah aus forderte er Othman zur Übergabe auf. Dieser erklärte zwar, er wolle {38} gehorchen, traf aber alle Vorkehrungen zur Verteidigung. Er pflanzte sogar eine rote Fahne als Kriegszeichen auf, umgab die Festung mit Artillerie, zog alle Nahrungsmittel in die Festung und stopfte viele Privatbrunnen zu. Er ließ niemanden aus der Stadt, und wenn die Juden eine Leiche hinausbrachten, so durchstach man sie, um sich zu ver-gewissern, daß kein Lebender auf diese Weise entfliehe. In Ramallah zog sich ein Heer zusammen, und ein Teil der Bewohnerschaft Jerusalems fand, in Verzweiflung über die Herrschaft, selbst in den Kriegsaussichten einen Trost. Zwei Monate lang bedrohte das Heer die Stadt. Da aber Othman sich nicht einschüchtern ließ, zog es wieder ab, worauf Othman noch hochmütiger wurde und der Drohbriefe aus Damaskus spottete.

            Am 10. Nißan erpreßte Othman von den Juden weitere dreizehnhundert Grossos; am 20. faßte er den Verwalter der öffentlichen Bauten, ließ ihn geißeln und sprach ihn nur um den Preis von sechstausend Grossos vom Strick frei. Auf diese Summe zahlte der Verwalter einen noch nicht fälligen Wechsel der Juden über siebenhundert Gros-sos an. Der in dieser Angelegenheit herbeigerufene Joel Lewi erklärte in seiner Angst die auf dem Wechsel unterschriebenen Ibn Amram und Jizchak Gaon für die allei-nigen Schuldner. Die fliehenden Vorsteher wurden ein-gefangen, und da man das Geld nicht aufbringen konnte, verlangte Othman zehntausend Grossos, ließ sie mit Strikken um den Hals durch die Straßen schleppen und befahl, sie aufzuhängen. Unter dem größten Jammer entschloß sich die Gemeinde zu den schwersten Opfern. Die Vor-steher, auf das Ärgste gefaßt, suchten Trost im Lose aus ihren Büchern. Sie schlugen die Bibel auf, und die erste in die Augen fallende Stelle wurde als vorbedeutend be-trachtet. Jaakow Ibn Amram fand: 'ER löst Jaakow aus' (Jer.31.11),Jizchak Gaon: 'Nicht wird ein Feind ihn reizen und der Sohn der Tücke ihn nicht bedrücken' (Ps. 89,23.). Sie blieben noch {39} fünfundvierzig Tage gefangen, bis die fünftausendzwei-hundert Grossos, die siebenhundert des Verwalters und als Zugabe noch dreizehnhundert erlegt waren.

            Im Siwan 5386 kam Hussein Effendi nach Ramallah und vernahm dort die Klagen der Jerusalemer. Othman ließ ihn nach Jerusalem laden, doch er wollte nicht kommen, ehe Othman mit den Seinen die Stadt verlassen hätte. Nach drei Monaten kehrte Hussein Efiendi nach Kon-stantinopel zurück und berichtete gemeinsam mit den an-gesehenen Juden der Stadt dem Sultan. Sie schilderten ihm die Sachlage und machten ihn auf die Gefahr des re-bellischen Beispiels aufmerksam. Der Sultan befahl dar-auf dem Vezier, die Partei des Ibn Faruch mit Gewalt aus Jerusalem zu vertreiben. Am 25. des Monats kam Ibrahim Aga mit einem Beamten nach Jerusalem, der im Namen des Veziers Jerusalem übernehmen sollte. Ibrahim Aga be-fahl seinem Bruder, die Stadt zu übergeben, es stehe Ibn Faruchs Leben auf dem Spiel. Othman aber erwiderte:

'Was geht dich das Leben Ibn Faruchs an, laß uns lieber auch die Festung behalten und uns unter den Großen einen Namen machen.' Er zeigte ihm die erbeuteten und er-preßten Schätze und machte ihn abwendig. Inzwischen entfloh Ibn Faruch dem Vezier und kam am letzten Tammus 5386 in Jerusalem an. Er beschloß Othman zu töten, der seines Lebens nicht geachtet hatte, und erstach ihn in einem über der Festungsmauer erbauten Gemache, was allgemeine Freude verursachte.

            Ibn Faruch ließ ausrufen, er wolle allen Raub Othmans erstatten, was er aber nicht erfüllte. Er erkannte bald seine Unhaltbarkeit und bedrängte die Juden aufs neue. Die Juden wußten nicht mehr, woher sie Geld nehmen sollten, und Ibn Amram und Jizchak Gaon wurden gefangenge-nommen. Ihr Gefängnis wechselte zehnmal täglich, sie wurden gemartert und in der Synagoge vor den Augen der Gemeinde mißhandelt, an den Barten gezerrt, die Hände mit denen des Nachbars rückwärts zwischen Stöcke {40} gebunden, bis man die Gewißheit hatte, daß die Gemeinde nichts mehr habe.

            Da kamen achtbare Boten aus Damaskus, die dem Ibn Faruch rieten, die Stadt dem Hussein Bascha zu übergeben, denn der Sultan habe alle benachbarten Fürsten gegen ihn aufgeboten. Ibn Faruch versprach, in einigen Tagen Folge zu leisten. Man erzählte sich, König Dawid sei ihm im Traume erschienen und habe ihn zu erwürgen gedroht, wenn er noch eine Nacht verweilte. Am folgenden Mor-gen, nachdem er Jerusalem völlig ausgeleert hatte, zog er nach Sichem. Am 12. Kißlew wurde die Stadt übergeben, am 16. zog Hussein Bascha ein, am 22., am Jahrestage der Festungseinnahme durch Ibn Faruch, wurde der Aga, der damalige Kommandant, vor dem Tore aufgeknüpft, und es wurde aufgerufen: 'So ergeht es dem Manne, der die Festung des Sultans nicht gegen Rebellen verteidigt.' Die Leiche ließ man drei Tage lang hängen.

            Das ist der traurige Bericht von dem gewalttätigen Ibn Faruch, der Jerusalem mit Licht durchstöberte, um es aus-zurauben.

Gott möge es sehen und Recht sprechen, und wer willigen Herzens eine Spende gelobt, um die Risse der Gottesstadt auszubessern, der sei mit allem Guten reich gesegnet. 'Aufjauchzet, jubelt vereint, ihr Ödnisse Jerusalems, denn er tröstet sein Volk, er löst Jerusalem aus.' (Jes. 52,9.).

So geschehe bald und in unseren Tagen, Amen.

 

 


{41}

 

Ein Vademecum für Palästina-Reisende

 

Mosche ben Jißrael Naftali Porges aus Prag

17. Jahrhundert

 

            Zu Nutz und Frommen aller Palästinareisenden verfaßte Mosche Präger unter dem Titel 'Darche Zion' (Wege nach Zion) ein Büchlein in jüdisch-deutscher Sprache, das 1650 ohne Ortsangabe erschienen ist. Der erste, hier übersetzte Teil schildert alle Reise-routen nach Erez Jißrael und deren Kosten in der Mitte des 17. Jahr-hunderts, und liefert eine Beschreibung des Lebens in Jerusalem, die als ein kulturhistorisches Dokument ersten Ranges zu werten ist. Vom Autor selbst wissen wir wenig. Im zweiten Teil des Büch-leins, der von Riten und Gebeten handelt, beruft sich Mosche Prä-ger auf seinen schon länger in Jerusalem ansässigen Bruder Gut-mann und auf seinen Verwandten R. Jeschaja Hurwitz, den be-deutenden Talmudisten und Mystiker, der unter dem Namen Schelo (Titelabbreviatur seines großen Werkes 'Sehne Luchot ha-Berit' = 'Die beiden Bundestafeln' ) berühmt ist. Steinschneider hat in der Zeitschrift des deutschen Palästinavereins III (1880) 220 ff. dieses seltene Büchlein beschrieben, dessen ein-ziges Exemplar die Bodleiana in Oxford besitzt und von dem die National- und Universitätsbibliothek Jerusalem eine Photo-graphie erhalten hat.

 

            HÖRT MIR ZU, IHR MÄNNER UND WEIBER 

DAS läßt Euch wissen Mosche Präger der Schreiber. 

Das Buch hab' ich mit Gottes Hilfe erdacht 

                                                etliche Tage und Nacht. 

Sein Name soll sein bedacht

und wer es will haben gut gemacht

der lese das Buch mit guter Acht,

es sei bei Tag oder Nacht.

Dadurch ihm kein Schaden geschieht

und er sich wohl versieht

wenn er aus seinem Lande zieht.

Da ich habe gesehen

was mir ist geschehen

weil ich mich nicht habe gut umgesehen

was ich hätte lassen sollen stehen

dadurch bin ich zu viel Schaden ge-kommen.

Ich habe viel Sach nach Jerusalem mitgenom-men

was dort wohl ist zu bekommen.

Und was ich in Prag habe verkauft

hätte ich dort noch gut gebraucht.

Das und noch mehr habe ich gesehen

was viel Leuten ist geschehen

die auch nach Jerusalem wollten gehen.

Die taten gar nicht danach trachten

wie sie zu Jerusalem ihrer {42} Ernährung werden achten

und so ist es gekummen

daß sie in Jerusalem schreien und brummen:

Warum ha-ben wir den Zug uns vorgenommen

Wir möchten so gern wieder in unsere Länder kommen.

Darum trach-tete ich in meinem Herzen

daß keiner soll kommen zu Schaden und Schmerzen.

Ein jeder soll wohl bedenken in seinem Herzen

daß man Essen und Trinken nicht kann ausmerzen.

Denn um das Geld

ist es zu Jerusalem schwer bestellt

und Jerusalem steht mitten in der Welt.

Auch soll sich keiner darauf bringen

daß ein Handel zu Jeru-salem wird viel einbringen

Spaniolisch, Arabisch und Türkisch muß er dazu können vor allen Dingen.

Es ist das beste, wenn man das Geld der Gemeinde in Jerusa-lem leiht

sie geben Zinsen zwölf vom Hundert zur Zeit.

Dann kann man tun was jeden freut.

Aber wer große seidene Knöpfe kann machen

der hat gut lachen.

Er kann allezeit gut davon leben

Und Gott möge es jedem reichlich geben.

           

            Nach Jerusalem führen mehrere Wege, wie wir nun mit Gottes Hilfe beschreiben wollen. Ein Weg geht über Wien, von dort ziehen Boten nach Konstantinopel oder Kaufleute nach Ofen, das liegt auch in der Türkei. Bei den Kaufleuten kauft man sich mit seinen Sachen bis Ofen ein, das kostet nicht viel, aber man muß sich einen kaiserlichen Paß besorgen, der kostet auch nicht viel. In Wien sind fromme Leute, die sich in der Sache bemühen und helfen. Von Wien kann man auch zu Schiff auf der Donau fahren, bis nach Ofen. In Ofen fragt man nach einer Reisegelegen-heit, drei Leute mieten sich immer einen Wagen zusam-men, da können sie ihre Habe gut fortbringen. Die Wagen sind oben offen, nur an den Seiten geschlossen, beim Regen gibt's nur eine Decke aus Stroh. Ein solcher Wagen kostet für drei Personen bis Belgrad sechs Reichstaler. Man fährt neun Tage. Von Belgrad zahlt man bis Sophia auch sechs Taler, von dort bis Adrianopel auch sechs Taler und weiter bis Konstantinopel wieder sechs Taler. Am {43} besten wird der Wagen in Ofen bis Konstantinopel gemietet, unterwegs kann man oft schwer dazu kommen. Kleider für die Reise kauft man sich in Ofen, da sind sie billig und so gemacht, wie sie in der Türkei getragen wer-den. Es ist gut, zu Rosch Chodesch Aw in Konstantino-pel zu sein. Jeden Rosch Chodesch Ellul gehen viele Schiffe von Konstantinopel gemeinsam aus, da kann man bequem fortkommen und ist Gott sei Dank auch vor Räu-bern sicher. Das ist der eine Weg bis Konstantinopel. Der andere Weg führt über Lemberg. Gleich nach Peßach geht von dort eine große Reisegesellschaft von Kaufleuten ab. In Lemberg wird man hören, was alles mitzunehmen ist an Geld und Kleidern. Die Kaufleute ziehen bis Konstan-tinopel.

            Von Konstantinopel weiter gibt es zwei Wege, der eine geht übers Meer. Man soll aber nicht auf dem Schiff bis Ägypten fahren, denn Ägypten liegt hinter Jerusalem, und von dort nach Jerusalem ist das Reisen sehr teuer und schwer. In einem solchen Schiff sind fünfundzwanzig große Ruder, wenn kein Wind das Schiff vorwärts treibt, wird gerudert. In einem Schiff ist man vor Räubern (Gott soll uns behüten) ganz sicher und auch vor bösem Wind, die Schiffe fahren nicht weit ab vom Lande. Tag und Nacht fährt das Schiff über das große Meer, und man sieht nur Himmel und Wasser. Wenn sich ein solches Schiff einmal zur Seite neigt, braucht man nicht zu erschrecken; wenn der Wind günstig ist, liegt das Schiff fast immer auf der Seite. (Gott rette uns allezeit vor Not und Ungemach! Amen.) Dem Schiffsmann gibt jeder seine Sachen, die er bei sich führt, und bis Jaffa vier Löwentaler. Von dort reist man einen und einen halben Tag nach Jerusalem auf dem Festland. In Jaffa muß jeder beim Aussteigen zehn Löwentaler Kopfgeld zahlen und noch einen Löwenta-ler der Kompanie, die bis Jerusalem mitreitet. Dafür be-kommt jeder einen  Esel, um darauf zu reiten und seine Sachen darauf zu legen. Wenn man in Jaffa Kopfsteuer  {44} zahlt, kommt der Zöllner und besieht einem jeden das Ge-päck. Wenn nun einer etwas bei sich hat, was man Ware nennen könnte, so muß er dafür Zoll zahlen. Wer darum Leinwand für den Hausgebrauch, nicht zum Verkaufen, mitbringt, der soll die Leinwand in Stücke schneiden, da-mit der Zöllner sieht, es ist keine Ware. Am besten ist es immer, man vergleicht sich mit dem Zöllner, dann sucht er nicht durch, und man ist nicht behindert. Das ist der Weg von Konstantinopel übers Meer, das kostet von Wien bis Jerusalem fünfzig Reichstaler. Wer über Lemberg fährt, braucht etwas mehr Geld.

            Der andere Weg von Konstantinopel nach Jerusalem ist zu Lande, er ist weit, sieben Wochen Reise, dreihundertundfünfzig deutsche Meilen. In Konstantinopel läßt man sich nach einer Stadt übersetzen, die heißt Skutari, dort sammeln sich die Karawanen. Man reitet auf Mauleseln. Aber nicht jeder verträgt das Reiten, namentlich die Wei-ber nicht, denn die Füße liegen beim Reiten oben auf dem Esel, und der Rücken bricht einem sehr, denn man kann sich nicht anlehnen. Die Weiber sollen sich darum zu Konstantinopel eine Sänfte oder einen Stuhl machen, den bin-det man seitlich am Esel fest, und so ist es ganz gut vor-wärts zu kommen, aber das kostet viel Geld, weil immer einer den Esel führen muß. Dann muß man auch eine le-derne Flasche bei sich haben, damit man auf dem Esel im-mer Wasser hat. Auch eine große Decke Leinentuch soll man mitnehmen, wie ein kleines Zelt, und fünf hölzerne Stangen dazu. Da kann man in der Hitze auf dem Felde daruntersitzen. Die Karawane liegt meistens am Tage still und wandert in der Nacht, wegen der großen Hitze. An Bettzeug soll man nur mitnehmen, was unterwegs ge-braucht wird. Federn bekommt man zu Jerusalem bei der deutschen Gemeinde billig. Ziechen, Hemden, Schleier, Tischtücher, Handtücher und was es sonst noch an Weiß-zeug gibt, kann man nicht genug mitbringen, denn in Je-rusalem sind diese Dinge teuer und nicht sehr gut. Auch {45} soll sich jeder ein Paar gute Schuhe mitnehmen, auch wol-lene Wintersocken, denn das alles ist in Jerusalem nicht sehr gut. Außerdem ist es in Jerusalem im Winter kalt, wenn es auch nicht friert. Männerkleider soll man nur wenig mitnehmen, die sind hier nicht teuer. In Ofen kaufe sich jeder etwas um den Kopf zu wickeln, nach der Art wie die Türken gehen. Ist das Tuch aber ganz weiß, so nähe man einige farbige Fäden hinein, nur keine grünen (Grün ist die Farbe des Propheten und daher Nicht-Moslems versagt.). Auch ein Paar gestrickte wollene Handschuhe nehme jeder mit; man wandert doch bei Nacht, und manchmal ist es da sehr kalt. Jeder sei gewarnt, kein grünes Kleid mitzubringen, auch wenn nur ein einziger grüner Faden daran ist. Die Gefahr ist sehr groß für jeden, der etwas Grünes trägt. Manchmal ist auch die Borte des Gebetmantels grün, das muß vorher geändert werden. Grün ist Juden in der gan-zen Türkei und in Jerusalem verboten.

            In Jerusalem gebraucht man viel kupferne Gefäße, die hier sehr teuer sind. Jeder bringe sein kupfernes Knetbecken mit, denn das Brot wird im Hause gebacken, auch die Wäsche zu Haus gewaschen. Kupferne Töpfe, kleine und große, die innen verzinnt sind, soll man mitnehmen. Auch einen eisernen Dreifuß, auf den man die Töpfe beim Ko-chen stellt. Ebenfalls eine Pfanne, um Fische darin zu sie-den, einen kupfernen Kessel, um Wasser aus dem Brunnen zu schöpfen, den jeder an seinem Hause hat.

Dann ein Becken, das man ins Bad mitnimmt. Die Bäder sind gott-lob ganz gut und gesund. Silber und Gold nehme man nicht viel mit, auch wenn man reich ist, das schafft nur großes Aufsehen. Aber eiserne Hängeschlösser sind gut mitzunehmen, um Zimmer und Kästen damit zu ver-schließen. Bücher sind in Jerusalem nicht teuer, darum soll man sich wegen der Unkosten damit nicht belasten, jeder nehme nur ein dickes Gebetbuch mit, ein Chummasch (Fünfbuch) mit Erklärungen, eine polnische Selicha, Mischnajot, den Lewusch von R. Mordechai Jaffe, {46} Schomrim la-boker, einen Machsor nach Prager Ritus, Midrasch, En Jaakow, Schulchan aruch und Jalkut. Die Weiber neh-men ein deutsches Chummasch (Fünfbuch) mit, einen deutschen Machsor und eine deutsche Techinna, auch andere deutsche Bücher. Die Gebetbücher sollen klein sein, in den Synagogen hat man keine Pulte, man muß die Bücher in der Hand halten. Eine gute Wirtin wird sich spanische Nähnadeln mitnehmen, auch große und kleine Stecknadeln, wie man sie im Hause braucht.

            Von Gewürzen sind allerlei vorhanden und sehr billig. Nur Muskatblüten sieht man wenig. Die meisten Nah-rungsmittel verkauft man in Jerusalem nach Gewicht, an-dere Sachen natürlich auch. Man hat nur Weizenmehl, in einem Durchschnittsjahr kostet das Rotl fünf Kreuzer. Schöpsenfleisch kostet im Sommer das Rotl zwanzig Kreu-zer, im Winter gibt es nicht viel Fleisch, es ist dann um ein Viertel teurer. Rindfleisch hat man nicht, ab und zu Büffelfleisch, das schmeckt nicht so gut. Gänse, Enten, Hühner und Tauben gibt es in Mengen und billig. An Öl hat man zwei Sorten, eine heißt Siridsch und ist ganz bil-lig, besser als Gänseschmalz und Butter. Es wird aus Se-samkernen gewonnen, das ist aber kein Mohn. Das andere Öl ist Baumöl, billiger als Siridsch, aber nicht so gut, auch nicht gut zum Brennen. Junge Rettiche, allerlei Zwiebeln, Petersilienwurzel, das ist alles ganz billig und das ganze Jahr zu haben. Mohren, Rüben, Weißkraut gibt es ein halbes Jahr lang und sehr billig. Große Zitronen zum Ein-machen, Pomeranzen, Lemonen kommen während des ganzen Winters auf den Markt. Manchmal gibt es acht Pomeranzen für einen Kreuzer. Kleine Lemonen kosten hundert, grüne fünf Kreuzer, zuzeiten gibt man sie noch billiger. Man macht Limonade daraus, hält den Saft in Gläsern frisch, indem man ein wenig Baumöl obenauf tut. Pilze, auf deutsch Pfifferlinge, sind sehr billig. Im Winter hat man frische Fische, große und kleine, aber andere Ar-ten als im Ausland. Man fängt die Fische im Meer und {47} bringt sie einundeinhalb Tage lang herauf. Darum gibt's im Sommer keine frischen Fische, sie können nämlich un-terwegs schlecht werden.

            Peßachmehl macht sich hier jeder selbst. (Peßach - Ostern; Peßachmehl für Matzes; ldn-knigi) Die meisten Leute kaufen den Weizen im Tammus und hängen ihn auf, damit er nicht naß wird und auswächst. Man läßt den Weizen in Mühlen bringen, wo Juden beim Mahlen zugegen und die Mühlsteine geriefelt worden sind. Die Mühlen sind ganz nahe bei der Judengasse, sie werden mit Pfer-den oder Eseln betrieben. Nach dem Mahlen tut man das Mehl durch etliche Siebe.

            Für ein großes Wohngewölbe zahlt man acht Löwentaler jährlich Miete, für ein kleines fünf, auch sechs. Die Leute, die im Schulhof wohnen, wo die Löbschul und die zwei Lehrhäuser sind, leben beengt und haben oft Wasser-mangel. Dafür können sie alle Tage ganz früh in die Syn-agoge gehen. Der Schulhof wird nämlich gleich nach dem Abendgebet abgeschlossen und vor Tagesanbruch nicht wieder aufgemacht. Nachts über die Straße zu gehen, ist gefährlich. Wer nicht im Schulhof wohnt, hat genügend Platz und auch mehr Wasser am Hause. Das Wasser ist gut und gesund; wer will, trinkt das Wasser mit Lakritz, das Rotl zu zwanzig Kreuzer.

Mancher trinkt auch Limonade im Wasser. Das Wasser ist nur Regenwasser, kein Quellwasser, jedes Haus hat ein großes, gar schön aus-gekalktes Gewölbe unter der Erde, oben befindet sich ein kleines Loch, wo das Wasser einläuft und herausgeschöpft wird. Ist das Jahr regenarm gewesen, muß man Wasser vom Türken kaufen. Der bringt das Wasser in ledernen Säcken ins Haus.

 

            Allzeit soll sich jeder wohl versehen

ehe er tut aus seiner Gemeinde gehen.

Und soll nicht sich selbst betrüben

wie ich in der Einleitung habe beschrieben.

Junge Men-schen sollen nicht nach Jerusalem kummen

sie tun hier nur schreien und brummen.

Der Bräutigam muß die Mit-gift hergeben

sonst kann er nicht in Jerusalem leben.

{48}

Er sei arm oder reich

er muß finden seinesgleich

er sei ein Nichtswisser oder ein Lerner

ist ihm sonst eitel Di-steln und Dörner.

Darum sollen junge Leute bleiben in ihre Länder

und Alte sollen kommen mit ihrem Gelde behender.

Einem Jungen tut man keine Unterstützung geben

er könnte in Jerusalem schon hundert Jahre leben.

Sie müssen aus Jerusalem hinwegziehen

drum ist es bes-ser, daß sie sich nicht erst bemühen.

Sie sollen sich ihre jungen Jahre nicht abschneiden

und nicht Kummer und Schmerz erleiden.

Ist einer reich, soll es ihm doch gelin-gen

noch für drei Jahre Zehrung mit nach Jerusalem zu bringen.

Manchmal tut sich viel Zeit hinwenden

ehe man seinen Besitz aus seinem Land tut senden.

Allzeit soll jeder wissen

wenngleich Erez Jißrael ist wegen unse-rer Sünden wüst und zerrissen

dennoch ist es in allerlei Ge-stalt über alle Maßen gut

wie auch der große Lehrer Rabbi Mosche ben Nachman an seinen Sohn schreiben tut.

 


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Eine Reise von der Krim ins Heilige Land

 

Mosche ben Elijahu ha-Lewi der Karäer

17. Jahrhundert

 

Der Verfasser schrieb am l3. Ellul 5415 (1655) einen Bericht über eine Reise nach Jerusalem, die ihm den Beinamen 'Jeruschalmi' eingetragen hat. Karäische Reisebriefe sind trotz vielfacher Wall-fahrten der Mitglieder dieser jüdischen Sekte, die durch die Ab-lehnung der 'mündlichen Überlieferung' gekennzeichnet ist und sich dadurch allmählich aus dem Judentum vollkommen heraus-gelöst hat, wenig bekannt. Der hier auszugsweise übersetzte Brief befindet sich in der karäischen Handschriftensammlung zu Lenin-grad, und ist von Gurland mit zwei gleichartigen Reiseberichten im ersten Heft seiner 'Ginse Jißrael' (Neue Denkmäler der jüdi-schen Literatur) 1865 herausgegeben worden. Der Brief gestattet uns Einblicke in das religiöse Leben der Karäergemeinde in Jerusa-lem, die niemals von großer Bedeutung war. Ihre Synagoge be-findet sich noch heute im Hofe der Karäer, so wie sie Mosche ben Elijahu beschrieben hat.

 

            DA GOTT DEN GEIST MEINES TREUEN FREUNDES R. Elijahu ben Dawid erleuchtet hat, aus seiner Stadt und seinem Wohnort zu ziehen, um die Berge des Wohlge-ruches zu schauen und sein Gelübde zu erfüllen, schloß ich mich ihm an, und wir bestiegen ein Schiff, das am Sabbat, dem 6. Ellul 5414 (1654) nach der Zeit des Gebetes den Hafen von Kafa verließ. Am Donnerstag, dem 23. Ellul, gelangten wir nach Konstantinopel, wo wir in der Nacht zum Freitag im Hause des R. Elijahu ben Baruch Jeruschalmi verweilten. Wir aßen und tranken an seinem Tisch von dem Segen, den Gott ihm geschickt hatte. Am Freitagmorgen waren wir in der Synagoge. An diesem Tage fand eine Beschneidung statt, und nach dem Morgen-gebet sprach ein junger Mann den Segensspruch über die Beschneidung in der Synagoge, dann ging alles in das Haus der Wöchnerin, und dort wurde das Kind beschnit-ten. Am gleichen Tage verließen wir Konstantinopel.

            In Ägypten blieben wir bis zum 25. Cheschwan und zo-gen mit einer Karawane nach Jerusalem. In Arisch {50} erreichten wir die Grenze des Heiligen Landes. Von da kamen wir nach Khan Junis, weiter nach Aschkelon, nach Aschdod und nach Ramle, das ist Gasa. Von da ging es nach Jerusalem, der Stätte unserer Sehnsucht, wohin es uns von fernher verlangt hatte, und deretwillen wir die Mühsal der Reise auf uns genommen haben. Am Donnerstag, den l0. Kißlew 5415, zogen wir in Jerusalem ein und gingen zuerst in unsere Synagoge. Sie ist herrlich und kostbarer als Perlen. Drei Lampen erhellen sie und ein Ewiges Licht. R. Mosche ha-Kohen betet dort ständig vor, ein frommer, armer Mann, an dem sich das Wort erfüllt: 'Ich erhalte in deiner Mitte das gebeugte und demütige Volk, alle, die sich schützen in Seinem Namen.' (Zef. 3,12.)  Seine zwei ständigen Mit-beter sind R. Owadja ha-Lewi und R. Awraham Jißraeli, so daß ein Priester, ein Levit und ein Israelit stets den Got-tesdienst verrichten.

            Auch zwei Witwen, die sich in den Fragen des Gebets gut auskennen, erscheinen regelmäßig im Gotteshause, so-bald man seine Pforten öffnet. Neunzehn Stufen führen zur Synagoge herab, im Synagogenhof befinden sich fünf-zehn karäische Armenwohnungen und ein Brunnen, in dem sich das Regenwasser sammelt, das von den Dächern herabfließt. Die Westmauer des Tempels, den König Schlomo erbaut hat, steht noch heute, man sieht sie von den Dächern unserer Armenwohnungen. Wir sind hin-aufgestiegen, um sie zu sehen, und sind dann zur West-mauer gegangen, um dort zu beten, die Steine zu küssen und uns mit ihrem Staub zu bedecken.

            Den Moriaberg, auf dem unser Stammvater zum Opfer gebunden war, haben wir erstiegen. Er liegt dem Tempel-platz in südöstlicher Richtung gegenüber. Wir beteten dort und lasen die Worte der Schrift von 'Nach diesen Begebnissen war's, da prüfte Gott Abraham' bis 'Und Abraham blieb in Beer-Schewa'. (Gen. 22,1-19.) In der Senke dort liegt ein Brunnen, die Araber nennen ihn Bir Ijub, sie wissen {51} nämlich nicht, daß dies der Brunnen Joabs ist, wie die jü-dische Tradition lehrt. Darum haben sie die Buchstaben verkehrt und nennen ihn Ijobsbrunnen. Wir zogen weiter nach Rogelquelle und durchs Tal zum Grab Abschaloms. Der Grabbau ist aus dem Felsen herausgeschnitten, und unter ihm befindet sich eine Höhle. Wir besuchten ferner das Grab Secharjas und gingen von da zum Gehinnom. Oberhalb des Tals liegen die Friedhöfe, auf der einen Seite der rabbanitische (Die Karäer nennen die Juden als Befolger der rabbinischen Lehren 'Rabbaniten'.), auf der anderen, in der Nähe der Stadtmauer, der der Karäer. Vom Ölberg genießt man einen herrlichen Blick über die ganze Stadt, alles liegt wie gedeckter Tisch vor dir. Als wegen unserer großen  Sünden die göttliche Einwohnung das Heiligtum verließ, machte sie zehn Wanderungen, die zehnte ging auf den Ölberg, und von dort stieg sie in den Himmel. (Siehe Talmud Rosch ha-Schana 31a. Der Karäer zitiert eine rabbinische Aggada!) Wir bete-ten auf dem Ölberg und bückten uns nach Westen, zum Platz des Heiligtums. R. Mosche der Priester sprach Ge-bete für uns und für alle Gemeinden der Karäer und für die, die fromme Spenden für Jerusalem geloben. Dann be-traten wir die Grabhöhle des Propheten Chaggaj mit bren-nenden Kerzen und sahen auch das Grab der Prophetin Chulda.

Darauf aßen und tranken wir und dankten Gott, der uns das alles hatte schauen lassen. Möge Er alle nach dem Heil Lechzenden begnaden, daß sie Jerusalem schauen und die Zeit des Königs Messias erleben! Amen. An einem anderen Tage ritten wir auf Maultieren zum Grab des Propheten Schmuel (dessen Verdienst uns bei-stehe) nach Rama. R.Mosche der Priester begleitete uns. Rama liegt auf einem hohen Berge, dort stand auch sein Haus. Neben ihm ruhen sein Vater Elkana und seine Mut-ter Channa. Von Jerusalem waren wir gleich nach dem Morgengebet aufgebrochen, und erst am Abend kamen wir zurück, denn der Weg war hart und steinig. In Rama reichten uns alle Frauen, die da wohnen, Met, {52} Granatäpfel, Mandeln und Trauben. Bei den Rabbaniten ist es Brauch, daß vor dem Wochenfest Tausende von Männern und Frauen nach Rama pilgern, dort essen und trinken und einige Tage verweilen. Vor dem Grab unseres Meisters Schmuel ist ein Raum, der mehr als tausend Menschen faßt. Wir haben unter einem Baum gelagert und aus einer Quelle getrunken, die Schmuel selbst gefaßt hat. Dann ging es nach Jerusalem zurück.

            In Hebron führte uns ein Karäer zu einer Höhle, von der es heißt, daß unser Stammvater Abraham dort die Be-schneidung vollzogen habe. In einer anderen Höhle mit einer sprudelnden Quelle soll das Bad unserer Stamm-Mutter Sara gewesen sein. Im Haine Mamre sahen wir eine Mauer, die Abraham gebaut hat, und tranken Wasser aus einem Brunnen, der noch aus seiner Zeit stammt. In He-bron steht eine kleine Synagoge, am Sabbat gingen wir hin, blieben aber im Vorraum an der Tür stehen, weil in der Synagoge am Sabbat Lampen brannten (Die Karäer verpönen jeden Gebrauch des Feuers am Sabbat.). Die Beter brachten aber die Torarolle zur Tür, und so konnten wir der Vorlesung folgen. In der Nähe der Synagoge steht ein ehrwürdiges Haus zur Aufnahme von Wanderern, Betten und Kissen sind dort bereitet und eine gläserne Öl-lampe erhellt den Raum.

Am Sabbat-Ausgang bewirtete man uns dort mit guten Rosinen und Brot. Der Fasttag des 10. Tewet fiel in diesem Jahr auf einen Sab-bat. Da fasteten wir in Jerusalem am Sabbat, weil unsere Karäer dort nicht den Brauch haben, diesen Fasttag auf den folgenden Sonntag zu verschieben (Im Juden-tum werden Fasttage, die kalendarisch auf einen Sabbat fallen, stets verlegt.). Am Mittwoch, den 14. Tewet 5415 verließen wir Jerusalem und kehrten in unsere Heimat zurück. Möge der Allgütige uns die Sünde verzeihen, daß wir das Heilige Land wieder ver-lassen haben.

 


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Aus der Gemeinschaft R. Jehudas des Frommen

 

Gedalja aus Semiecz

Um 1700

 

            Der Verfasser der kleinen Schrift 'Schaalu Schelom Jeruschalajim' (Fragt nach Jerusalems Ergehen) (Ps. 122, 6.) gehört dem Kreise R. Jehudas mit dem Beinamen 'der Fromme' an, der mit seinen Schülern im Jahre 1699 aus der Gegend von Grodno aufbrach, um in Jerusalem durch ein gottgefälliges Leben die Zeit der Erlösung zu beschleu-nigen. Zu seiner Gemeinschaft gehörten über 1300 Personen, ei-nige Hundert erlagen den Strapazen der Reise, und auch der Führer der frommen Bruderschaft starb, wie sein Schüler Gedalja berich-tet, unmittelbar nach der Ankunft in Jerusalem. Die Gemeinschaft R. Jehudas mußte entsetzliche Leiden und Enttäuschungen in Jeru-salem erleben. Die Stadtrabbiner verdächtigten sie des Sabbatianismus. Diesem Vorwurf will Gedalja mit einem Angriff gegen die Anhänger des falschen Messias in seiner Schrift begegnen. Zu den Sendboten, die die bedrängten Anhänger R. Jehudas ins Ausland schickten, gehörte auch Gedalja, er fand in dem damaligen Berliner Rabbiner Jechiel Michel einen warmherzigen Gönner und erhielt von ihm auch die Approbation zu seinem kleinen Buch. Eine ausführliche Geschichte der Allsiedlung dieser Chassidim gibt S. Krauss im Gedenkbuch H. P. Chajes 51 ff.

 

Das hebräische Schriftchen erschien auf 16 ungezählten Blättern in Berlin 1716. Nur zwei Exemplare des Buches sind heute be-kannt, das eine besitzt die Bodleiana in Oxford und ist von Stein-schneider in der Zeitschrift des deutschen Palästinavereins III (1880) 226ff. beschrieben, das andere Exemplar befindet sich in der Rosenthaliana in Amsterdam, nach dem S. Rubaschow das Buch in Reschumot II (1922) 461 ff. erneut zum Abdruck ge-bracht hat.

 

            AM NEUMONDSTAG DES CHESCHWAN 5461 (1700) kam unser Lehrer R. Jehuda der Fromme mit seinen An-hängern nach Jerusalem. Sogleich erwarb er ein Haus im Schulhof der Aschkenasim, mietete Wohnungen für seine Getreuen und teilte Geld zum Lebensunterhalt aus. Die meisten waren von den großen Anstrengungen der Reise krank. Die Verpflegung auf dem Schiff war schlecht ge-wesen und der Raum, den man uns allen gemeinsam {54} angewiesen hatte, viel zu eng. Am Rüstrage des Sabbats ging unser Lehrer ins Tauchbad, dann erkrankte er plötzlich. Er betete noch das Abendgebet, als er aber aus der Syn-agoge heimkam, fiel er ohnmächtig hin. Dann redete er ohne Bewußtsein, betete Verse aus dem Morgengebet her, immer wieder die gleichen Verse, ohne zum Bewußtsein zu gelangen. Sein Schwiegersohn R. Jeschajahu machte schließlich Kiddusch, dann schickte man nach einem Arzt. Es gab in Jerusalem einen wohlhabenden sfardischen Arzt, gleich bewandert in der Lehre wie in der Heilkunde, R. Mordechai Molko.

Es ist in Jerusalem gefährlich, bei Nacht auf die Straße zu gehen, wenn es auch nur eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang ist. Die Türken dul-den das nicht und werfen jeden Juden, den sie nachts auf der Straße antreffen, ins Gefängnis, um ihn außerdem noch mit einer Geldstrafe zu belegen. Nur um einen Arzt zu einem Kranken und eine Hebamme zu einer Gebären-den zu rufen, darf ein Jude nachts die Straße betreten.

Als der erwähnte Arzt kam, sagte er, im Augenblick könne er nicht viel machen, man müsse zunächst noch einen Tag abwarten. Am Sabbat stand unser Lehrer morgens auf, wusch sich und verrichtete das Morgengebet. Dann bat er alle um Entschuldigung, daß er sie in der Nachtruhe gestört habe. Was am Abend mit ihm geschehen war, wußte er nicht. Er meinte nur, es stecke eine Krankheit in ihm, doch fühle er sich schon fast genesen. Da wiederholte sich ein Ohnmachtsanfall. Diesmal blieb die Sprache ge-lähmt, er konnte kein Wort mehr hervorbringen. Am Montagabend verschied er, ohne einen letzten Willen geäußert zu haben. Ein letzter Wille muß aber unter sei-nen Schriften liegen, er hat oft daran geschrieben. Noch am gleichen Tage wurde er bestattet, viele Männer und Frauen Jerusalems erwiesen ihm die letzte Ehre. Auf dem Schulhof stimmte der Vorbeter der Sfardim sfardische Klagelieder an, und alle Versammelten weinten bitterlich über den plötzlichen Tod unseres Lehrers und darüber, {55} daß sie nicht gewürdigt waren, sein heiliges Antlitz zu schauen. Nach jedem Vers eines Klageliedes schlugen sie sich an den Kopf und schrien: Wehe, wehe! Hätte jemand ein steinernes Herz gehabt, es wäre weich geworden. Dann trugen die Vornehmsten der Sfardim die Bahre auf den Friedhof am Ölberg, dort wurde er so beigesetzt, wie es auch im Ausland geschieht, nicht in einem Schiebegrab, wie es früher hier Brauch war. Nach Jahresfrist starb seine Frau, die Rabbinerin, und dann sein liebes Söhnchen. Beide ruhen neben ihm. Sie gingen zur Ewigkeit ein, uns aber ließen sie in Seufzen zurück.

            Im Spätsommer des Jahres 5460, kurz vor unserer An-kunft, war mit dem Bau der neuen Synagoge und von vierzig Armenwohnungen begonnen worden. Auch ein herrliches Lehrhaus wurde gebaut, das viele Bücher ent-hielt. Vier ausgekalkte Zisternen, die keinen Tropfen durchlassen, befinden sich im Hof, um die Anwohner mit Wasser zu versorgen, ferner das Tauchbad. Die Zisternen fangen das Regenwasser auf, denn es gibt in Jerusalem kein fließendes Wasser, und man trinkt nur Regenwasser. Alle Häuser am Schulhof, auch die Synagoge und das Lehrhaus, sind aus dicken Quadersteinen errichtet, eben-so die vier Zisternen, die oben eine kleine Öffnung haben, durch die man den Eimer hinunterläßt. Das Wasser hält sich in den Zisternen frisch wie in einem Glasgefäß. Diese Bauten haben viel Geld verschlungen. Man mußte nämlich den Türken in Jerusalem viel Bestechung zahlen, bis sie den Bau gestatteten. Dann wollte man die Syn-agoge größer ausführen, als die alte war, aber die türkische Regierung gestattet nur so hoch zu bauen, wie vorher ge-baut war. Da mußte man den Obersten wieder viel Be-stechung geben, damit sie den größeren Bau genehmigten. Nun besteht ein Gesetz in Jerusalem, daß man während der Bauzeit dem Pascha drei Jahre lang fünfhundert Lö-wentaler jährlich zahlen muß. Da aber die Synagoge ge-gen die Erlaubnis des Sultans höher als die alte gebaut {56} wurde, kam ein anderer Pascha und wollte den Bau ein-stellen lassen. Da bekam auch dieser fünfhundert Löwen-taler. Schließlich kam ein neuer Pascha aus Konstanti-nopel, dem man wieder fünfhundert Löwentaler geben mußte. So waren die Juden gezwungen, sich von dem Türken Geld gegen hohen Zins zu leihen. Die Juden zahlen jährlich an den Sultan Steuern, jeder Männliche über fünfzehn Jahre zwei rote Gulden. Ein Armer muß mindestens einen Gulden erlegen. Alljährlich um Peßach erscheint in Jerusalem ein Pascha vom Sultan, um die Steuern einzuziehen; wer nicht zahlt, kommt ins Gefängnis, und die Gemeindekasse muß ihn auslösen. Der Pascha bleibt gewöhnlich bis zum Wochenfest in Jerusa-lem. Da verstecken sich die armen Leute, so gut sie kön-nen, in ihren Häusern, faßt sie aber der Pascha, so muß der Vorsteher für sie zahlen. Der Pascha hat Unterbeamte, die den ganzen Tag auf der Straße nach den Leuten fahnden, die noch keine Steuern abgeführt haben. Wer gezahlt hat, erhält eine Quittung. Trifft ein Beamter einen Mann an, der keine Quittung bei sich hat, so schleppt er ihn zum Pascha, und dort muß er bezahlen. Das betrifft die Aschkenasim ebenso wie die Sfardim.

            In Jerusalem wohnen auch viele Christen, fast mehr als Türken und Araber. Auch sie erleiden viel Unbill und müssen ebenfalls Steuern erlegen. Nur Arme, Blinde und Lahme sind davon befreit. Dennoch fordert der Türke sie auch von denen, und man kann nicht viel dagegen tun, es ist eine harte Galut. Nur am Sabbat und am Festtag darf der Steuererheber nicht eintreiben, deshalb gehen wir an diesen Tagen ohne Furcht auf die Straße. Anders ist es am Wochentag. Der Beamte darf auch nicht ins Haus kom-men, um Geld zu verlangen, auch nicht die Synagoge be-treten. Die Bösewichter stellen sich aber an die Synagogen-tür, und wehe dem, der die Synagoge verläßt und keine Quittung bei sich hat. Manchmal bestechen die Beamten das Oberhaupt der Heiligen Stadt und erhalten dafür die {57} Erlaubnis, zwei oder drei Tage lang in den Häusern selbst einzutreiben. Was machen die Armen? Sucht der Beamte am Sonntag die Häuser der einen Straße ab, verstecken sie sich in der anderen Straße, und am nächsten Tag verstec-ken sie sich in der Straße, in der der Beamte am Tag vorher war. Um die Zeit des Wochenfestes verläßt der Pascha Jerusalem, um anderswo Steuern einzutreiben. Nur nach Hebron geht er nicht, diese heilige Stadt genießt beim Sultan Steuerfreiheit, weil dort die Stammväter in der Höhle Machpela begraben sind. Weder Juden noch Chri-sten zahlen in Hebron Steuern. Kommt der Pascha um Peßach an, bringen ihm die Juden Geschenke und Be-stechung entgegen, er legt aber noch mehr für sich bei-seite. Im nächsten Jahr erscheint ein anderer Pascha, im türkischen Reiche wechseln die Beamten Jahr für Jahr, und man schickt niemals den gleichen Steuererheber in zwei aufeinanderfolgenden Jahren in dieselbe Gegend.

            Doch kehren wir zu unseren großen Sorgen zurück, die uns der Synagogenbau geschaffen hat. Unsere Schulden drücken wie ein hartes Joch auf unseren Nacken. Man sperrt uns ins Gefängnis, und ehe der eine Schuldner aus-gelöst werden kann, sitzt der zweite bereits in Haft. Man wagt kaum auf die Straße zu gehen, wo obendrein die Steuererheber auf uns lauern, wie Wolf und Leu, um uns zu zerreißen. Als wir mit unserem Meister nach Jerusalem reisten, kamen wir durch ganz Deutschland, und man ver-sprach überall, uns regelmäßige Unterstützungen zu über-senden. Damals glaubten wir uns in Ehren ernähren zu können. Jetzt aber drücken uns die Schulden, und wir müssen das für den Lebensunterhalt bestimmte Geld den Tür-ken geben, damit sie uns nicht ins Gefängnis werfen, denn die Haft ist das schwerste. Meine Familie kann sich zur Sabbatmahlzeit nur vier Lamm- oder Ziegenfüße gestatten, die kosten einen türkischen Para, das sind etwa fünf polnische Groschen. Die Füße kochen wir mit Erbsen oder Graupen, aber oft genug gibt es selbst das nicht zum {58} Sabbatmahl. Den Sabbat-Schalet bringen wir zum Wär-men in den Backofen, dort stehen gewöhnlich hundert bis zweihundert Töpfe nebeneinander. Am Sabbatmorgen holt sich jeder sein Gericht ab, man kennt schon sein Eigen-tum. Die meisten kochen in kupfernen Kesseln, nur wir Armen aus der Gemeinschaft des R. Jehuda haben irdene Gefäße. Einmal holte ich mir am Sabbat meine Mahlzeit ab, wir hatten Lammfüße mit Erbsen, und ich freute mich aufs Essen, weil wir an den vorhergehenden Sabbaten auch das entbehren mußten. Als ich das Essen heim-brachte, stellte sich heraus, daß mein Topf mit dem eines anderen Armen, der sich keine Füße hatte leisten können, verwechselt war. Im Talmud heißt es: Ein Unglück kommt selten allein (Chullin 105 b und öfters.).

            Für uns Aschkenasim ist es hier schwer, einen Handel zu beginnen, es fehlen uns die Sprachkenntnisse. Die sfardischen Juden sprechen Spaniolisch, die Araber Aramäisch (so !)und die Türken Türkisch. Keiner von ihnen versteht Deutsch. Und womit sollen wir handeln? Es gibt zwar viel Wein in Erez Jißrael, aber Türken und Araber trinken we-der Wein noch Branntwein. Verkauft ein Jude einem Araber nur etwas Wein oder Branntwein, und man sieht den Araber trunken, so kommt der Jude ins Gefängnis, man schlägt ihn, und er muß Geldstrafe zahlen. Die Juden stellen für den eigenen Gebrauch Wein und Branntwein her, nur wir Armen von der Gemeinschaft R. Jehudas ha-ben nicht genug Geld dazu und müssen Wein vom Händ-ler kaufen. Oft genug müssen wir uns mit dem billigeren Rosinenwein begnügen. Branntwein kommt selbst am Sabbat nicht über unsere Lippen, es sei denn, daß uns wohlhabende Juden Branntwein als Armenzehnt schicken. Auch die sfardischen Juden treiben wenig Handel, die Straßen im Lande sind durch Räuber gefährdet, und selbst die Türken ziehen immer in großen Karawanen aus.

'Zions Wege trauern' (Klagelieder l, 4.), niemand kommt, niemand geht. Nach {59} Ägypten ist eine Karawane dreizehn bis vierzehn Tage unterwegs, und die Juden müssen mit der Karawane selbst am Sabbat ziehen, weil die Karawane nicht rastet, um auf einen Juden zu warten. Deshalb hebt man wegen der Le-bensgefahr das Sabbatgebot auf, es sei denn, man kann mit dem Eseltreiber ausmachen, daß er unterwegs am Sabbat ruhen wird. Meistens tut er es dann aber doch nicht, und deshalb ziehen Juden nach Ägypten nur in den dringend-sten Fällen. Zu einer Handelsbeziehung mit Konstantino-pel muß man übers große Meer fahren, die Reise nimmt zwei bis drei Wochen in Anspruch. Die Gemeinschaft R. Jehudas war siebzehn Tage unterwegs, und als ich von Jerusalem auszog, war ich vierzehn Wochen auf dem Meer, da ein Sturm wütete. Darum fahren nur wenige Kaufleute übers Meer.

            Einige Juden haben hier Lebensmittelgeschäfte, manche davon nehmen sich einen Türken als Teilhaber, um sich vor Übervorteilung zu schützen. Auch gibt es auf den nichtjüdischen Basaren ein paar jüdische Gewürzhändler. Es gibt hier Juden, die werden die Moghrabiner (Marok-kaner), in ihrer Sprache 'Moriscos' genannt, sie haben ihre eigene Sprache, verstehen aber auch Aramäisch. Sie gehen wie die Araber gekleidet, und man kann sie kaum von ihnen unterscheiden, denn auch die Araber pflegen den Bart nicht zu schneiden. Auf ihren Eseln ziehen die Moghrabiner mit Gewürzen und anderen Dingen von Ort zu Ort und bringen dafür Weizen und Gerste nach Jerusalem. Davon ernähren sie sich kümmerlich. Wenn sie, die die Sprachen des Landes beherrschen, schon in Ar-mut leben, was sollen wir armen Aschkenasim da tun, die wir wie Stumme unter den Nichtjuden wandeln. Kaufen wir etwas bei einem Araber, so deutet er uns mit den Fingern den Preis an, und wir müssen mit den Fingern ant-worten. So werden wir zum Gespött und zur Schande in ihren Augen und können uns nicht ernähren.

            Unter den Arabern gibt es Holzfäller und Wasserschöpfer.

{60}     Das Eisen an der Axt der Holzfäller ist aber nicht lang wie in unseren Ländern, sondern breit wie ein Spaten, mit dem man bei uns Lehm gräbt. Die Wasserschöpfer tragen das Wasser in Ziegenfellen in den Straßen aus und rufen: Moja, Moja, das ist der Targum (Aramäische Übersetzung.) von Majim. Wasser. Die Araber sprechen Aramäisch oder Targum, ihre Sprache ist aber verderbt, sie sprechen nicht das Targum der Schrift, und deshalb ist es selbst für einen Gelehrten schwer, sie zu verstehen, auch darum, weil sie sehr schnell sprechen. Man kann aber bald das Nötigste lernen, um sich mit ihnen zu verständigen und um etwas bei ihnen auf dem Markt zu kaufen.

            Jerusalem hat zwei jüdische Friedhöfe, einen aus alter Zeit, weit im Süden von der Stadt entfernt, und einen neuen im Osten, auf dem Abhang des Ölbergs. Auf dem alten Friedhof ist kein Grab mehr zu erkennen, man findet dort viele Höhlen. Auf dem neuen Friedhof sind keine Höhlen, man hebt die Gräber wie bei uns aus. Ohne schriftliche Ge-nehmigung des türkischen Kadis darf nicht bestattet wer-den, man zahlt dem Kadi nach dem Vermögen des Toten dafür. Für das Begräbnis eines Armen gibt er die Erlaub-nis sofort und unentgeltlich. Die Erde des Friedhofs ist weiß, aber der Berg ist sehr steinig, und das Grab muß oft ausgehauen werden. Wer von Jerusalem ins Ausland reist, nimmt etwas Erde vom Ölberg mit sich. Auch ich tat so, um das Psalmwort zu erfüllen: 'Es lieben Deine Knechte seine Steine, und seinem Staub sind die hold.'  (Ps. 102,15.).

            Die Gewänder der Türken sind lang wie die polnischen, aber bunt. Um den Turban wickeln sie ein Tuch aus Baum-wolle oder Seide. Die Sfardim tragen die gleiche Tracht, sie dürfen aber ihren Turban nicht grün oder weiß um-wickeln. Einen weißen Anzug darf der Jude tragen, die Sfardim tragen ein weißes Untergewand und darüber ei-nen schwarzen oder farbigen Rock, auch am Sabbat. Die Aschkenasim gehen am Sabbat in leuchtendem Weiß, die {61} Sfardim tragen ein weißes Kleid nur am Sabbat vor dem Neunten Aw. Die Christen kleiden sich wie im König-reich Polen, das türkische Gesetz schreibt vor, daß jede Nation in ihrer Tracht gehe, um den Unterschied kennt-lich zu machen. Auch in der Fußbekleidung gibt es Sit-ten, die Juden tragen blaue und dunkelblaue Schuhe, die Christen rote, und gelbe sind den Türken vorbehalten. Die Araber tun den Juden oft auf offener Straße Unbill an. Ist der Araber jedoch ein angesehener Mann, wird er dem Juden, den er auf der Straße trifft, kein Leid zufügen. Das Zusammentreffen mit den unbedeutenden Leuten ist dem Juden oft unangenehm. Wir dürfen gegen einen Türken nicht die Hand erheben und ebensowenig gegen einen Araber, der die gleiche Religion hat wie jener. Gibt einer einem Juden einen Schlag, so geht der Jude geduckt da-von und wagt nicht, den Mund aufzutun, um nicht schlimmere Schläge zu erhalten. So benehmen sich die Sfardim, die sich an den Zustand gewöhnt haben. Aber die aschkenasischen Juden, die es noch nicht gewöhnt sind, vom Araber Schläge zu empfangen, fluchen ihnen, wenn sie ihre Sprache verstehen, oder springen zornig auf sie los, und erhalten dann noch mehr Prügel. Kommt jedoch ein vornehmer Türke dazu, schilt er den Araber aus und jagt ihn fort oder wartet, bis der Jude seines Weges ge-gangen ist.

Auch die Christen müssen solche Unbill er-leiden. Erzürnt ein Jude einen Türken, so schlägt ihn die-ser zur Schmach mit dem Schuh in Grausamerweise, und niemand rettet ihn aus seiner Hand. Den Christen geht es nicht anders. Sie befinden  sich in gleicher Unterdrückung, nur haben sie viel Geld, das man ihnen aus allen Ländern schickt, und damit bestechen sie den Türken und wehren ihn ab. Die Juden haben nicht so viel Geld, darum geht es ihnen schlechter.

            Das Bad zu Jerusalem ist zu empfehlen, es hat heiße und weniger heiße Zellen, und jeder kann sitzen, wo er will, auch der Jude. Es kostet einen türkischen Para Eintritt, das {62} ist ungefähr ein Kaisergroschen. Einen Para gibt man auch dem Diener, der ein Tuch bringt, um sich damit zu be-decken, und ebensoviel dem Diener, der den Badenden ab-reibt. Ich wollte mich einmal selbst abreiben, da hat man mir viel Unbill zugefügt, und seitdem gehe ich nicht mehr ins Bad. Der Ofen, mit dem das Bad geheizt wird, befin-det sich im Keller unter dem Bad; man heizt mit trockenem Tiermist und mit Abfällen.

            Im Jahre 5463 empörten sich die Einwohner Jerusalems gegen den Pascha, der alljährlich aus Konstantinopel vom Sultan kommt. Als der Pascha einmal die Stadt verließ, schlössen sie die Tore und ließen ihn nicht wieder ein. Er spannte seine Zelte rings um die Heilige Stadt aus, durfte die Stadt aber nicht mit Pfeilen beschießen, weil ja auch ihnen Jerusalem heilig ist. Dagegen wurde er von den Einwohnern beschossen. So blieb es mehrere Wochen, bis die Not in der Stadt überhand nahm. Da zog der Pascha schließlich ab, dennoch hielt man die Stadt noch geschlos-sen, aus Furcht, er könnte zurückkommen. Im nächsten Jahr erschien ein anderer Pascha vom Sultan, der ebenfalls mehrere Wochen vor der Stadt liegen mußte, bis man sich mit ihm einigte, daß er nur für einen einzigen Tag mit drei Dienern in Jerusalem einziehen dürfe, um die Steuern zu erheben. So hielt man es dann Jahr für Jahr bis zum Jahre 5466, während man beim Sultan vorgab, daß nur die Ge-walttätigkeiten und Erpressungen der Paschas den Widerstand verursacht haben und keine Empörung beabsichtigt sei. Im Winter des Jahres 5466 kam vom Sultan ein neuer Pascha mit starker Heeresmacht. Als die Einwohner der Stadt das vernahmen, zerfielen sie untereinander, da eigent-lich nur ein einziger Fürst, den man den Nakib nannte, den Widerstand mit seiner Partei verursacht hatte. Seine An-hänger verließen ihn, sie waren ihm zum Teil nur aus Furcht zugefallen, und die Angesehensten der Stadt begaben sich zur Davidsburg, wo die Besatzung des Sultans lag. Der Nakib blieb in seinem hohen und ebenfalls befestigten {63} Hause. Man beschoß sich gegenseitig, bis auch der Nakib versprach, sich vor dem Pascha zu beugen. Daraufhin schrieb der Pascha an die angesehenen Männer, sie möch-ten den Rebellen nicht entwischen lassen, wer ihn leben-dig an den Sultan ausliefere, solle reich belohnt werden. Das Schreiben geriet jedoch in die Hände des Nakib, und er floh eilends mit dreihundert Rädelsführern aus der Stadt. Dann zog der Pascha mit seinem großen Heere ein, plünderte und zerstörte und ließ auch nicht einen einzigen unberaubt. Die ihm als reich bekannten Juden sperrte er ein und zwang sie zu großen Bestechungsgeldern. Als Vorwand dem Sultan gegenüber hieß es, die Juden seien Rebellen. Endlich kam eine neue Besatzung vom Sultan, die in der Stadt blieb und weitere Aufstände verhinderte. Damals flohen viele reiche Sfardim aus Jerusalem und lie-ßen sich an anderen Orten nieder.

            Etwas sehr Böses haben wir wahrgenommen: die neu-modischen Narren, die erst vor kurzem ins Land gekom-men sind, wollen den alten Aussatz vom Jahre 5426 (Anspielung auf die Sabbatai-Zwi-Bewegung. Nach jüdischer Lehre be-findet sich die Schechina, die welteinwohnende Gottheit mit Israel in der Verbannung. Sie kehrt in der messianischen Zeit mit Israel nach Zion zurück.) wie-der erneuern, indem sie behaupten, daß sich die göttliche Einwohnung seit jenem Jahre nicht mehr in der Verban-nung befinde, und man daher nicht mehr um ihre Heimat-losigkeit zu trauern brauche. Jenen sei geantwortet: 'Wor-auf noch wollt ihr geschlagen werden, da ihr euch immer weiter entfernt' (Jes. l, 5; das hebräische Wortspiel ist nicht zu übertragen. T u k k u, ihr wollt geschlagen werden, hat den Zahlwert des Jahres (5)426.).  Wegen unserer Sünden sind die Hände schon vieler ehrenwerter Männer erschlafft, unter ihnen Fromme und Männer der Tat, die nicht mehr die Verban-nung der göttlichen Einwohnung beweinen. Soll man ihre Gedanken noch widerlegen, nachdem es allen offen-bar ist, wie trügerisch die Bewegung vom Jahre 5426 war. Darum sagen wir: 'Nicht antworte dem Narren in seiner törichten Weise, daß du ihm nicht gleichest.'(Prov. 26,4.) Wer {64} weiß denn nicht, daß mit der Heimkehr der göttlichen Einwohnung auch wir heimkehren werden?

Aber noch immer betritt der Araber unser Heiligtum, und uns nennt man die Fremden, denen der Eintritt verwehrt ist. Selbst wenn es wahr wäre, daß die Einwohnung ihre Verban-nung verlassen hat, so ist doch uns noch nicht geholfen, sind unsere Wunden noch nicht geheilt.

 

            Dennoch ist es köstlich, in Erez Jißrael zu leben, und wer nur vier Ellen weit in Erez Jißrael geht, hat Anteil am ewi-gen Leben. Wenn ein Gelehrter hier an einen Ort geht, den er früher noch nicht aufgesucht hat, pflegt er darum zu sa-gen: vier neue Ellen bin ich gegangen. Auch die Gebote, die nur im Lande Gültigkeit haben, zum Beispiel die Vor-schrift, dem Priester von der Schlachtung den Bug, die Kinnbacken und den Magen zu geben (Dt. 17,4.), werden noch heute im Lande befolgt. Ich selbst habe einmal ein Lamm ge-schlachtet, und mit Gottes Hilfe habe ich davon die Ab-gaben geleistet. Hebe und Zehnten geben wir von Wein und Branntwein. Ich kaufte eines Freitags eine Wein-traube, um den Saft für Kiddusch auszupressen, da konnte ich Gebot um Gebot erfüllen, nämlich Hebe und Zehnt davon geben. Auch die Vorschriften des Sabbatjahrs wer-den gehalten. Das Jahr vor unserer Ankunft war ein Sab-batjahr. Ich muß es mir ersparen, ausführlich zu beschrei-ben, wie wir alle diese Gebote halten. Das wäre für dieses kleine Buch zuviel, und wenn ihr ins Land kommt, werdet ihr es sehen und tun.

            Ich hörte von einer alten Verordnung, daß ein Ehepaar mindestens fünfhundert Löwentaler, abgesehen von den Kosten der Reise, besitzen solle, um nach Erez Jißrael gehen zu können. Leiht man das Geld gegen zehn Prozent Zin-sen aus, so hat man jährlich fünfzig Löwentaler zu ver-zehren. Davon gehen noch zwei rote Gulden für Steuern ab, dann die Hausmiete und andere Ausgaben. Ist einer wohlhabend und hat mehr Geld, so ist's gut für ihn und {65} gut für seine Mitmenschen. Er kann andere von dem Sei-nen mitleben lassen und zwei Tische decken. Wir haben hier keine andere Beschäftigung, als Tag und Nacht zu lernen und zu beten. Um dieses Verdienstes willen möge sich bald und in unseren Tagen das Wort an uns erfüllen:

 

'Sie kommen nach Zion mit Jubel, Weltzeit-Lust ist um ihr Haupt, sie erlangten Lachen und Lust, Gram und Seufzen müssen entfliehen.' (Jes. 35,10.).

 

 


{66}

 

Die Auffindung der Klagemauer

 

R. Mosche ben Jizchak Chagis

1671-1760

 

            Die folgende phantastische Erzählung, die Sagenstoffe verschie-denster Epochen in die Regierungszeit Selims I. verlegt, ist der Tendenzschrift 'Paraschat Ele Maß'e' (Altona 1733 u. ö.) von R. Mosche Chagis entnommen. Der Verfasser, der in Jerusalem ge-boren wurde und in Safed starb, hielt sich zugunsten der palästi-nensischen Juden längere Zeit in Italien, Deutschland und Holland auf. Er verfaßte im Ausland seine Schrift, in der er sich dafür ein-setzt, daß die gesammelten Spendengelder für Jerusalem nicht nur den Aschkenasim, sondern allen dort ansässigen Juden zugute kom-men sollen. Zu diesem Zweck sucht er zu beweisen, daß das alte Jerusalem auch das gegenwärtige, und daß insbesondere die Klagemauer echt sei. Die gesammelten Legenden sind ein buntes Ge-misch aus allen Jahrhunderten der arabischen Herrschaft. Zu den historischen Angaben ist zu bemerken, daß die Eroberung Palästi-nas durch Selim I. (1512 bis 1520) schon 1517 und nicht erst (5)300 = 1540 geschehen ist, wie er von den 'Gelehrten, die sich auf die Geschichte des ottomanischen Reiches verstehen', gehört haben will. Das Jahr 1540 fällt in die Regierungszeit Soleimans des Präch-tigen (1520-1566), der um dieses Jahr die Stadtmauer Jerusalems er-richten und die Omarmoschee ausbessern ließ.

            Der Titel des Schriftchens ('Dies sind die Züge') läßt eigentlich Reiseberichte vermuten. Er ist jedoch vom Autor nur mit Hin-blick auf seinen Namen und in Anlehnung an den Satz im Wochenabschnitt 'Maß'e' (Num. 332) gewählt worden: 'Mosche schrieb ihre Ausfahrten nieder zu ihren Zügen.'

 

            DIE GELEHRTEN JERUSALEMS, UND ZWAR diejenigen, die sich auf die Geschichte des ottomanischen Rei-ches, das sind die Türkeil, verstehen, erzählten mir folgende Begebenheit. Unter ihnen war ein großer Sterndeuter, der dreihundert Jahre vor der Eroberung der Stadt durch Selim in sein Buch dieses Rätsel geschrieben hatte:

 

                        'Wenn sich das SCHIN dem SCHIN verbindet 

                        im SCHIN das SCHIN sich doppelt findet.'

 

            Nach der Eroberung sagten sie, jetzt verstünden sie das Rätsel. Als der König, dessen Name Selim mit einem SCHIN beginnt, im Jahre SCHIN das ist (5)300 zur Regierung kam, verleibte er sich das {67} doppelte SCHIN ein, JeruSCHalajim (Jerusalem) und DameSCHek (Damaskus). Ferner erzählten sie mir, Selim habe sich nach der Eroberung als Palast das Gebäude aus-ersehen, das man heute als Haus des Gerichtshofs bezeich-net. Eines Tages sah er nun durch sein Fenster, wie eine christliche alte Frau, sie mochte an die neunzig Jahre alt ge-wesen sein, einen Sack oder einen Kasten Mist heran-schleppte und ihn an einem Ort, ganz nahe bei seinem Wohnsitz, entlehrte. Da entflammte sein Zorn. Er hatte zwar schon früher bemerkt, daß dort ein Schutthaufen war, aber doch nicht weiter darauf geachtet. Er sagte sich näm-lich: Man soll es nicht so streng damit nehmen, warum soll man es hier verbieten und dort nicht.

Die gleiche Frage kann dann immer wieder gestellt werden. Weil aber hier der Misthaufen unmittelbar am königlichen Hofe lag, war er doch zornig über die Frechheit, daß man ihn noch im-mer vergrößerte. Er schickte einen seiner Diener zu der Frau mit dem Sack und ließ sie vor sich kommen. Dann fragte er sie nach ihrem Volke. Sie antwortete, sie sei von den Römern. Ferner fragte er sie nach ihrem Wohnort, und sie erwiderte, sie sei aus einem Ort zwei Tagereisen von hier entfernt, und darum sei sie sehr müde. Aber auf Befehl der römischen Obersten müßten alle Bewohner der Stadt täglich einen Sack oder eine Kiste voll Mist heran-schleppen. Die in der Nähe der Stadt wohnen, zweimal wöchentlich, und die im Umkreis von drei Tagereisen wohnen, einmal im Monat.

Den Mist müßten sie auf die-sen Platz werfen, weil hier das Haus des Gottes Israels ge-standen habe. Da sie es nicht von Grund auf zerstören konnten, wurde über sie verhängt, daß sie keine ewige Seligkeit hätten, wenn sie diese Anordnung nicht befolg-ten, bis sein Name ausgetilgt ist und Israels nicht mehr ge-dacht wird. So sei es nicht böse in den Augen meines Herrn und Königs, daß ich mit einem Sack voll Mist zum königlichen Hofe kam. Nicht um Eure königlichen Au-gen zu erzürnen, tat ich also, sondern um des religiösen {68} Gebotes willen. Der König hörte sich ihre Worte ruhig an, dann befahl er seinen Dienern, die Frau in Gewahrsam zu nehmen, bis er die Richtigkeit ihrer Angaben erforscht hätte. Andere Diener hieß er draußen Posten stehen und jeden, den sie Mist bringen sähen, ins Gefängnis zu werfen und dann vor ihn zu bringen. Auch er selbst wollte durchs Fenster nach ihnen schauen. Die Diener brachten nun et-liche Mistschlepper herbei, und der König fragte sie aus, wobei er feststellte, daß ihre Angaben mit denen der Frau übereinstimmten. Dann ließ er alle ins Gefängnis setzen. Hierauf öffnete er seine Schatzkammer, tat viele Beutel Geldes heraus, nahm sodann einen Korb und eine Schau-fel über die Schulter und ließ überall ausrufen: Wer den König liebt und ihm eine Freude machen will, der komme und tue ihm gleich. Dann ging er zum Misthaufen, schüt-tete dort die Geldbeutel aus, damit sich die armen Leute aus Liebe zum Geld daraufstürzen und es aus dem Mist herausholen sollten. Er selbst stand daneben und spornte sie an, indem er immer mehr Geld ausschüttete. Seine Ober-sten verpflichtete er, ihm nachzueifern, indem er selbst sich mit Korb und Schaufel auf dem Misthaufen für die Armen seines Volkes mühte. Wer den König mit Korb und Schaufel auf dem Misthaufen arbeiten sah, tat ihm gleich. Den ganzen Tag stand er dort, ließ wie erwähnt ausrufen, und so ging es weiter, alle Tage streute der König mehr Geld aus. Mehr als zehntausend Menschen suchten einen Monat lang auf dem Misthaufen nach Geld und räumten auf diese Weise den Mist ab, bis Fundamente, die man heute noch sehen kann, freigelegt waren - die Klagemauer. Damals machten die Römer, die Mist bringen wollten, schnell kehrt, aber viele von ihnen wurden ge-fangengenommen. Unter den Gefangenen ließ der König Lose werfen, dreißig Männer und acht Frauen knüpfte er vor der Stadt auf. In den umliegenden Dörfern wurde eine Fron ausgerufen, Männer und Frauen mußten kommen und den Platz reinigen, denn heilig ist er unserem Gotte.

{69}     Sodann ließ der König einige arme Juden zu sich rufen und sprach also zu ihnen: Ihr seht, von Gott ist die Sache ausgegangen, Er wollte die Krone des Hauses wieder ein-setzen wie zu König Schlomos Zeiten, als er den Tempel errichtete. Da nun die Fundamente vor euch liegen, so baut den Tempel auf meine Kosten wieder auf. Ihr braucht mit Geld nicht zu sparen. Den Juden zersprang das Herz im Leibe, sie weinten und schluchzten und vermochten nicht zu antworten. Da sprach der König zu ihnen: War-um weint ihr, da ihr doch fröhlich sein solltet? Zur La-bung hat mich Gott gesandt. Sein Heiligtum zu errichten, das die Römer zerstört haben. Sie sind doch unbeschnit-tenen Herzens und unbeschnittenen Fleisches und wissen nichts vom Wert dieses einzigartigen und heiligen Ortes. Macht ihr euch wegen des Geldes Sorge? Ich habe euch doch gesagt, ihr sollt auf meine Kosten bauen. Da erwi-derte ein alter Mann unter Tränen: Lang lebe unser Herr und König, lang sitze er auf dem Thron seiner Herr-schaft! Wir, deine Knechte, wollen Gott bitten, daß er deinen Rat lenke und dir Gutes erweise für deine immer-währende Huld, in der du die Kosten für den Aufbau des Heiligtums gelobt hast. Doch ist es nach unserem Glauben nicht unsere Sache, das Haus zu bauen.

Wir glauben und hoffen vielmehr, daß das Haus vom Himmel her von Gott gebaut werden wird, wenn Sein heiliger Wille so ent-scheidet. Da sagte der König: Das mag so sein, ich weiß aber, daß König Schlomo gebetet hat: 'Auch auf den Fremden, der nicht von Deinem Volke Israel ist, der aus fernem Lande um Deines Namens willen kommt und in diesem Hause betet, höre Du im Himmel.' (Kg. 8,41 f.) Nun, ich werde das Haus selbst bauen und es zu meiner Gebets-stätte machen. Damit entließ er sie zum Frieden, gewährte ihnen Wohnfreiheit und gestattete ihnen, jedem Gewerbe nachzugehen wie jeder andere seines Volkes. Er bat sie nur, ihm die Pläne des Tempels zu geben. Sie haben aber {70} wahrscheinlich die Längen- und Breitenmaße des ersten und zweiten Tempels nicht richtig angegeben, nur den Plan von der Westmauer gaben sie ihm genau. Sie entwarfen ihm Vorhöfe für Männer, Frauen und Priester, fer-ner einen Kuppelbau und die Schule Schlomos (Soleimans). Dort soll das Allerheiligste gestanden haben, denn dort schwebt ein Stein in der Luft, den wir Ewen Schetija nennen. Diesen Raum halten die Mohammedaner besonders heilig, nur zum Entzünden und Auffüllen der Tag und Nacht brennenden Lampen darf er betreten wer-den. Wie der König den Bau nur auf seine Kosten errich-tet hatte, so ließ er auch viele Gelehrte Tag und Nacht dort für ihn lernen. Allein die Beleuchtung aller Häuser und Höfe kostete ihn täglich hundert Reichstaler. Dazu kamen die Ausgaben für die vielen hundert Gelehrten, die ihren ganzen Unterhalt aus der königlichen Kasse be-zogen, alles dem Vermögen des Königs entsprechend. Sie sollten für ihn und das Glück seiner Regierung beten. Ihr Lernen war in der Nacht so laut, das man's bis ins jüdische Lehrhaus hören konnte, das ist so weit wie von den Toren Hamburgs bis zur Börse, wo die Kaufleute hingehen.

 

            Das Lernen der Mohammedaner geschieht nicht zum Preise Gottes und seiner Größe, sie loben Gott, indem sie sagen, was er nicht ist, und sprechen nach jedem Abschnitt: Er ist Einer und kein Zweiter. Haben sie einen Todesfall, so bringen sie den Toten in das Lehrhaus Soleimans und bahren ihn dort bis zum Morgen-, Mittag- oder Abend-gebet auf, wie es die Stunde erfordert. Auf alle Fälle müs-sen sie den Toten zu einer Gebetszeit niederlegen, ehe er begraben wird. Fragen wir sie, weshalb sie das tun, so antworten sie, sie müßten vor dem Toten noch im Dies-seits Rechenschaft ablegen, ehe er aus dieser Welt scheidet und begraben wird. Nur wenn sie für ihn beten, kann er auferstehen. Seltsam ist ihr Geschrei beim Lernen zum Preise Gottes und seiner Einheit. Gewiß ist auch das ein Grund für die Länge unserer Verbannung.

 

 


{71}

 

Rechtsgutachten

 

des R. Chajjim Mosche Misrachi

Mitte des 18. Jahrhunderts.

 

            R. Chajjim. Mosche Misrachi war Jerusalemer Stadtrabbiner von 1725-1749. Aus seinen Responsen 'Admat Kodesch' (Heiliger Boden), Konstantinopel 1742, hat S. Assaf in Zion, Mitteilungen der historischen und ethnographischen Gesellschaft Palästinas I 26ff. kulturhistorisch wertvolle Auszüge veröffentlicht, auf denen die folgende Übersetzung beruht.

 

            I. IN FRÜHERER ZEIT WOHNTEN IN DER HEILIGEN Stadt Juden in einer Straße, die auf arabisch Haret esch-Scherif, Straße des Heiligtums, heißt. Die Fenster der Wohnungen gingen auf den Tempelplatz. Da kam im Jahre 5492 (1732) der Vezier aus Damaskus zu einer Be-sichtigung der heiligen Stätten nach Jerusalem. Am Frei-tag ging er zum Gebet ins Heiligtum und sah von fern hinter den Fenstern Frauen. Er erkundigte sich, wem die Höfe gehörten und ob die Frauen Mohammedanerinnen seien. Man sagte ihm, die Höfe seien muhammedanischer Besitz, aber die Frauen seien Jüdinnen, an die man die Höfe für teures Geld vermietet habe. Als der Vezier das hörte, entflammte sein Zorn. Er ging alsbald zum Kadi, und beide kamen überein, daß die Juden die Häuser unverzüg-lich räumen sollten. Am Sabbat legte der Schreiber des Kadi gemeinsam mit den Leuten des Veziers ein Verzeich-nis der Höfe an, deren Fenster auf den Tempel platz gehen, und ferner auch derjenigen Häuser, von deren Dächern aus man den Tempelplatz sehen kann. Am Sonntag erließ der Vezier einen Firman (Verordnung, Erlaß.), den der Kadi bestätigte, daß fortan kein Jude in jenen Häusern wohnen dürfe, und wer das Gebot übertrete, der werde schwer bestraft werden, ebenso der Hauseigentümer. So erhoben sich die Bösewichter gegen uns, um uns zu vertreiben (Anspielung auf Ex. 2,17.), und die Juden schrien  laut: Weh uns, aus unserem Lande werden wir {72} verjagt. Nun hatten Juden auf viele Höfe bereits das Ersitz-recht und hatten sie an andere Juden weitervermietet. Teilweise war der Mietszins schon gezahlt, teilweise wur-de er nach Ablauf der Mietszeit erlegt. Als nun die Ver-treibung aus den Wohnungen einsetzte, entstanden Mei-nungsverschiedenheiten zwischen den jüdischen Vermie-tern und Mietern, und nun entscheide der Lehrer, auf wessen Seite das Recht ist.

           

            II. Eine aschkenasische Frau hielt Wein und Branntwein feil. Da geschah es, daß zwei Araber auf offener Straße in Streit gerieten, der eine zog sein Messer und stieß es dem anderen in den Leib. Nach zwei Tagen erlag der Mann seinen Verletzungen. Man hielt den Mörder in Haft, um vor seiner Aburteilung zu sehen, ob der Verletzte wieder genesen würde. Die Angehörigen des Mörders eilten inzwischen zum Kadi, und um den Mörder von dem Tode zu retten, gaben sie an, er sei unschuldig, er sei trunken gewesen und nicht Herr seiner Sinne. Der Kadi versprach, der Sache nachzugehen und zu untersuchen, ob jener trunken gewesen sei, und wer ihn trunken ge-macht habe. Daraufhin ging der Dragoman des Kadi zum Hause jener aschkenasischen Frau, ihr Name war Feigele, und sagte zu ihr: Gibst du mir Bestechung, ist der Fall abgetan, wo nicht, werde ich dem Kadi melden, du hättest dem Araber Branntwein verkauft. Feigele bebte und zitterte am ganzen Körper, und um der Gefahr zu entrinnen, gab sie dem Dragoman, soviel er forderte. Nach einigen Tagen wurde Feigele wieder beschuldigt, diesmal beim Stadtoberhaupt. Der schickte einen Boten zu ihr, der sie vor ihn bringen sollte, aber Feigele war verschwunden. Daraufhin wurde dem Gemeindevor-steher befohlen, die Jüdin auszuliefern, sie sollte gehängt werden, weil sie Gewalttat verschuldet hätte. Der Vor-steher erkannte die große Gefahr und ruhte nicht, bis er sich mit dem Stadtoberhaupt mit einer großen Summe Geldes verglichen hatte. Dann ging er zu Feigele, die sich {73} aber noch immer versteckt hielt. Da machte sich der Vor-steher große Sorgen wegen des dem Stadtoberhaupt zugesagten Geldes, das er allein unmöglich zahlen konnte. Die Beamten des Stadtoberhauptes beruhigten ihn jedoch, es gäbe noch mehr jüdische Frauen, die Wein und Brannt-wein feilböten, man werde von Haus zu Haus gehen und das Geld bald haben. So geschah es denn, sie gingen zu jeder Frau ins Haus, und wenn sie das Geld nicht geben wollte, sagten sie zu ihr: gut, wir werden dem Stadtober-haupt melden, du seist die Frau, die dem Mörder Wein und Branntwein gegeben hat, und du kommst dann an den Galgen. Da zitterten die jüdischen Frauen und gaben aus Furcht, was man von ihnen forderte. Damit war dann die Sache abgetan. Nach geraumer Zeit taten sich die jü-dischen Frauen gegen Feigele zusammen. Sie müsse ihnen den Schaden ersetzen, den sie durch ihre Schuld erlitten hätten. Feigele entgegnete ihnen hierauf: ihr wißt doch sehr gut, daß jener Mörder nie die Schwelle meines Hau-ses übertreten hat. Wenn ihr es mir nicht glaubt, will ich's euch zuschwören. Mein Unstern hat mir unverdienten Schaden zugefügt und eur Unstern hat euch Schaden verursacht ... und nun entscheide der Lehrer, auf wessen Seite das Recht ist.

           

            III. Ein Mann wurde am Sabbat krank, sein Gesicht schwoll auf einer Seite an, und er hatte große Schmerzen. Gegen diesen Schmerz pflegt man auf die Geschwulst das Siegel Schlomos, das diese Form hat:  , mit Tinte zu schreiben, das Mittel ist bewährt und wirksam. Der Mann ließ deshalb fragen, ob ein Nichtjude am Sabbat das Sie-gel auf die Geschwulst zeichnen dürfe oder ob das Gesetz es verbiete. Unser Lehrer entscheide, was recht ist, und empfange dafür doppelten Himmelslohn. (Der Verfas-ser entschied, in diesem Falle sei das Sabbatgebot zu er-leichtern.)

 

{74}

            IV. Ein Mann litt unter häufigen Wahnsinnsausbrüchen, die stets nur ein paar Tage anhielten. Er machte sonst einen ganz gesunden Eindruck, packte ihn aber der Wahnsinn, mußte man seine Hände und seine Füße in Eisen legen und das Zimmer verriegeln. Sein Nachbar wußte eine vollkommene Heilung für den Kranken. Die Krank-heit werde nie wiederkehren, wenn man ihm einmal ein krepiertes Huhn zu essen geben würde. Dasselbe bezeug-ten jüdische Frauen, die Menschen kannten, die vom Ge-nuß eines solchen Huhns geheilt worden waren. Darf man in diesem Fall einem Kranken in seiner Gefährdung etwas zu essen geben, was das Religionsgesetz verbietet? (Der Verfasser gestattet, ein Gesetz der Tora zu über-treten, um gesund zu werden und dann als gesunder Mensch alle Gebote Gottes und seiner Tora befolgen zu können.)

 


{75}

 

Von Erdbeben und Torarollen

 

Joßef der Schreiber aus Bresticzka

18. Jahrhundert

 

            Von der Zeit des Niedergangs der Gemeinde Safed erzählt ein schlichter Torarollenschreiber, der unmittelbar nach dem Erd-beben des Jahres 1759 ins Land gekommen ist. Joßef ist kein zünf-tiger Reiseschriftsteller, er ist ein Mann der Feder in einem anderen Sinne, und wegen seiner kalligraphischen Begabung fertigt er für die Sendboten, die aus Safed zum Einsammeln der Spendengelder nach Europa gehen, Berichte über die Lage der Juden im Heiligen Lande an. So ist dieser 1762 geschriebene Brief entstanden, der dem Leser eine an Abenteuern reiche Fahrt ins Land schildert und der ihn im Lande selbst auch auf interessanten Wegen zu den abseits liegenden jüdischen Ansiedlungen im Libanon führt. Der Bericht erschien zuerst hebräisch Frankfurt a. Oder 1763 unter dem Titel 'Edut bi-Jhoßef' (Zeugnis in Josef) und wurde he-bräisch und in jüdisch-deutscher Übersetzung öfters nachgedruckt. Eine sorgfältige Ausgabe der kleinen Schrift besorgte I. Ben-Zwi 1933 in Jerusalem.

 

            REICHER FRIEDE UND HEIL ZUVOR! ICH WILL EUCH mitteilen, daß es uns gut geht und daß wir mit Gottes Hilfe alle am Leben sind. Was kann man in diesen Zeiten mehr wollen? Hunderte von Menschen sind doch hier durch das Erdbeben umgekommen und weitere Hun-derte erlagen der Pest, Gott behüte uns davor. Mich und meine Leute hat aber Gott vor allen Nöten bewahrt, er war mein Erlöser in Wahrheit, denn Zeichen und Wun-der sind geschehen, wovon ich Euch schreiben will. Gott sei uns gnädig jetzt und allezeit und sende uns Erlösung bald und in unseren Tagen! Amen.

            Welche Wunder geschahen uns auf dem Meer, von Stambul nach Erez Jißrael! Einen Tag und eine Nacht lang bebte der Meeresboden, das Meer schäumte und brüllte und warf das Schiff in die Höhe und in die Tiefe ohne Unter-laß. Die Schiffsleute waren entsetzt und schrien: Was hat Gott über uns kommen lassen! Der Steuermann sagte, so etwas habe er noch nie erlebt, auch seine Vorfahren {76} hätten ihm von einem solchen Geschehen nie etwas berichtet. Will Gott die Welt verderben oder die Tiefe zur Höhe schleudern? Der Steuermann erkannte, daß alle Mühe umsonst war, und ließ die großen Eisenstücke, die auf deutsch Anker heißen, zu beiden Seiten des Schiffs aus-werfen. Die Ankerketten rissen, und wieder war alles ver-gebens. Das war am Dienstag, neun Tage im Marcheschwan 5520 (1759).

            Unser Schiff war groß, es faßte an die zweitausend Men-schen, Mohammedaner und Christen, außer den Matro-sen. Und dann wir Juden, Männer und Frauen. Viel Kaufleute gab's auf dem Schiff, kaum zu zählen. Ein Teil der Juden wollte nach Jerusalem, ein anderer nach Safed, auch ich wollte nach Safed. Die Reise war eigentlich so vorgesehen: wer nach Safed oder Jerusalem wollte, mußte in Sidon aussteigen und dann auf dem Landweg auf Ka-melen oder Eseln weiterziehen. Man konnte aber auch zu Schiff nach Jerusalem fahren, nämlich von Sidon weiter mit einem Schiff übers Meer nach Jaffa und von dort auf dem Landweg ebenfalls mit Kamelen in einem und einem halben Tag nach Jerusalem. Der Steuermann wollte uns nach Sidon bringen, aber es gelang wegen des Seebebens nicht.

Das Schiff trieb ab, wir aber wurden gerettet. Am zehnten Marcheschwan kamen wir nach Beirut, und da hörten wir die schreckliche Kunde, daß in selbiger Nacht und auch am Dienstag, als die See toste, in Safed ein Erd-beben war. Alle Häuser sind eingestürzt, die Stadt ist verwüstet, und nur wenige Häuser ragen aus den Trüm-mern hervor. Einhundertzwanzig Juden sollen ums Le-ben gekommen sein. Auch der arabische und christliche Teil der Stadt ist ganz zerstört. Im ganzen Lande hat die Erde gebebt, in Safed aber war es am schlimmsten. Wie heißt es doch in der Mischna: 'Ehe der Messias kommt, wird Galiläa zerstört' - und Safed liegt im oberen Galiläa. In Jerusalem war es nicht so schlimm wie gerade in Safed.

{77}     Als ich das hörte, erschrak ich und wollte gleich nach Je-rusalem fahren, ich ging zum Hafen, aber das Schiff war schon fort. Da wollte ich nach einem anderen Ort gehen, nach Tiberias, oder nach Hebron oder nach Sichern, wo Josef begraben ist. (Er liegt nicht weit von Hebron.) Aber ein Mann aus der Gegend von Beirut hörte, daß ich da sei. Er kam zu mir und sprach zu mir: Wie ich verneh-me, ist Euer Wohlgeboren ein großer Schreiber. Nach-dem nun Euer Wohlgeboren hierher verschlagen wurde, scheint es ja Gott so gefügt zu haben, daß Ihr mir eine Torarolle schreiben sollet. Tuet es also, schreibet mir eine Torarolle, eine prächtige Rolle. Er versprach mir zu zah-len, soviel ich begehrte, ich sollte mit Frau und Kindern bei ihm wohnen, solange ich an der Tora schriebe. Alles Gute werde er mir erweisen und mir schenken, was ich mir wünschte. Das gefiel mir. Er meinte, bis ich mit dem Schreiben fertig geworden wäre, könne Safed mit Got-tes Hilfe schon wieder aufgebaut sein. Auf meine Kosten schicke ich Euch dann nach Safed. Er nahm mich und meine Familie in sein Haus, und ich begann mit dem Schrei-ben im Monat Kißlew. Es ging mir bei dem Mann gut; schade nur, daß jener Ort nicht in Erez Jißrael lag. Doch habe ich Gott gepriesen und ihm gedankt, daß ich nicht vor dem Erdbeben ins Land gekommen bin, sonst wäre ich doch, Gott behüte, auch in das Beben hineingeraten. Kann man nicht das Wort auf mich beziehen: Wie man Gott für das Gute dankt, muß man ihm auch für das Arge danken? Wieviel Not habe ich durchlebt, aber alles war zum Guten.

            Und nun will ich euch das Allerneuste schreiben, was mir geschehen ist. Ich saß eines Abends und schrieb an meiner Torarolle, es war wohl Sonntag abend, am 6. Kißlew. Der Mann stand neben mir und freute sich über meine schöne Schrift. Da bebte die Erde plötzlich wieder, die Feder glitt aus meiner Hand, und die Tinte ergoß sich über das Pergament; so stark bebte es. Was sagt Ihr dazu: {78} in jenem Augenblick hatte ich gerade am Ende vom er-sten Wochenabschnitt die Worte geschrieben: 'Da reute es Gott, daß Er den Menschen gemacht hatte' (Gen. 6,6.),  und in-dem ich den Satz beendete, bebte die Erde. Mein Zimmer lag im Obergeschoß des Steinhauses (alle Häuser sind hier aus Stein, Holz wird zum Bauen nicht verwendet), und als das Erdbeben einsetzte, flohen wir schnell ins Freie. Wir waren gerade draußen, da stürzten die Häuser ein, auch das, in dem ich geschrieben hatte.

            Nach Stambul war auch ein Mann aus Brody mit seiner Frau gekommen, um nach Erez Jißrael zu gehen. Er hieß R. Selke, seine Frau Rösel. Am Neumondstag des Ellul ging ein Schiff ab, in der Regel fährt eins im Jahr, näm-lich immer im Ellul. Diese Leute hatten schon den Fahr-preis ausgemacht, ich wollte eigentlich auch mit ihnen fah-ren, hatte aber noch keine Zeit. Ich habe Euch doch schon geschrieben, daß ich dort zufällig einen Mann traf, in des-sen Synagoge eine seit zehn Jahren unbrauchbare Torarolle stand. Kein Schreiber konnte sie ausbessern, es ge-hörte ganz besonderer Scharfsinn dazu. Nun, der Mann hörte von mir und auch, daß ich sofort abfahren wollte. Da kam er mit anderen angesehenen Männern zu mir, und sie baten mich, ich möchte doch ihre Torarolle ausbes-sern. Später würde noch ein Schiff abgehen, mit dem ich dann fahren könne. Man versprach mir gute Bezahlung und meinte, um dieses Verdienstes willen werde Gott mich bewahren und ich glücklich in Erez Jißrael landen. Ich willigte schließlich wegen der Mizwa (Gute Tat; ldn-knigi)ein und bes-serte die Torarolle mit Gottes Hilfe und großem Scharf-sinn aus. Die ganze Stadt staunte. Wie neu sei sie ge-worden, so gut hätte ich sie ausgebessert, und man gab mir das Doppelte und Dreifache. Aber das ist mir nicht so wichtig, denn es war ja überhaupt so zu meinem Gu-ten. Mit dem ersten Schiff konnte ich nicht mehr fah-ren, wohl aber reisten jener R. Selke und seine Frau {79} darauf, und sie kamen schon vor den Festtagen nach Safed. Am 9. Cheschwan kam R. Selke beim Erdbeben ums Leben. Seine Frau wurde gerettet. Ich aber habe Gott gedankt, daß ich erst auf dem zweiten Schiff nach dem Beben ankam.

            Ein Mann hat mir das ganze Unglück von Safed ausführ-lich erzählt. Die Sache war so: Einige Nächte vor dem ersten Erdstoß erschien ihm sein Vater im Traum, klagte und weinte, raufte sich das Haar und weinte laut und lau-ter. Der Sohn war entsetzt und sprach zu seinem Vater:

            Liebster Vater, was ist geschehen? Der erwiderte: Wisse, mein Sohn, ein großes Unglück kommt über die Ge-meinde. Du aber bemühe dich, daß sie Umkehr halten, reumütig einen Fasttag ansetzen, auf daß sich das böse Verhängnis wende. Am nächsten Morgen erzählte der Mann in der Synagoge unter Weinen seinen Traum. Da bemächtigte sich des Volkes eine gewaltige Furcht, sie rie-fen für Groß und Klein ein Fasten aus, verrichteten unter lautem Weinen die Bußgebete und hielten einen Klein-Versöhnungstag. Trotz ihrer Reue konnten sie das Ver-hängnis nicht abwenden, am Dienstag abend, dem 9. Marcheschwan, begann das Beben, und auch der hoch-würdige R. Selke kam dabei um. Er lag unter einem Steinhaufen, und man mußte ihn Tag und Nacht suchen, ehe man ihn fand. Seine Frau Rösel floh nach Akko, das ist eine schöne Stadt, man weiß nur nicht, ob sie Erez Jißrael oder dem Ausland zuzurechnen ist. In Akko wütete aber damals die Pest, und auch Frau Rösel erlag ihr dort, wie alle, die sich aus Safed nach Akko retten wollten. Sie starb am 12. Schwat 5520. Es wäre wohl angebracht, ihre Verwandten zu benachrichtigen und der Gemeinde Bro-dy die Jahrzeit mitzuteilen.

            Nachdem die Erde sich wieder beruhigt hatte, gingen einige Safeder daran, ihre Häuser neu aufzubauen und machten sich große Kosten. Da kam die Nacht vom 6. Kißlew, und wieder stürzte alles ein. 'Sie bauen, aber {80} Ich reiße ein' (Mal. 1,4.), spricht der Prophet. Seit der Zerstörung des Tempels hat sich kein so großes Unglück ereignet wie das von Safed.

            Folgende wunderbare Geschichte vernahm ich noch von dem Mann. In der Nähe von Safed liegt Meron mit den Gräbern von R. Schimon bar Jochai und seinem Sohne R. Elasar, ihr Andenken sei zum Segen. Über den Gräbern wölbt sich ein herrlicher Kuppelbau, der Tag und Nacht geschlossen ist. Der Schlüssel befindet sich beim Synago-gendiener von Safed. Wer die Gräber besuchen will, muß zum Synagogendiener gehen, und für ein Trinkgeld kommt der mit, die Tür zu öffnen. In Meron leben nur wenige Juden, sonst Mohammedaner und Christen. Als das Erdbeben begann, liefen alle Mohammedaner und Christen jenes Ortes zum Grabe R. Schimons und schrien dort laut: R. Schimon, R. Schimon, du bist ein großer und geehrter Mann, von unseren Vätern haben wir von deinen Verdiensten vernommen, so erweise auch uns deine Größe und öffne uns deine Tür! Da sprang die Tür auf, alle tra-ten eilends ein und wurden gerettet. Nun ist der Rabbi in ihren Augen noch höher geachtet.

            Aber kehren wir zum Thema zurück, zu meiner Torarolle, die ich bei jenem Manne schrieb. Es ging mir gut bei ihm, ich hatte, was mein Herz begehrte, und ich schrieb die Torarolle so schön, wie es keine zweite im ganzen Lande gibt. Mit Gottes Hilfe beendete ich die Rolle nach Peßach, und jener gab mir reichen Lohn, wie er mir versprochen hatte, außerdem viele Geschenke. Wieder tat mir Gott ein Wunder. Gleich nach dem Erd-beben herrschte wegen unserer großen Sünden im gan-zen Lande die Pest. Die ältesten Leute konnten sich einer solchen Pest nicht erinnern, und dabei war es Winter. Nur an dem Ort, wo ich mich aufhielt, war, Gott sei Dank, alles gesund. Das erstaunte die Leute sehr, und sie meinten, um der Torarolle willen, die ich schrieb, sei die {81} Pest nicht gekommen. Der Ort hieß Dir, er liegt sehr schön, zwischen Meer und hohen Bergen. Der höchste ist der Libanon.

            Der Libanon ist wirklich herrlich, allerlei gute Früchte und Kräuter wachsen dort. Ich war einmal da, und es hat mir gut gefallen. Nicht umsonst hat Mosche unser Leh-rer gebetet: 'Laß mich noch hinüberschreiten und das gute Gebirge schauen und den Libanon.'(Dt. 3, 25.) Verschiedene tüchtige Ärzte verstehen sich auf die Kräuter und kom-men im Monat Ijjar hierher, um wunderbare Kräuter zu sammeln. Es gibt da sogar Kräuter, mit denen man Tote beleben kann und andere, um Gold und Silber herzustel-len. Im Gebirge leben Tiere, in deren Fleisch und Eingeweiden man zuweilen schöne goldene und silberne Far-ben findet. Ob das wohl von den Kräutern kommt?  Viele Quellen mit erfrischendem Wasser gibt es in den Bergen. Als ich die Torarolle schrieb, öffnete ich zuweilen das Fenster und sah den fast weißen Libanon vor mir hegen. Das war mir immer eine große Freude. Da beginnt auch Erez Jißrael. Mit dem Mann war ich einmal auf einem Berg, und wir besuchten die Grabhöhle Noachs und sei-nes Sohnes Schem. Die Gräber seiner Frau und seiner Söhne Cham und Jefet kennt man nicht. Noch andere fromme Männer sind da begraben, ich könnte viel davon schreiben. Ich sah auch das Grab von Schimschon dem Held (Samson; ldn-knigi) und das Haus, das er auf sich und die Philister stürzte. Das konnte bis auf diesen Tag nicht wieder aufgebaut werden. Noch heute leben Philister in der Gegend. Auf diesem Berge hat auch Gott mit unserem Vater Abraham den Bund zwischen den Stücken geschlossen. Der Ort liegt sehr hoch, ich sah von da sehr weit, bis zu den Hule-sümpfen.

            Als ich nach Peßach die Torarolle beendet hatte, gab es wieder eine Neuigkeit: die Pest. Täglich starben an die fünfzig Nichtjuden an jenem Ort, und die Juden flohen {82} in großem Schrecken nach außerhalb. In Sidon hatte die Pest angefangen, viele Juden waren dort gestorben, ein knapper Minjan (Minjan ist die zum Gemeindegebet erforderliche Zehnzahl von Männern.) war noch am Leben geblieben. Da zeig-te mir Gott im Traum, ich solle nach Sidon gehen. Wo die Pest angefangen habe, werde sie auch zuerst aufhören. Alle warnten mich, nach Sidon zu ziehen, weil die Pest noch nicht vorüber war, ich aber tat, wie mir Gott be-stimmt hatte, und ging ohne Furcht nach Sidon. In der Tat wütete die Pest noch unter den Christen, und täglich trug man vierzig, fünfzig Tote hinaus. Da schrieb ich schöne und große Amulette nach dem heiligen R. Jizchak Lurja, sein Andenken sei zum Segen, auch andere Amu-lette gegen die Pest, und mit göttlicher Hilfe blieb alles Ungemach von uns fern. Alle Juden kamen nach Sidon, da sie hörten, daß mir kein Leid geschehen sei. Wer von der Krankheit noch nicht angesteckt war, blieb am Leben, wer aber schon das Zeichen der Krankheit trug, starb.

So saß ich in Sidon von Ijjar bis Cheschwan 5521. Sidon ist schön, und es gibt gar viele gute Dinge da, Zi-tronen kosten das Stück einen Para, und die Lulawimwachsen dort an den Bäumen. Die Bäume sind hoch und schlank, und im Wipfel wachsen die schönsten Lulawim. Die Lulawim und Etrogim (Lulaw und Etrog, Palmwedel und 'Paradiesesfrucht' finden, wie auch Myrten- und Weidenzweige, in der Liturgie des Hüttenfestes Verwendung.) von Sidon kommen nach Je-rusalem und nach anderen Plätzen. Auch in Safed wach-sen Lulawim, aber nicht so üppig wie in Sidon. In anderen Gegenden Erez Jißraels gedeihen Myrten. Die Synagogen-diener bringen die Myrten, wenn sie noch frisch sind, in die Bethäuser wegen des guten Duftes, es ist wie im Paradies.

            Als die Leute von Safed hörten, daß ich schon einige Monate in Sidon sei, schrieben sie mir wie folgt: Wie wir vernehmen, weilt Euer Wohlgeboren in Sidon. Das nimmt uns sehr wunder. Weshalb denn nicht bei uns? Ob {83} Sidon Erez Jißrael zuzurechnen sei, unterliegt doch dem Zweifel, und die Gewißheit ist mehr als der Zweifel. Ihr habt Euch nun lange genug dort aufgehalten, kommt darum eilends zu uns. Ich blieb noch bis nach Neujahr 5521 in Sidon, dann fuhr ich übers Meer nach Akko und zahlte da vier Gulden Kopfsteuer. Von Akko ging's auf dem Kamel nach dem zweiundeinehalbe Stunde ent-fernten Jassif bei Pekiin, das ist schon Erez Jißrael. Dort ist der Boden ganz weiß, wie Natron. Bis Neujahr 5522 blieb ich dort und besserte einige Torarollen aus. In der Nähe liegt Kebul, dort ist Ibn Esra begraben. Unweit der Stadt befindet sich ein alter Brunnen. Da hört man in der Nacht des 9. Aw ein bitterliches Weinen. Niemand weiß, woher das kommt.

            In der heiligen Stadt Safed hat man mit Gottes Hilfe einige Häuser schon wiederhergestellt, auch zwei Synagogen. Der Herrscher hat versprochen, es werde alles getan wer-den, damit es den Juden gut gehe, und er schickte überall hin, wohin sich die Gelehrten und Herren geflüchtet hat-ten, sie mögen zurückkehren. Auf Neujahr kamen alle wieder nach Safed. Ich ging mit ihnen. Ich bewohne ein schönes Haus mit einer Kuppel und habe mit Gottes Hilfe meine Kinder gut verheiratet, wie ich es mir schon seit Jahren wünschte. Hart am Bergesabhang liegt der Friedhof, auf dem R. Jizchak Lurja und andere große Fromme begraben sind. Unten am Berg wohnte er, ich habe in seinem Tauchbad gebadet.

            Als ich in Tiberias die Hochzeit meiner Stieftochter feierte, habe ich dort in den heißen Quellen gebadet, sie sind von der Stadt nicht weit entfernt. Das hat meinem Körper besser getan als alle Ärzte. In Tiberias ist auch R. Mosche ben Maimon begraben, sein Andenken zum Segen. Ich fragte die Gelehrten, wie das zu erklären sei; er hat doch bis zum Tage seines Todes in Ägypten gelebt, wie kommt es, daß er hier begraben ist? Da erzählten sie mir folgende Geschichte: Schon einige Jahre vor seinem Tode wollte {84} Mosche ben Maimon nach Erez Jißrael gehen, aber sein König willigte nicht ein. Als er seinen Tod nahen fühlte, berief er seine Schüler und befahl ihnen, sie sollten ihn sogleich nach seinem Verscheiden, nachdem sie ihn ge-waschen und in die Sterbekleider gehüllt hätten, auf ein Kamel packen und das Kamel solle tragen, wohin es wolle. Die Schüler sollten dem Kamel folgen. Wo das Kamel halt mache und nicht weitergehen wolle, da soll-ten sie ihn begraben. Also taten sie. Das Kamel lief einen ganzen Tag und hielt am Abend in Tiberias beim Grabe von R. Jochanan ben Sakkai an. Es war nicht mehr von der Stelle zu bringen. Da erkannten die Schüler das große Zeichen, sie nahmen ihn vom Kamel und begruben ihn daselbst. Von Ägypten nach Tiberias ist es sehr weit, jenen aber sprang der Weg entgegen. Zur Rückreise nach Ägypten brauchten sie ein paar Wochen.

            Tiberias liegt am Kineretsee, das ist ein großes Meer, es fahren aber keine großen Schiffe darauf. Das Wasser ist süß wie Quellwasser. In der Mitte des Sees befindet sich der Brunnen der Mirjam, man weiß aber nicht wo. Es heißt, er sei nahe zur Stadt. Ich wollte nicht in Tiberias bleiben, es hat den großen Nachteil, selbst im Winter sehr heiß zu sein. Im Sommer ist es so heiß, daß kein Mensch die über dem Tal brütende Hitze aushallen kann.

Safed liegt hoch und hat im Sommer und Winter gute Luft. Von Nissan bis Tischri fällt in ganz Erez Jißrael kein Regen, dennoch herrscht kein Mangel. Man sät und erntet zweimal im Jahr, weil allmorgendlich Tau fällt, die Fülle von Gott. Mit dem Cheschwan setzt die Regenzeit ein, die sich bis Nißan hinzieht. Schnee und Kälte kennt man nicht, im Tewet und Schwat ist es hier so kalt wie in Polen im Ellul und Tischri. In Safed ist es im Winter kälter als im übrigen Erez Jißrael, weil Safed sehr hoch liegt. Der Regen, der im Winter fällt, hält das ganze Jahr vor.

            Das Grab von R. Schimon bar Jochai in Meron bei Safed {85} wird dreimal im Jahr von überallher aufgesucht. Im Ellul lernt man dort eine Nacht und einen Tag lang im heili-gen Buche 'Sohar' (Hauptschrift der Kabbala.). Vor Nißan hält man es ebenso, und dann kommt man zu Lag Beomer (Der 33.Omertag ist ein Freudentag.) zum Grabe. Dieser Tag wird die 'Vermählung' R. Schimons mit der Schechina genannt. Nach der Überlieferung muß man diesen Tag feiern und große Festgelage veranstalten, mit Pauken und Reigen, je mehr, desto besser. Man sagte mir dazu: wer im Ausland stirbt, wird tot genannt, wer aber in Erez Jißrael stirbt, wird lebendig genannt. Im Ausland bedeckt man die Bahre mit einem schwarzen Tuch, in Erez Jißrael mit einem weißen. Vor einigen Jahren kam einmal ein Mann aus Ismir bei Stambul mit seinem einzigen Sohn zu Lag Beomer aufs Grab von R. Schimon bar Jochai. Als er die Ausgelassenheit sah, wunderte er sich sehr und rief unter heftigem Weinen aus: R. Schimon bar Jochai ist doch heute gestorben, muß man da nicht weinen und kla-gen, während ihr jubelt und euch freut? Er schalt so sehr mit ihnen, daß alle Freude verstummte. Am Tage darauf wurde der Sohn dieses Mannes ohnmächtig, er wurde schwächer und schwächer und starb. In der Nacht er-schien der Rabbi dem Manne im Traum und redete zu ihm: Du hat mir meine Freude genommen, so habe ich dir deine Freude genommen. Da wußte man, ihm ist der Jubel recht, und seitdem vermehrte man die Freude, so sehr man konnte.

            In Safed standen sechs Synagogen, außer den Lehrhäusern. Alle wurden beim ersten Erdbeben zerstört. Jetzt sind zwei wieder aufgebaut, und nach Neujahrwollen die Vor-steher und Gelehrten Boten nach Stambul und ins ganze Ausland entsenden, um für den Aufbau der Stadt, der Synagogen und Lehrhäuser zu werben. Den Brief habe ich für die Sendboten säuberlich geschrieben, sie haben mit mir ausgemacht, daß ich für jede Abschrift vier Reichstaler bekomme. Auf meine Abschriften sind sie {86} sehr stolz, und ich hoffe zu Gott, daß die Boten reichlich Geld heimbringen werden.

 

            Wer da sagt, Erez Jißrael sei nur gut, um dort zu sterben, der macht unser Land schlecht, wie es die Kundschafter getan haben. Es ist nur so: wer herkommt, muß Geld mitbringen, oder er muß sich auf ein gutes Handwerk verstehen, mit dem er sich ernähren kann. So ist es aber in der ganzen Welt, nirgends bekommt man etwas umsonst.

            Das sind die Worte Joßefs des Schreibers aus Safed, die Stadt werde erbaut und fest gegründet bald und in unse-ren Tagen.

 

 


{87}

 

Der Räuberhauptmann vom heiligen Berge Moria

 

Schimon van Geldern

1720-1774

 

            Der beste und kostbarste Fund jedoch, den ich in den bestäub-ten Kisten machte, war ein Notizbuch von der Hand eines Bru-ders meines Großvaters, den man den Chevalier oder den Morgen-länder nannte, und von welchem die alten Muhmen immer so-viel zu singen und sagen wußten.

               Dieser Großoheim, welcher ebenfalls Simon de Geldern hieß, muß ein sonderbarer Heiliger gewesen sein. Den Zunamen der 'Mor-genländer' empfing er, weil er große Reisen im Oriente gemacht und sich bei seiner Rückkehr immer in orientalische Tracht kleidete. Er wallfahrtete nach Jerusalem, wo er in der Verzückung des Ge-betes, auf dem Berge Moria, ein Gesicht hatte. Was sah er? Er offenbarte es nie.

               Ein unabhängiger Beduinenstamm, der sich nicht zum Islam, son-dern zu einer Art Mosaismus bekannte, wählte ihn zu seinem An-führer oder Scheik. Dieses kriegerische Völkchen lebte in Fehde mit allen Nachbarstämmen und war der Schrecken der Karawanen. Europäisch zu reden: mein seliger Großoheim, der fromme Visio-när vom heiligen Berge Moria, ward Räuberhauptmann.

Heinrich Heine: Memoiren.

 

            Der hier aus einem nicht klassisch zu nennenden Hebräisch über-setzte Brief des Schimon van Geldern ist mit zwei weiteren Briefen des Verfassers von H. Torczyner im Gedenkbuch für A. M. Luncz 'Jeruschalajim' 1928 S. 109 ff., erstmalig veröffentlicht worden. Der Brief wurde im Nachlaß des Absenders gefunden und ist entweder der Entwurf oder die Abschrift des an den Vater ge-richteten Schreibens. Der Brief ist in Latakije in Syrien wahrscheinlich im Jahre 1766 geschrieben, der überkommene Text ist ein Fragment.

 

            SIEHE, ICH WENDE MICH ZUM FRIEDEN AN IHN, meinen Herrn Vater und Lehrer, die Krone meines Haup-tes, den Vollendeten in Lehre und Frömmigkeit, des-sen Werke stets lauter sind, den R. Elieser, sein Licht erstrahle.

            Ich habe leider vergessen, an welchem Tage ich meinem Herrn Vater zuletzt aus Jerusalem geschrieben habe. Dar-um will ich ihm auf jeden Fall mitteilen, daß ich Jerusa-lem verlassen mußte, bei Nacht mußte ich aus der Stadt fliehen, denn der Aufenthalt dort war fast unmöglich ge-worden. Die Verfolgungen und Erpressungen nahmen täglich zu. Jetzt schulden die Aschkenasim mehr als {88} 50.000 Reichstaler, und die Sfardim an die 200.000 Gulden. Wie werden sie diese Schulden je abzahlen können? Tag-täglich warf man einen ins Gefängnis, einen Gelehrten oder einen Vorsteher, und schlug so lange auf ihn ein, bis er gab, was man von ihm forderte.

            Ich floh also nachts auf einem Kamel nach Hebron. Drei Türken begleiteten mich. Nach Mitternacht gelangten wir in einen Hohlweg, eine Mauer war zur Rechten und eine zur Linken. Da fielen uns plötzlich rücklings zwei arabische Räuber und Mörder an und schlugen schreck-lich auf die Türken ein, bis sie blutüberströmt wie tot auf dem Boden lagen. Dann nahmen sie eine Eselslast mit und suchten das Weite. Ich Unglücklicher saß oben auf dem Kamel, und alles trug sich unmittelbar an meiner Seite zu. Dank sei Gott, der mich errettet hat. Die Räu-ber sprachen kein Wort mit mir und würdigten mich kei-nes Blickes, ich hatte schon mein Totengebet gesagt. Hät-ten sie mir nur einen Hieb versetzt wie den Türken, es wäre mit mir aus gewesen. Wahrlich, das Verdienst der Väter stand mir bei, ich bin zu gering für alle Taten der Güte und Treue. Schließlich erhoben sich die Türken mit großer Anstrengung, halfen einander auf die Esel, und wir kamen nach Hebron. Die ganze Stadt bestaunte die blut-überströmten Türken und wollte das Wunder hören, das mir geschehen war. Ich wohnte in Hebron bei einem Gelehrten, dem Schwager von R. Jizchak Carregal (Bekannter Rabbiner und Reisender, der in Hebron 1733 geboren wurde und 1777 in Barbados (Westindien) starb.), und brauchte nichts dafür zu bezahlen. Ich fragte die Leute, ob jemand mich für sechs oder sieben Monate beherber-gen wolle, bis ich aus dem Ausland Geld erhielte. Aber jeder erwiderte, sie hätten für sich selbst nicht genug. Es herrschte in der Tat in Hebron große Teuerung, und der Lebensunterhalt war schwer zu verdienen. Auch die Leu-te von Hebron hatten ungefähr 50.000 Gulden Schulden, und es gibt dort nur zwanzig bis dreißig Familien.

{89}     Von Hebron nach Akko kostete die Reise fünfzig Gul-den. Von Akko zog ich nach Sidon und von dort über Tripoli hierher nach Latakija. Nach dem Fasttag des 9. Aw werde ich nach Aram Zowa, das ist Aleppo, gehen. Dort erwarte ich Antwort und Geld von Leuten, die es mir versprochen haben. Es geht mir also jetzt wie König Dawid, der auch nach Aram Zowa fliehen mußte. Weder nach Jerusalem noch nach Hebron werde ich zurückkeh-ren, ich suche mir in Erez Jißrael ein kleines Dorf, in dem sich zehn Juden aufhalten, um da ganz der Lehre und der Arbeit zu leben.

            Auf meinen Reisen sah ich, wie mißachtet wir Aschkenasim in den Augen der Bewohner des Landes sind. Wir sind doch große Narren. Kommen die Leute zu uns, mei-nen wir, wir müßten sie reich machen, und tatsächlich sammeln sie Reichtümer zusammen. Ich sage euch aber: in fünfzig Jahren wohnt kein Deutscher mehr in diesem Lande. Hätte Gott nicht Zeichen und Wunder an mir ge-tan, ich wäre hier verhungert.

            Aus den Städten wie Jerusalem sind in diesem Jahr mehr als zweihundert Familien fortgezogen. In Hebron, Safed und Tiberias ist das Leben auch schwer. Die gesetzlichen Bestimmungen sind hart, und dazu kommen - wegen un-serer großen Sünden - Verfolgungen, Verleumdungen und so weiter.

            Als ich in Jerusalem war, kam ein R. Jerucham zu mir und wollte mir seine Nichte antragen, eine Jungfrau von 15 oder 16 Jahren. Ich hörte aber, sie sei schwermütig. Auch der Jerusalemer Rabbiner wollte mich mit seiner Enkelin verheiraten. Dann erschien wieder ein Gelehrter bei mir und wollte mir seine Schwester zur Frau geben, eine Witwe von fünfundzwanzig Jahren mit tausend Reichstalern. Ich verlobte mich mit ihr, dann erfuhr ich aber, daß sie geistes-krank sei, und da kamen mir doch Bedenken ...